Wie glüklich bin ich wenn sie mir philocles seyn wollen, dem ich gewohnt war meine unreifsten Gedanken zur Wertung zu übergeben! Ich will ihnen statis temporibus schreiben, ohne zu fodern daß sie mir antworten sollen, wiewol ich es immer wünschen werde.
Gewiß haben sie an der Jgf. Meisterin was sie suchen. Ich habe davon immer mehr Anzeigen. Wir werden mühe haben ihr eine anständige Reisegesellschaft zu finden. Füßli hat aus London noch nicht einen Buchstaben an jemanden hier geschrieben, wir sind seinetwegen sehr verlegen. Ich gebe seine Vignettes zur Noachide schon für verlohren. Gott gebe, daß sie bald unter ein gutes dach kommen, mein theuerster, damit ihr werk und ihr gemüth nicht mehr unter disen distractionen soviel leiden müssen. Ich denke, daß Winkelmanns Geschichte der Kunst mit ihrem Werk cooperiren werde, eine umkehrung zum besten des geschmakes zu verursachen. Die Idee des schönen wird nicht mehr willkührlich heissen. Man wird begreifen, wie eine gemeine bildung eines lebenden mädchens für sinnliche leute mehr Reiz hat, als die schönste todte antike, also ein wollüstiges stück mehr beyfall findet, als ein sittsames und patriarchalisches. Man wird erkennen, daß das schöne nicht ohne das gute, und Genie nicht ohne verstand seyn kann. Kant und Maynhart reden hierüber sehr unbestimmt. Man will bald das genie von allem Zwang der Regeln und der vernunft dispensiren. Wer ist der bekerjunge, der einen grossen Kunstrichter in Erstaunen sezet, weil er an ihm einen der grösten heutigen poeten entdeket?
Unser Geßner siehet in Klopsts. Salomo mehr abscheuliches als tragisches, in dem profanen elendes, in der poesie plattes und gekünsteltes. Aber Klopstoks bewunderer finden Salomo sogar erbaulich. Er hat uns Fragmente von liedern der Auferstandenen geschikt, welche Geßnern Kopfschmerzen verursachen. Sie müssen meinen Tod Adams nur als ein Spiel ansehn, und zufrieden seyn, wenn es einige guten Winke giebt. Ich glaube wenn es ad unguem ausgearbeitet wäre so würde es in gegenwärtigem Weltalter nur desto weniger gefallen. Es ist schwer die Gränzen zwischen ausgearbeitet und übertrieben zu finden. Unter diesen beyden ist mir ein unausgearbeitetes stück angenehmer. Ich habe würklich mehr solche unausgearbeitete werke in meinem Pult, die ewig unausgearbeitet bleiben werden.
Lambert hat allemal mit seinen Erfindungen geheimnißreich verfahren, als ob er fürchtete, daß man ihm die Ehre davon rauben möchte.
Wegeli hat ein großes werk von der auslegungslehre der heiligen schriften geschrieben, welches von Breitingern, Lavatern – sehr gepriesen wird. Er hat etwas von des Werthheimers Geschmak.
Rousseau hat sein pöeme, die XXX genannt, vollendet, man kan nicht mehr Affekt fodern als darinnen liegt. Unser Usteri und Meister von Küßnacht, des Camerers sohn, haben es in Manuscripto gelesen. Beyde sind bey Rousseau gewesen, und er hat viel Freundschaft für sie. Sie haben aus seinem Munde eine menge Anecdota aufgefasset.
In zehn Tagen gehe ich nach Winterthur, dann schreib ich ihnen meine Reisegeschichte.
Luzern hat den Rathshr.[→] Meyer nach Zürch geschikt, uns für das getreue aufsehn zu danken. Er hat alle Zweyhundert charmirt. Unsere Capitulation ist gedrukt, ihr fehlt nichts als ein garant gegen Infractionen. Unser Antistes prediget heftig den Glauben, und unser Lavater heftig die Werke. Lieben sie immer, und erhalten mich auch in Hr. Spaldings liebe.
Bo.
den 7den Juli. 64
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a.
Vermerk Sulzers auf der ersten Seite: »17 Jul. 64.«