Mein Wehrtester Freund.
Ich habe einen Fuß in dem Steigreifen, und kan doch nicht fortkommen, daß ich Euch nicht noch ein petit bout de lettres zuschreibe. Ihr und übrige dasige Freunde werdet mich in den Freundschaftl. Briefen begleiten, welche ich die Berge und Tobel von Trogen lehren will widerhohlend zurükschallen. Ich habe sie erst gestern aus dem buchladen empfangen, wo ich schier zu spät gekommen war, und heute verreise ich. Das denkmal ist zu schwach für einen Rüken, der mit dreifachem leder umgeben ist. Nachdem Gottsched so derbe Prügel empfangen, kan man ihm keine gelindere geben, ohne die erstern insgeheim anzuklagen, daß sie zu hart gewesen.
Die beantwortung ist gut, aber was leicht. Ich hätte Kästnern das Gleichniß von dem ungeschwänzten Fuchse nicht geschenkt. Das Gleichniß wäre artig, hätte ich gesagt, wenn der Schwanz am Fuchse etwas so unnatürliches und unnöthiges wäre, als der Reim am Verse. Aber da der Reim das ist was die Schellen an der Kappe sind, so fängt Kästner ohne Noth ein geschrey an, daß man ihm die Schellen von der Kappe abnehmen will. Ein anders noch, wenn man ihm den Schw... hätte abschneiden wollen. Zudem haben die ungereimten verse nichtsdestoweniger ein Hintertheil. Ich hätte ihm auch den Einfall nicht geschenkt, daß die Erzehlungen nichts poetisches an sich haben, als was ihnen der Setzer durch die Absezung der Zeilen mitgetheilt. – – –
Hr. Mag. Meyers Ursachen des verdorbenen geschmakes sind wahr, aber troken, und nicht unerhört, oder ungesagt, doch muß man den Gottscheden die Wahrheit auf allerley Art widerhohlen. Ich fürchte, daß Hr. Lange Mühe haben werde sein Gedichte auf den Zug nach Sachsen poetisch genug zu machen; die heutigen manieren den Krieg zu führen, unsere Sitten, unsere Ceremonialien, unsere fridenshandlungen leiden die schöne poesie schwerlich. Er darf die Wahrheit, und die Erdichtungen nicht in der gehörigen Freiheit anbringen. Ich wollte schier lieber, daß die horazischen Oden in Berlin oder Leipzig gedrukt würden, ich habe Hn Lange genug darauf gedeutet, daß Orell nicht der dankbarste Verleger sey.
Ich habe einen höflichen brief von dem Rector Damm in Berlin empfangen. Hr. Schlegel hat mir zum andernmal aus Kopenhagen geschrieben, er ist stark um unsern beyfall bemühet. Hr. Hagedorn ist ein redlicher Mann, er ist gewiß unser freund. Er hat mir die fables for the femal sexe gesandt, welche dem Mägdchenfreund Stof zu Einfällen geben könnten. Die Idee des Mädchenfreundes ist vortrefflich. Es soll ein Werk seyn, quod legat ipsa Lycoris. Der Sittenmaler hat die nothwendigkeit sich den Mädchen angenehm zu machen auch eingesehen, aber unser Mädchenfreund muß vertrauter mit ihnen, und mehr ihresgleichen seyn.
Meine Critischen Briefe schikten sich gar nicht unter den Freundschaftlichen; Ich erwarte sie zurüke, damit ich sie zu einem eigenen Werk unter dem Titel Critischer Briefe verbrauchen könne. Habet ihr nichts dergleichen, das dazu dienete? Ich kenne unter den neuen französischen Rhetoricis keinen bessern, als den Abbé Olivet in seinen harangues de Demosthene & de Ciceron.
Rapins Comparaisons sind zu schlecht, daß sie übersezet werden sollten, Popens Vorreden und Anmerkungen zum Homer verdienten es ohne Vergleichung beßer.
Der Mädchenfreund sollte die Romane La duchesse de Cleve, und la Comtesse de Gondez gelesen haben.
Ich sehe in Gellerts Fabeln etliche gute Erfindungen, gute Ausführungen und gute Ausdrükungen. Er hat von der Critik profitirt, und einige ungereimte Stüke, so in den Belustigungen stuhnden, weggelaßen. Hagedorn meint die Fabel von dem Maler ziele auf Gottscheden.
Gottschedens BücherSaal und Geschichte der deutschen Schaubühne verdienen nichts anders, als Turlupinaden, in welchen aber doch Wahrheit liegen muß. Er ist so tief daniedergeleget, daß man ihn nicht mehr ernsthaft tractieren muß.
Ich habe etliche Stüke, die sich vermuthlich in den Mädchenfreund accommodieren lißen, zum Exempel, die Matrone von Ephesus, in Versen; den Cimon ein schäferspiel, da ein dummer schäfer durch die liebe geistreich gemachet wird, – –
Die Ambassade wird dises Jahr noch nicht abgefertiget werden. Wir müßen zuvor noch etliche Hinderniße überwinden. Die Schweizer sind schöner in der Idee, als im Werke. Doch gebe ich die Sache noch nicht von der hand.
Jezo komme ich zu dem Punkt, um deßetwillen ich die Feder ergriffen hatte. Hr. Obmann Landolt, mein Freund seit zwanzig Jahren, und dißmal einer von den sogenannten Häuptern unsers Standes wollte seinen Sohn gern nach Berlin schiken. Er ist jezo zu Neufchatel, französisch zu lernen, und ein artiger, geistreicher, junger Mensch; von solchen Mitteln daß er sich als ein Cavallier aufführen kan. Man sagt hier große Dinge, wie wol Hr. Heß bey dem Hr. Hofprediger Sak stehe, wie lehrreich der Umgang mit disem Hn sey, wie man durch ihn mit den wakersten Standspersonen bekanntgemachet werde. Dises alles hat dem jungen Herren Appetit gemacht, nach Berlin zu gehen. Jezo ersucht euch der Hr. Obmann durch mich, und ich ersuche euch um seinetwillen, daß ihr die Gütigkeit habet, und den Hn Hofprediger sondieret, oder sondieren lasset, ob er ihn nicht auf einen Fuß, wie den Hn Heß, oder ungefehr in pension nehmen würde. Der Mensch ist polit, sittsam, geschlacht, von gutem Verstand, und guter Extraction. Hätte Hr. Sak nicht Gelegenheit ihn anzunehmen, so beliebet euch um eine andere so vil möglich gleich geschikte Person umzusehen, bey welcher der junge Mensch versorget wäre. Man wird dise bemühungen mit allen gegengefälligkeiten erwidern. Und wer weiß was gutes den Wissenschaften daraus enstehen wird, wenn wir künftig unsere jungen Leute nach Berlin schiken, wo vermuthlich der Sitz der Musen in kurzer Zeit seyn wird. [→]Sed manum de tabula, tempus est, ut cum Trogensium alpina gente mugitum eam. Hätten wir Sulzer bey uns so sollte er die dits et faits von unserer Reise alle Abende auf Codicillos verzeichnen. Ich habe das Vergnügen mit Freundschaft und Hochachtung zu verbleiben
Ewr. Ergebenster Dr.
Bodmer.
P. S. Der junge Hr. Landolt würde auf MichelisMesse mit Hiesigen kaufleuten verreisen.
Zürich den 19 Junius 1746
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a.
A Monsieur Soulzer Ministre du S. Evangile presentement dans la Maison de Monsr. Bachmann Marchand tres-renommé à Magdebourg.