Ich bin über ihre Widerkunft so erfreut als wenn sie zu mir zurükgekommen wären, oder ich sie mit der Jgfr. Meisterin Wehen erwartet hätte. Izt sind wir alle glüklich da sie wieder der unsere sind. Denn da sie mir in der Zerrüttung der ersten acht tage geschrieben haben, bin ich gewiß der ihrige. Aber sie sind nicht bey Füßli gewesen. – Doch sie haben ihn der Vorsorge des vortrefflichen Engelländers gegeben. Wir wollen hüpfen und tanzen, wenn wir bald hören, daß es seiner seele wol gehet. Er hat mich mit seinen Zeichnungen geehret, und den Noah selbst geehret. Aber was hat mich mehr erhoben, als sie mein liebster Sulzer, da sie zu dieser Geburt manus obstetricias leihen? Und welche Gütigkeit, daß sie sich über meinen Salomo so sehr ausbreiten? Ich empfinde keine begierde ihn zu verfechten. Er hat nur eine παρεγχείρησις des Klopstokischen seyn sollen. Wol mag Horazens Censur den Moloch treffen: [→]quæcumque ostendis mihi sic, incredulus odi. Ich habe lange gewünscht die Regeln der guten Tragödie zu lernen, und es ist mir leid, daß man sie im Oedipus des Sophokles selbst nicht angebracht findet. In diser ungewißheit schmeichle ich mir nicht sie durch einen glüklichen Wurf zu treffen, ich mache mir selbst regeln wie meine psychologischen, physiologischen, historischen Bemerkungen sie mir an die hand geben.
Ich habe, doch mehr mit politischen als mit tragischen Absichten, [→]den Tarquinius, den Timoleon, den Octavius, den Thrasea Pätus, den Nero, den Cato, (den Censor) geschrieben. Ich habe dise stüke dises jahr, in währender [→]⟨Coroce⟩ für die Reformationskammer, geschrieben. Unser Doctor mit mir haben uns in die Ungnade unsers lustigen Consuls gereformirt. –
Der Doctor hat philocles Eloge mit der Geschiklichkeit verfasset, womit er den Kleinjok verfertigt hat. Er hat izt eine ordentliche Correspondenz mit dem Prinzen von Würteberg, der in Lausanne ist.
[→]Ich habe auch ein Gespräche am Achäron geschrieben in welchem Heliogabalus sich dem Julius Cäsar an die seite sezet, und eine Klopstokische Ode an den Füßli der vor zwey jahren die Invectiv auf Hans Eschers Ball gemacht hat. Er ist in eine von seinen Cousines germaines sterblich verliebt, man muß sie mit ihm verheurathen wenn er leben soll, aber denn muß er auf seine Vaterstadt und das Haus seines Vaters Verzicht thun. Wir verlieren an ihm einen guten Kopf, der nur sein übermässiges patriotisches feuer zu mässigen hatte. Er ist des statthalter Hirzels neveu. Wenn ich ihnen meine geschichte von dem Wachsthum der stadt Zürich gebe, so werden sie sehen, daß Schinz nur als ein Kaufmann gesehen und gedacht hat.
Ich arbeite izt, meinem Neveu Felix Hessen zu einem professorat zu beten. (lectum parare) Ihm steht nur der Rahn im Weg der izt in Berlin ist. Können sie oder Hessens Spalding ihm nicht beybringen daß er zum Canzelmann und Heß zum Professor geschaffen sind?
Wir haben hier Klopstoks Oden der auferstandenen; eine von denselben lautet so:
O du uns einst Elend; wie entzükst du
Den Geist, Tod! Wer im Nachtthal des Entsezens
Nicht verweste, bestrebt sich umsonst
Zu erreichen des Erwachten Gefühl.
Urtheilen sie ob ich die Anlage, die Wendung und selbst die Empfindung diser strophe nicht in folgender getroffen habe:
Der Papillon.)
O du uns einst Kerker, wie entrükst du
Der raup' uns! Wer im Grabmal das er selbst spann,
Nicht verstrikt war, bestrebt sich umsonst
Zu erreichen des Papillons Gefühl.
Er hat uns auch einen gedrukten bogen lyrischer sylbenmasse geschikt, alle von seiner Erfindung, gegen welche Pindarus Metra ihm nicht gefallen; die Füsse von allen arten und nahmen sind da so seltsam, so willkürlich gemischt, daß ich mir getraue in der prosaischten prose durchgehends ähnliche Metra zu finden. Es ist erstaunlich wie Klopstok über die Imitation der Töne raffinirt. Aber wie ist es möglich, wenn gleich die erste strophe eines Liedes vollkommen imitatif ist, und die töne den sachen aufs genaueste entsprechen, daß eben dises in den folgenden strophen auch so sey? Wenn man den gipfel des berges erreicht, und eine leiter aufstellt, höher zu steigen so kann nichts anders geschehen als daß man nubes et inania captat, oder den berg heruntertaumelt.
Unser Wegeli hat von seinem Verleger Klagen bekommen, daß sein Lycurgus und seine Religiösen Gespräche liegen bleiben. Er gedenkt neue Gespräche und Capitel hinzu zu schreiben, und vor die erste auflage mit einem neuen Titelblatte zu sezen.
Unser Füßli von London hat mich schon vor Monathen mit einer schönen Klopstokischen Ode erhoben, die in Lindau gedrukt wird. Sie war an unsern Lavater geschikt worden. In dem Briefe waren weder Klagen noch Freuden. Ein todtes stillschweigen von seinen umständen.
Unsere Freunde in Winterth. sind ebenso stumm, wenn sie uns nicht nöthig haben. Waser hat den Hudibras Orellen zu druken gegeben. Er hat häufige historische Anmerkungen hinzugesezt.
Sie werden einen Pak von mir empfangen haben, in welchem die rhetischen Naifetés das beste sind. Uns verlanget wol so sehr als sie selbst, daß die neue stiftung eingerichtet sey, und sie eine ansehnliche person darinnen vorstellen. Man trägt sich hier mit seltsamen nachrichten, daß Voltairs dictionaire vorgeschrieben sey, darüber zu lesen.
Toussaint soll izt bey ihnen seyn, und Wilkes; warum nicht ⟨auch der Chev.⟩ d'Eon, der mich ungemein gestärkt hat. Ich bin ganz sein ⟨Bewunderer⟩. Die Freude bey der Jgfr. Meisterin verwandten ist über ⟨ihren Brief un⟩gemein.
Adieu.
Ich umarme sie.
⟨Bo.⟩
Zürch den 26sten Xb. 1764.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.
pour mon cher Mr. le professeur Sulzer
Vermerk Sulzers am oberen Rand der ersten Seite: »26 Dec. 64.«