Mein theuerster Freund.
Ich schreibe izt desto weitläuftiger, weil ich es einem von der Orellischen Buchhandlung, der auf die Messe reiset, übergeben kann. Sie haben einen Stein von meinem Herzen gehoben, da sie Wegelin von St. Gallen weggenommen haben; seine verwandten und mitbürger, die ihn niemals groß achteten, glauben izt, daß der beruf von dem König nicht nur ihm sondern auch ihnen Ehre mache. Ich darf weissagen daß sie an ihm einen würdigen Collegen haben werden, der Ihnen sein Glük zu danken hat. Ich habe einem jungen menschen von hier flüchtig erzählt, daß Sie einen guten philosoph und guten lateiner zu dem Catheder helfen könnten, der ehdem von Ihnen bedienet worden. Das ding hat ihm gefallen, und er hat mich gebeten sie zu fragen, was eigentlich die arbeit dieses professors wäre, wie viel stunden, wie viel Auditores, von welchem Alter p. Aber der gute Mensch hat ein paar Fehler, die ihm in meinem sinn die Ausschliessung geben. Er hat einen dünnen, leichten, Körper, wenig Welt, und noch weniger Deutsch.
Diese tage gieng ein Gerücht, daß Rousseau eine neue schreibsünde begangen hätte, ein Buch, das den Titel hat: Le Prince. Zugleich sagte man, daß die stadt Neufchatel ihn aus ihrem gebiete verstossen hätte. Ich las aber zugleich einen brief aus Neuenburg, daß ein grosser Fleken in der Grafschaft, Chouet genannt, ihm das bürgerrecht geschenkt hätte. Man war für ihn schon besorget, wo man ihm ein Asyle ausfinden wollte. Trogen ward vorgeschlagen, und ein braver mann von Trogen, unsers Philocles neveu und Eléve glaubte daß es angienge. Mir dünkte es anders; und ich ließ mir einfallen Sie zu fragen ob Sie ihm nicht in der Meyerey, die sie anlegen wollen, eine Retraite geben könnten. Ich hörte zwar, daß Rousseau nicht gerne so nahe bey dem König seyn würde, aus furcht daß Er ihn noch näher bey sich haben wollen möchte. Aber ich hüpfete über diese schwierigkeit weg, und speisete mich nur mit dem angenehmen Gedanken, daß Rousseau wie einer von ihren Meyern würde. Man machte auch die Einwendung daß Rousseau ein grosser Liebhaber des bergsteigens wäre, und daß ihr Landgut auf einer Ebene gelegen wäre. Aber wir wollen mehr von dieser sache reden, wenn es gewiß ist, daß Rousseau aus der grafschaft Neufchatel verwiesen ist. Was schon geschehn ist macht uns jede neue Verfolgung wahrscheinlich. Nur der Verfasser des Testament de Jean Meslier, des Sermon de Cinquante, des Examen de la Religion steht mit den Priestern und den Regenten so gut, daß sie ihn gegen Gott und Tugend in schuz nehmen.
Hiesiger Magistrat hat Damm, den pasquillant des Evangelii, noch nicht gerichtet, er wartet auf die Gegenwart Hrn. sekelmeister Heideggers der sehr krank gewesen. Es scheint dieser Mann mache ihren SchriftGelehrten nicht so viel Furcht als den unsern. Hier wird er mehr gefürchtet, als der lästerliche Voltair.
Sie wissen, daß der übersezte Hudibras unsers Wasers von dem Hrn. Antistes für eine leichtfertige, obscene, der Religion nachtheilige schrift erklärt worden. Waser hat darauf ein apologetisches schreiben eingegeben, welches nichts gewürkt, als daß es den Hohenpriester geärgert. Er blieb bey seinem ersten urtheil, Hr. statthalter Nüscheler folgete ihm, und fand, daß ein Diener des göttlichen Wortes nüzlichere Materien abhandeln könnte. Hr. Verwalter Lavater wollte das Werk unter gewissen Restrictionen erlaubt haben, wenn Herr Ant. sich nicht beleidiget hielte. Hr. Breit: ist für den Hudibras. Es kömmt auf beyde Theologos an, wenn man diese nicht hat, so wird das Werk supprimirt. Wir sind izt begriffen gewisse maschinen von Intercessionen spielen zu lassen, Hrn. Antistes dahin zu bringen, daß er denselben, den Theologis, nicht übel nimmt, wenn sie die Erlaubniß geben, die er selbst nicht giebt.
Ich habe keine lust in die hand dieser Censores zu fallen. [→]Der mann von dem sie sagen, daß der orden und nicht der mensch in ihm prevaliere, hat viel geredet und gethan die gewalt dieser Herren zu erweitern.
Lavater hat den dialogum zwischen Tiber und Cl. Tacitus in den Lindauer journal gesandt. Hr. Felix Heß hat auf meine Erlaubniß Gellius geschrieben, daß er den M. Brutus von Ihnen fodern könnte.
Was wir von Füßlis stillschweigen denken, ist gewiß eben das, was sie selbst zuerst von diesem seltsamen menschen denken. Wir müssen uns darein schiken. Seine Wege sind vor unsern Augen ganz verborgen. Ich hatte gehoffet, daß Hr. Mitschel ihnen etwas von seinen Geschäften sagen würde.
Ott, Hrn. Zunftm. Otten sohn, Escher Hn Rathshrn. Eschers sohn zum pfauen den sie kennen, Ziegler Hn. Zunftm. Zieglers sohn werden in wenigen Wochen aus Holland nach Berlin kommen. Hr Ott ist mir sehr lieb, und unter den drey weit der vorzüglichste. Wenn sie dann etwas an mich zu bestellen haben, so wird es bey ihm vollkommen versorgt seyn.
Der Canton Schwyz wütet für seine Freiheit, die neuen ankömmlinge die Frankreich ihm aus seinem dienst zurükgeschikt hat, sind mit einem Hagel von Steinen empfangen worden. Man hat in einem Narrenspiel den französischen Ambassador auf eine bühne gesezt, einer nach dem andern kamen Verbiegungen vor ihm zu machen, er gab jedem von ihnen schöne Worte und ein beschlossenes papier; als sie es öfneten fanden sie stroh, od. schnupftobak, oder mist p. darinnen. In einigen schwefelhölzlein. Worauf sie sich unnüze macheten, und den vermummten Ambassador herunter zogen, auf eine Kuh sezeten, und mit tausend schimpfworten in dem Fleken herum jageten. Doch will ich für diese Erzählung nicht bürge seyn. Es giebt sehr verschiedene Lesarten.
Vor etlichen tagen war eine tumultuose landsgemeinde, der landammann Reding bekam etliche Hiebe auf den Kopf, vergoß viel Blut, und ward für todt weggetragen. Darauf ward er aller Stellen entsezt. Ein unbekannter mann nahmens Pfeil, der niemals an einigem Amt gewesen ward zum landammann erwählt. Man sagte öfentlich, der Krieg von 1712 wäre ohne Noth und mit der grösten unbilligkeit gegen die evangelischen Cantons geführt, und als er unglüklich ausgefallen hätte man die ungerechtigkeit in dem Bund von 1715 verdoppelt, wo man den bünden und der freiheit der Eidsgenossen gerade zuwider den König zum schiedsrichter in den händeln der Cantons gemachet, ihm den Durchzug durch das Gebiet der Cantons zugegeben, und anders mehr. Da bekannt worden, daß der König einigen, die unter den Cent Suisses gewesen, patenten gegeben, wenn sie in einer bestimmten Zeit ihr Landrecht aufgeben, und widerkommen würden, so sollte ihnen ihr voriger plaz und Dienst offenstehn: so fassete man wunderliche Ombrage, und verlangte die patenten einzusehen. Weil aber der Obrist Reding und mehr andere sich absentirt hatten, so ward eine andere landsgemeinde angesezt, und denselben bey Ehr, Eid, und Verlust Landrechtes und Habe und Guts befohlen auf derselben persönlich zu erscheinen. Bey derselben pön ist allen Beamten des Landes von jedem rang und würde geboten gegenwärtig zu seyn. Man redet, daß sie die meisten verwerfen werden. Man fürchtet wenn die Patenten nicht nach ihrem geschmak sind, daß sie ohne Respect für die unterschrift und das siegel des Königes eine Flettrissure damit vornehmen möchten. Dann wird der Canton dem König keine geringere Satisfaction geben müssen, als Alexander VII. und Genua Ludwig dem XIV. gegeben haben. Es wird ein schönes schauspiel für die Franzosen seyn, einen Landammann und vier Rathsherren von Schwyz, von profession Senner, vor Ludwig dem XV. kriechen zu sehen. Wird man nicht von den Cantons begehren, daß sie diese respectlosen Bauern dem König gehorsam machen?
Hiesige Regierung gewinnt von diesen unruhigen, anarchischen, Läufen; unsere bürger segnen den frommen, gerechten und theuern Magistrat der niemand ohne formalität, ohne urtheil und Recht, hinrichtet. Man flucht der Democratie, und die Aristocratie wird über alles erhoben.
Wenn ich unsern lieben director Schultheß unsere glükliche Verfassung preisen höre, so helf ich ihm von den tumultuosen landsgemeinden so viel Böses sagen, als er gern will, aber ich seze dann hinzu, daß sie der Souverain sind, und daß dieses die Art der Souverains ist. Dann erzähl ich ihm ein hübsches Exempel von einem König, [→]qui extirpa l'heresie, c'est à dire qu'il commit un parjure criant contre la quatrieme partie de ses sujets, dont les peres avoient elevés son ayeul au trône; qui les força à abjurer leur foi, à trahir leur conscience et leur Dieu. Je lui cite de barbares dragons, qui par son ordre inonderent sept à huit provinces, allerent à la chasse des fugitifs, trainerent sur la claye ceux osoient redevenir libres en mourant. Er hat dann nichts darauf zu antworten, als daß der Canton Schwyz der Macht halber in keine vergleichung mit Königen komme.
Zwo Frauen, eine Redinginn und eine Jüzin, haben grossen antheil an den Händeln von Schwyz, und sollen viel Geschiklichkeit besizen das Feuer anzuschüren.
Die Herren von Bern haben nach Zürich u. Luzern geschrieben, daß man zu diesen sachen nicht stillschweigen könne; man müsse Schwyz Repræsentationen machen: hier hat man noch wenige Lust dazu.
Habe ich Ihnen gesagt, daß ich auf ein Drama von Italus, Flavius sohn, gedacht habe, den die Cherusken von dem Cäsar Claudius zum König begehrt haben. [→]Ich lasse ihn eine stadt in den Wäldern der Cherusker bauen, woran er aber von Balderich einem andern Nefen des Arminius gehindert wird. In diesem drama würde alles gesagt, was Rousseau gegen die societätische Ungleichheit eingewendet hat.
Und diese tage ist mir eingefallen, daß man ein gutes politisches drama von dem vierten Heinrich der Deutschen machen könnte. Rousseaus Capitel von der Religion Civile könnte darinn in ein heiteres licht gesezt werden.
Ich hatte gedanken Ihnen noch mehr dergl. Einfällen zu schreiben, aber ich höre daß der Buchhändler früher verreiset, als Er zuerst im sinne hatte.
Ich umarme sie von ganzem Herzen.
Bod....
Z. den 25 März 1765.
Die Hhn von Luzern hatten von dem pabst begehrt, daß er ihnen erlauben möchte, einige Steüern von ihren Stiften und Klöstern zu nehmen. Er schlug es ihnen rund ab. Darauf wandten sie sich mit vorstellungen an die Clöster und stifter, aber dise fanden sie noch hartherziger. Es soll ein Rathsherr im versammelten Rath gesagt, sie könnten die kostbare catholische Religion nicht mehr lang ausstehen und müsten aus Armuth und mangel Evangelisch werden. Nichtsdestoweniger haben dise Herren vor kurzer Zeit eine starke stadtwacht aufgerichtet, die einer Besazung ähnlich siehet, und sie viel Geld kostet.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.
Vermerk Sulzers am oberen Rand der ersten Seite: »25 März 65.«