Brief vom 9. Dezember 1747, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 9. Dezember 1747

Mein Herr und werthester Freünd.

Weil ich Ihnen allzu viel zu schreiben hätte, wenn ich einen rechten Brief schreiben wollte, so will ich nur ein Billet schreiben um ihnen das fürnehmste zusagen, das ich schon längst hätte sagen sollen. Herr Gleim hat endlich eine sehr gute Bedienung erhalten, die nur diese Ungemächlichkeit hat, daß er nicht in Berlin, sondern in Halberstatt, in dem Lande der Obotriten, nahe bey dem Bloksberg leben muß. Er ist Secretair des weltgeistlichen Dohm Capitels daselbst und seine Canonici, die weder Zimmermannen noch Breytinger sind, sind noch die vernünfftigsten Leüte, die er zu sehen bekömmt. Dafür aber soll er Jährlich 1000 Thlr. einzunehmen haben, welche schon was anders können vergeßen machen. Er ist schon seit 6 Wochen dahin abgegangen, nämlich eben den Tag, da ich hier introducirt worden bin. An diesem Tage habe ich also utramque fortunam erfahren. Sein Verlust geht mir recht nahe, und macht einen Strich durch mehr, als eine Rechnung, die ich gemacht hatte.

Von Hr. Langen sehe und höre ich kaum noch etwas. Ich sage ihnen ins Ohr, que son domestique est dans un fort mauvais état. Ich bin deßhalben in großer Furcht. Weil er alle Umstände auf das sorgfältigste vor mir verborgen, so habe deßwegen noch nicht an ihn geschrieben, aber ich muß es doch thun, weil die Freündschafft mir dazu ein Recht giebt und mir daher eine Schuldigkeit es zu thun aufladet. Haben sie doch die Gefälligkeit vor mich, den Hrn. Orell zu bitten, daß er mir mit erster Gelegenheit die Baßlerische Edit. des Spectat. Mentors und Babillards auf meine Rechnung schiket und sie nach Leipzig an die Hrn. Kosiorowsky und Kitt adreßirt.

Sie werden vermuthlich auch schon gehört haben, daß der beruffene Edelman hier ist und ein großes lermen macht. Je mehr sich die Geistlichk. angelegen seyn läßt ihn verhaßt zu machen, je mehr scheinet er bey dem Volk Wurzeln zufaßen. Wer dabey unpartheyisch ist der hat seine Lust an diesen Sachen.

Ich verharre

MHhrn. und Freündes
ergebenster Dr Sulzer

Berlin den 9 Decemb. 47.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Stellenkommentar

utramque fortunam
Sen. epist. 71, 37. Übers.: »Glück und Unglück«.
que son domestique est dans un fort mauvais état.
Übers.: »Dass sein Haushalt in einem sehr schlechten Zustand ist.«
Baßlerische Edit. des Spectat. Mentors und Babillards
In Basel im Verlag von Brandmüller veröffentlichte französische Übersetzungen von Joseph Addisons und Richard Steeles Zeitschriften The Spectator (Le spectateur ou le Socrate moderne, Où l'on voit un Portrait naïf des Moeurs de ce Siècle), The Tatler (Le Babillard, Ou Le Nouvelliste Philosophe) und The Guardian (Le Mentor moderne, ou discours sur les moeurs du Siecle).
Hrn. Kosiorowsky
Vermutlich ein Kaufmann. Näheres nicht ermittelt.
der beruffene Edelman
Johann Christian Edelmann, Pietist und radikaler Anhänger Spinozas, lebte seit dem Sommer 1747 in Berlin. Hier geriet er in eine Auseinandersetzung mit dem Feldprediger Johann Peter Süßmilch. Vgl. Schaper Edelmann und die deutsche Frühaufklärung 1996.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann