Es ist eine vortreffliche Handlung, daß sie Wegelin nach Berlin kommen lassen. Ich muste immer fürchten, daß die priester von St. Gallen ihn auf den scheiterhaufen sezen möchten. Er hat izt eine auslegungskunst geschrieben, die so vernünftig ist, daß sie ihm zum wenigsten Rousseaus schiksal zubereitet hätte. Man muß in den Ort fliehen wo Edelmann und Damm sicherheit haben, wenn man selbst mit Evangelischen Wahrheiten sich nicht den hals brechen will. Spalding wird an Ihm einen Ermunterer haben; noch mehr, einen mann der ihm zu denken geben wird.
Auch bey uns hat der Hottingerische Verfolgungsgeist seit einiger Zeit gespuket. Ein student hat im Collegio geprediget daß man auch unsere Systemen prüfen müste. Er hatte den Text, prüfet alles. Man zerzerrete ihm die worte, man machte ⟨stricturen⟩ darüber, man erfüllte die ganze stadt damit; man warnete alle frommen väter, mütter, Onclen, und Tanten vor dem Gottlosen menschen. In dem Erinnerer, einer Wochenschrift, die hier herauskömmt, kam ein blatt darinn ein halbes duzend verderbliche folgen specificirt werden, welche eine Verlästerung von dieser Art bis weit hinaus haben muß. Der Verleger wird um Zwanzig pfund gestraft, weil er das Blatt nicht in die Censur gegeben, er wird angehalten, daß er den Verfasser nennen solle. Er entschuldiget sich mit der unwissenheit. Man verbietet ihm mehr Erinnerer zu druken wenn er die Verfasser nicht entdeket.
Jedermann hält es für schlechte politik, daß man sich von einem Blatt gegen die Verlästerungen getroffen findet. Unser gute Lavater muß leiden daß man ihn für den Verfasser hält, und zugleich den Verfasser einen bekersbub schilt. Noch machet das stük auch ihm keine schande.
Damms Buch, das hier noch niemand kennt, ist den Buchführern von den Censoren confisquirt, wiewol es niemals verboten worden. Die Buchführer haben an den Rath appellirt. Die censores behaupten es sey eine pasquill auf den Heiland. Unser Chorherr Breitinger hat ein Memorial geschrieben, dieses zu behaupten. Nulla fides pietasque viris! Es ist alle apparenz daß die buchhändler den streit gewinnen werden. Darum geben sich gewisse kluge Herren die mühe die sache zu assoupiren. Die Oberkeiten verurtheilen einander nicht gern. Die lettres ecrites de la Montagne sind doch bey uns noch nicht in die Hände der gn. Hhn und des Henkers gefallen. Nur von mund werden sie verdammt und verbrandt.
[→]Breitinger hält Rousseau wegen seiner Einwürfe gegen die Wunderwerke für einen falschen und gottlosen mann, die Einwürfe selber hält er für unlogicalische, unphilosophische Kindereyen, die ein student widerlegen könnte. Aber er hütet sich sie zu widerlegen so fleissig als der Antistes und der neue Theologus Ulrich.
Die Reponses der Representanten von Genf aux lettres de la Campagne sind den Herren von Zürich und von Bern ein Dorn im Auge, sie wollen nicht davon reden hören, und seufzen über die hartköpfigten Citoyens. Und bald schämen sie sich Eidsgenossen der Zuger zu seyn, die sich vermessen [→]ihre malversanten, die ihre Regenten sind, zur strafe zu ziehen. Das ist eine platte Anarchie; und in Zug ist izt keine Oberkeit. Einige zweifeln, ob die landsgemeinde gewalt habe, die herren zu strafen.
Und der arme Canton Schwyz! den der grosse monarch so streng, so gerecht gezüchtiget hat, daß er nicht nur die Officiere und die soldaten von disem Canton, die so einfältig ihr Blut in seinen Fehden vergossen haben, sondern auch die von ihren Ahnen und Urahnen sich in dem Königreiche domicilirt hatten, und die Rechte und die Sprache ihres vergessenen vaterlandes lange nicht mehr kennen, ausgejagt hat! Was hat der Canton gefehlt? Particularen haben böse von dem Bündniß mit Frankreich geredet, und durch einen standeschluß ist der Bund von 1715 als hinter der landsgemeinde gemacht, abgekannt worden. Und sie wollen nicht auf den Fuß ein Regiment capituliren, wie der König verlangt. Die Großen von Schwyz stimmen Jeremiaden an, als ob sie verlohren wären, wenn sie die Gnade des Königes nicht widergewinnen können. Die Landleute frohloken, jauchzen und triumphiren als wenn sie izt wider freye leute worden wären.
Ich denke der König werde ihnen auch den Ewigen Frieden, den die Eidgenossen mit Frankreich haben, zurükgeben? Und doch ist der ewige Frieden nichts anders als was alle menschen, staaten und völker einander kraft derMenschlichkeit schuldig sind.
Es ist mir sehr angenehm, daß Montesquieu den Cardinal de Lorraine geschrieben hat. Man weiß nicht mehr, daß die Trauerspiele der Griechen politische dramata gewesen sind. Aber ich glaube, das Parterre, das den Cardinal de Lorraine applaudiren müste, sollte ein ander parterre seyn, als das Racinens Britannicus und Berenice bewundert hat.
Ich habe einen Verleger für meine Dramata gefunden, dem will ich auch meinen Marcus Brutus geben, wenn sie ihn mir durch Rahn, der bald nach Haus reisen wird, zurükschiken wollen.
Rahn ist ein sünder daß er glaubt Heß sollte ein Canzelmann und er ein Professor werden. Aber er ist auch ein wenig zweizüngig; er hat Hessen selbst in einem andern Ton geschrieben. Aber sein Vater, der selbst ein schwacher kopf ist, will ihn dem gymnasio aufdringen. Ich will ihm doch noch starke Hindernisse in den Weg legen. Ich mache aus dieser sache kein geheimniß.
Rahns Vater will probst werden, sein sohn soll professor seyn, und sein tochtermann pfarrer. Der sohn soll überdies auch pfarrer nach Albisrieden werden. Und doch sind Heß und Rahn von einer Zunft und Heß hat auf der Zunft drey herren des kleinen Raths, die seine oncles sind. Aber der Chorherr Rahn ist ein eigennüziger mann, und ein elender Politicus.
Wie die Jungfer Meisterin ihrer Mutter geschrieben hat, so hat sie mit dem Heimweh nicht mehr zu kämpfen; von unzufriedenheit hab ich nichts gehöret. Geben sie ihr eine einzige Freundin von ihrem Naturell, und sie wird nichts mehr wünschen. Aber diese Freundinnen sollen ihr ihre Töchterchen seyn, und täglich mehr werden.
Ich darf über Füßli nicht böse werden. Die Ode, die er an mich geschrieben hat, die Zeichnungen zum Noah haben mich ganz besänftiget. Ich wollte doch daß ich nicht genöthigt würde von ihm zu denken, wie ich mich zwinge nicht zu denken.
Aber ich begreife nicht wie er auf den Einfall kommen sollte Ihnen mehr Rechnungen zu schiken. Hier sind die ergiebigsten Quellen für ihn zugestopft. Ich dachte daß Hr. Mitschel ihnen die Nachrichten von ihm melden würde, die er selbst verschweiget.
Unser Lavater, der sonst sein Herz hatte, hat nicht eine sylbe von ihm seit der Ode. Und die Ode ist poesie.
Ich stelle mir vor, Klopstok werde mit dem Prinzen von Dänemark nach London gehen, dann werden die zween Enthusiasten sich gegen einander verklären.
Ich wünsche sehr, daß Füßli die Gutthat ganz mache, und auch die vier lezten Zeichnungen zu den zwölf gesängen verfertige. Ich erkenne das freundschaftliche herz das Ihnen, mein theurester, räth sich bey der last von geschäften die auf ihnen lieget, mit diesem Werk so viel zu thun zu machen.
Klopstoks Salomo hat von unsern Beaux Esprits einen so ungemessenen Beyfall, daß es ein erstaunliches lob für mich ist, wenn sie glauben, mein Salomo sey besser; nicht nur als ein König sondern auch als ein drama. Ich hatte den Moloch nur vertheidigen wollen, daß er kein hors d'oeuvre wäre. Ich bekümmerte mich nicht sehr ob er historische und philosophische Wahrheit genug hätte.
Ich habe Ihnen durch einen Reisenden gedrukte und geschriebene stücke geschikt, die sie izt bald von ihm haben können. Das beste davon ist Dr. Hirzels Denkmal des Philocles; und philocles Abschiedsrede von den Eidsgenossen von Schinznach. Man redet von dieser Gesellschaft in fremden Orten mit der höchsten Erwartung. Der Herzog von Würteberg, der in Lausanne lebet, schreibt an den doctor Hirzel: Cet Edifice auguste de paix et de concorde l'ouvrage d'un Architecte sublime, qui l'a consacré à la durée, à la gloire et à la felicité de la patrie! l'Esprit, que dis je, l'ame humaine n'a jamais conçue de projet plus noble, plus grand, plus utile. Ce seul trait vous assure l'immortalité la plus brillante. Bienfaiteur de votre patrie on peut égaler votre gloire mais on ne sauroit la surpasser. Er will auf die bevorstehende Zusammenkunft im May mit dem Grafen von Diesbach, einem Freyburger, in person nach Schinznach kommen, anzubeten. Denn die Anbetung muß auf obige Empfindungen nothwendig folgen.
Der Autor der lettres de la campagne ist Tronchin der procureur general, der bruder des Medici. Und die Reponses sind von de Luc einem der Representanten der sie als der mund diser braven männer geschrieben hat. Es sind 20. Bogen, von lauter Eingriffen in die Rechte des souverain, d. i. des conseil general.
Der professor Vernet hat [→]unserm Breitinger über die Verlegenheit geschrieben, in welche das ministerium und der Rath durch de Luc und Rousseau gesezt werden. Er lamentirt, da ihr erwartet, daß er defendiren sollte. Breitinger hat ihm geantwortet; chorherrlich und priesterlich. Ich hätte gute lust zu obigem hemistiche das hintere hinzuzusezen:
– – qui sacra tuentur.
Die venerable compagnie von Geneve hält sich sehr daran, daß Rousseau in der lettre à Dalembert ihren Glauben in schuz genommen, und der Magnifique Conseil daß [→]er ihn in der Dedication des Discurse sur l'inegalité so sehr gelobt und gepriesen hat. Sie wollten ihn gern dabey beheften. Sie können nicht zugeben, daß er sich damals geirret habe, in allen andern sachen schreien sie, könne er nichts als irren.
Wie wol bin ich mit Dargensons Gouvernement zufrieden, wie lange haben wir Republikaner noch zu steigen, bis wir die unterste stufe seiner Begriffe erreichen!
Rousseaus lettres de la montagne und Voltairs dictionaire sind von den Herrn von Bern in einem Edict verboten. Man möchte sie beyde durch dise Association gern in eine Linie sezen. Voltaire hat wider neuen unrath publicirt, und neue Falschheiten begangen.
Die proscriptionen der bücher haben mich veranlasset ein Gespräche zwischen Tiberius und Claudius Tacitus zu schreiben, in welchem des Cornelius Tacitus Annales für pasquinaden erklärt werden. Aber ich darf damit nicht hervorrüken, ich bin je länger je weniger en odeur de sainteté politique und wollte Gott, daß man mich nicht am Ende meiner Tage zum Verführer der Jugend mache.
Das herz hat mir vor freude gehüpfet, daß Lambert so gut versorget ist.
Diesmal ist es nöthig daß nur sie meinen Brief dechifrieren können. Ich war verdrießlich, und ich sage ihnen was ich oft hinunterschlinge. Erquiken sie mich mit ihrer antwort. Jeder Buchstabe von ihnen ist für mich eine Erquikung.
B.
Zürch den 13ten febr. 1765
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.
H. C. Hirzel, Denkmal Herrn Doctor Laurenz Zellweger aus Trogen im Appenzeller-Land, 1765.
Vermerk Sulzers auf der ersten Seite: »13 Febr. 65.«