Brief vom 11. Februar 1758, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 11. Februar 1758

Mein schwager ist mit ihnen in demselben grade zufrieden in welchem er mit Schwarzen unzufrieden ist, er ist izo besorgt wie er ihnen seine dankbaren Empfindungen ausdrüken wolle. –

Wenn sie einen brief Hr. Provisors vom 13. Januar empfangen hätten, so hätten sie darinnen auch einige von meinen ecstatischen saillies gelesen. Da wir so neutral seyn sollen, wie der Reinhart zwischen dem guten und bösen ist, so dürfen nicht laute denken.

Es ist schwer eine lobrede auf den K. zu schreiben, die nicht eine Satyre über seine gegner werde. Wenn Ramler poetisches feuer im busen hätte, so würde es nothwendig brennen. Wir denken wol daß Gleim als ein Geisel bey den Franzosen seyn werde. Den leipzigern thut weh daß sie die Freiheit verlohren ihr Gold nach Polen zu schiken, vor Wehmuth hängen sie die Harfe an die Wand. Wir sind in voller Hoffnung daß sie den Sieger geschikter gelobt haben als der grosse Wolf den grossen Zaar Peter. Wenn sie leiden mögen daß Orell ihre Rede nachdruke so bittet er daß sie ihm ein Exemplar durch die Post schiken. Er wünschte daß sie ihm dann zugleich meldeten, wie es ihnen mit den 100 schwäbischen alten Fabeln gegangen, die er ihnen geschikt hat.

Die siege des Königs sind unsere siege gewesen. Seitdem sind wir wieder verständig worden. Es giebt immer leute, welche die siege für Jugemens de Dieu halten. Diesen hat der K. den grösten beweis seiner gerechten sache gegeben daß er so gesieget hat. Philocles, sie kennen ihn, hat einen seiner briefe so angefangen: Gloire et Louange soient chantées à nôtre souverain Seigneur qui par sa toutepuissance et sagesse infinie dirige les actions du plus sage et du plus puissant roi de la terre d'une maniere aussi heureuse qu'eclatante! J'en suis si penetré et ma tete en est si pleine, que je ne pense presque plus, ne respire presque plus et ne songe presque plus que par ce grand favori de Dieu. Vous croirez facilement que ces bonnes nouvelles sont dabord repandues tout le monde sen rejouit extremement les uns pour lamour de la bonne cause les autres pour voir les papistes confondus et enragés – nos voisins font des portraits affreux de ce monarque ils le placent sans façon entre les griffes du D. Er meint der könig seye eine predilection pour les francois plus que pour toute autre nation. L'indolence des anglois le choque au dernier point, pourquoi le placer au dessus de tous les heros sans lui preter aucune assistance en troupes? Er sagt ferner: Si le pouvoir supreme luy fut departi, il ne l'exercerait que contre les despotes, à corriger les mechans à remettre sur piè ceux qui ont eté culbuté contre toute justice et à tirer la lumiere du Chaos à l'exemple du createur pour eclaire le monde. Ce seroit là un despotisme auquel tout homme devroit se soumettre avec plaisir.

Der Doctor Zimmermann hat von dem Nationalstolze geschrieben, er führt ein paar naife hiebe auf die Engelländer und die Schweden. Aus Genf ist ein klein poeme gekommen, das zwar ein bißgen declamatorisch ist, aber ein paar starke Traits hat. Wir fluchen der Russen und glauben doch daß der König ihnen gewisser massen erlaubt habe sich in Preussen niederzulassen. Der ⟨küne⟩ Registrator fürchtet dise barbaren wie er in seiner Kindheit die störche gefürchtet, die er für mörder angesehen.

Der König war gewiß grausam, da er Verse auf Gottsched gemacht, er hat den Cigne saxon auf den kopf gestellt, und man wird ihn bald nach Königsfelden zu seinen brüdern einschliessen müssen.

Wir hoffen der Prinz von Preussen werde auch ein bißchen deutsch lernen, daß er W. Epicum, das er izt für die könige schreibt lesen könne, diese vorstellung schwebt dem poeten stark vor Augen. Sobald er VI. Gesänge hat wird er sie ihnen schiken. Er möchte sie gern publiciren ohne daß man den poeten kennete. Wir finden eine ungemeine Ähnlichkeit zwischen dem König und Cores. Sie wissen aber wol omne simile etiam esse dissimile. Berlin hat keine muntern geister, wie könnten sie sonst schweigen. Lessing verräth daß er nur Kleinigkeiten schreiben kan; die Nicolai können sich nicht über die Ruelles erheben. Was für ein geist ist Breyman? Ich denke, wie Naumans.

Wir sind nicht zufrieden mit den Ermahnungen der Todten, der übersezer hat ein treffliches werk gerädert. Wenn er Noltenius ist, so schäme ich mich für ihn. Könnten sie Tagliazucchi nicht bereden, daß er Wielands Erzæhlungen italienisch übersezte? Denken sie mit gelegenheit an Mary Jones Jacob and Rahel.

Dalembert hat durch sein lob der socinianischen Prediger von Geneve dise Herren ganz böse gemacht. Sie haben eine apologie unter der presse. Mich freut daß sie für die Larve und das Banket sorgen. Der Abel ist unter der presse und sehr gut. Ich habe ein politisches Trauerspiel von Stüssi geschrieben, und habe noch eines im Kopfe von Brun. Ich publicire aber dise stüke nur durch abschriften wie die alten.

Der erste Theil der Minnesinger kan auf die Ostermesse kommen. Wir haben durch vorschus hiesiger gönner Orell in den stand gesezt daß er das werk ohne gefahr verlustes unternemen könne.

Der Hr. von G. der die Blike ins landleben geschrieben hat den Feldzug mit s. fürsten genöthiget und unbelohnt thun müssen. Er hat ein Epigramma gemacht, in welchem er den König und seine Generale für scipionen erklärt, dann sagt er

Ihr neuen Roemer hytet euch
Der alten schiksal zu erfahren
Rom fiel durch priester und Barbaren.

Unser Waser hat Swifts Tale of a tub von neuem übersezt, er übersezt alles von disem favori, auch seine predigen. Die presse ist stark damit beschäftiget.

Ich habe Ermunterungen an W. gedichtet, die ich ihnen gern zeigen wollte, weil sie sehr auf die siege des Königs passen.

Der geschikte Theorist in Malerey und bildhauerey Winkelman soll in Rom ohne pension sehr à l'etroit leben, und nicht vermögen die Reise nach Napoli fortzusezen.

Warum schreiben sie nichts von B–n? Ich wollte lieber davon reden.

Lesen sie in Shakspears King Henry V den vierten Actum, könnte man nicht mit geringen veränderungen die schlacht von Rosbach daraus verfertigen?

Wer den Helden da sah, den führer der wenigen völker
Wie er von zelte zu zelt von wache zu wache daher ging
Dacht in seinem gemüthe, wie würdig ist er des sieges!
Nicht ein merkmal entdekt sich in seinem heiteren antliz
Was für ein fürchterlich heer ihn halb umgeben, er opfert
Nicht ein wölkgen von bleicher farbe der schreckenden macht auf.
Sondern schaut frisch und besigt mit munterer Mine der Augen
Jeden gefährlichen anblik in ruhiger grösse des geistes,
Daß ein jeder der noch mit zweifel ringend sich umsah
Wenn er ihn sah aus seinen Augen selbst Munterkeit schöpft.

Adieu.

den 11. Februar 1758.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Einschluss und mit gleicher Sendung

J. J. Bodmer, Auf den frieden, den die thaten des Königs versprechen (Manuskript).

Stellenkommentar

Reinhart zwischen dem guten und bösen
Vermutlich Anspielung auf Adolph Friedrich Reinhard, der in seiner akademischen Preisschrift Le système de Mr. Pope sur la perfection du monde, comparé à celui de Mr. de Leibnitz von 1755 die Lehre von der Wahlfreiheit (oder Freiheit der Indifferenz) gegen Leibniz und die Berliner Wolffianer Sulzer, Merian und Formey verteidigte. Nach Reinhard wohnt jeder moralischen Handlung eine vollkommene, von Bestimmungsgründen freie Wahl inne, die der menschliche Wille durch Entscheidung zum Guten oder zum Bösen ohne Rücksicht auf determinierende Motive trifft. Vgl. zu Reinhard und seiner Schrift auch Brief letter-bs-1761-04-08.html.
ein Geisel bey den Franzosen
Französische Truppen hatten im Herbst 1757 Halberstadt besetzt und Gleims Garten verwüstet. Vgl. dazu Gleim an Ramler, 18. Juli 1757: »Ich lebe noch, unser Kleist lebt auch noch, und ist wieder völlig gesund, wünscht aber noch immer auf dem Bette der Ehren zu sterben, was machen Sie liebster Ramler, und unsere dortigen Freunde? Dencken sie auch auf die Flucht, wie viele ihrer nicht zu patriotischen Berliner? Als vor Vier Wochen das Gerücht hieher kam, die Franzosen wären über die Weser gegangen, da flüchtete ganz Halberstadt; ich allein hatte Muth und sah das Getümmel um mich gelaßen an, und pflückte Kirschen, und verzehrte sie auf der Rasenbanck die ich für meinen Ramler gebauet habe; heute da eine Stafette von unserm Kundschafter die Nachricht von dem würcklichen Uebergange bey Höchster überbracht hat, heute bleibt alles ruhig.« (Schüddekopf (Hrsg.) Briefwechsel zwischen Gleim und Ramler 1906, Bd. 2, S. 289). – Gleim an Ramler, 7. Oktober 1757: »Ich muß Ihnen also sagen, dass ich Gottlob noch lebe; mehr zu sagen, untersteht man sich nicht, wenn man von so viel Tausend .... umgeben ist; auch macht einen der Schmertz stumm, wenn man sein Vaterland zu Grunde richten sieht. Mein Vergnügen, der Garten, den ich in einem Jahre zu einem kleinen Paradiese gemacht hatte, die Laube, in der mein Alexis einmahl mit der Nachtigall um die Wette singen solte, der Spatziergang von tausend Linden, der den Garten umschloß pp. alles dis mein liebster Freund ist nicht mehr! Alles, alles ist von dem wütenden Mars in eine Wüsteney verwandelt, pp.« (ebd. S. 293).
geschikter gelobt haben als der grosse Wolf
Christian Wolff hatte dem russischen Zaren Peter dem Großen 1723 seine Vernünfftigen Gedancken von den Würckungen der Natur (sogenannte »Deutsche Physik«) gewidmet.
einen seiner briefe so angefangen
Laurenz Zellweger an Bodmer, Januar 1758 (ZB, Ms Bodmer 6a). Übers.: »Singet die Herrlichkeit und das Lob unseres mächtigen Herrn, der durch seine unendliche Allmacht und Weisheit die Handlungen des weisesten und mächtigsten Königs der Erde auf glückliche wie glänzende Weise leitet! Ich bin davon so durchdrungen und mein Kopf so erfüllt, dass ich fast nichts mehr denke, fast nicht mehr atme und fast nicht mehr sinne als durch diesen großen Liebling Gottes. Sie werden leicht denken können, dass, wenn diese guten Nachrichten einmal verbreitet sind, sich alle dessen höchst erfreuen, manche aus Liebe zur rechten Sache, andere um die Papisten verwirrt und erbost zu sehen. – Unsere Nachbarn machen hässliche Porträts dieses Monarchen, sie stecken ihn ohne Weiteres in die Krallen des Teufels. [Der König habe] eine Vorliebe für die Franzosen eher als für jegliche andere Nation. Die Trägheit der Engländer bestürzt ihn zutiefst, warum erheben sie ihn über alle Helden, ohne ihm die mindeste Beihilfe an Truppen zu gewähren? [...] wenn ihm die höchste Macht zukäme, würde er sie nur gegen Despoten ausüben, die Böswilligen zurechtweisen, die wider alle Gerechtigkeit Umgestürzten auf die Beine stellen und das Licht aus dem Chaos auslesen, um nach dem Beispiel des Schöpfers die Welt zu erleuchten. Das wäre ein Despotismus, welchem jeder Mensch sich mit Vergnügen unterwerfen müsste.«
ein klein poeme
Nicht ermittelt.
Breyman
Heinrich Adam Julius Breymann hatte 1757 eine Ode auf den Sieg des Königs bey Roßbach verfasst.
lob der socinianischen Prediger von Geneve
D'Alembert besuchte Voltaire in Genf im Sommer 1756 und traf dort einige der wichtigsten Genfer Geistlichen wie Jacob Vernet, Firmin Abauzit und Paul Moultou. In Vorbereitung des siebten Bandes der Encyclopédie (November 1757) bereitete er einen Artikel über Genf mit Abschnitten zu Geografie, Geschichte, Regierung, Religion und den Künsten vor. Neben der Kritik am Mangel künstlerischer Aktivitäten in Genf und dem damit verbundenen Vorschlag, ein Stadttheater zu gründen, was zur langen Kontroverse zwischen Rousseau, d'Alembert und Voltaire führte, erregte der Artikel besonders wegen der Abschnitte zur Genfer Pfarrerschaft Aufsehen. Deren Lehren wurden als rationaler Sozinianismus dargestellt, in ihren Grundzügen (Deismus, Abkehr vom traditionellen Calvinismus, Ablehnung der ewigen Hölle) lobend wiedergegeben und zugleich der kirchlichen Kritik und Verurteilung überlassen. Der unter dem Verfasserkürzel d'Alemberts erschienene Artikel verrät jedoch in seinen provokantesten Äußerungen die Urheberschaft Voltaires. Vgl. Neumann Artikel Genève des VII. Bandes der Encyclopädie 1917.
ein politisches Trauerspiel
Bodmers politisches Drama über den Bürgermeister Rudolf Stüssi, das den Titel Schweiz über Dir Zürich trug, blieb wie das hier ebenfalls angekündigte Trauerspiel Rudolf Brun unveröffentlicht. Bodmers Trauerspiele zu zentralen Akteuren der frühen Geschichte Zürichs sind erstmals 2017 von Arnd Beise herausgegeben worden. Vgl. Bodmer Vaterländische Dramen 2017.
den Feldzug mit s. fürsten
Eberhard von Gemmingen begleitete den Herzog Karl Eugen von Württemberg, der auf Seiten Österreichs stand, auf dem Feldzug in Böhmen.
Swifts Tale of a tub von neuem übersezt
J. Swift, A Tale of a Tub. Written for the Universal Improvement of Mankind, 1704. Die erste deutsche Übersetzung erschien in zwei Bänden 1729 in Altona durch einen unbekannten Übersetzer (mit Neuauflagen 1737 und 1748). Waser veröffentlichte seine Übersetzung als Mährgen von der Tonne. Nebst übrigen dazu gehörigen Schriften, 1758, und zugleich als dritten Band seiner Satyrischen und ernsthaften Schriften von Dr. Jonathan Swift.
auch seine predigen
Vgl. den von Waser 1758 in den Druck gegebenen Band Dr. Jonathan Swifts einige Predigten.
Winkelman soll in Rom ohne pension sehr à l'etroit leben
Bodmer hatte die Nachrichten über Winckelmann vermutlich aus dessen Briefen an die Schweizer Freunde Johann Caspar Füssli und Salomon Geßner oder von Johann Georg Wille in Paris. Vgl. die von Leonhard Usteri 1776 herausgegebene Sammlung Winckelmanns Briefe an seine Freunde in der Schweiz.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann