den 3. decemb. 1760.
Was für böse tage haben sie nicht ausgestanden u. mit welcher gegenwart des geistes! Einige von ihren hiesigen freunden können sich nicht rühmen daß sie in dieser Entfernung von der gefahr nicht um ihretwillen verlegener gewesen als Sie selbst mitten darinnen nicht waren. Kaum haben wir uns enthalten die verleugnung der Ehr eine frechheit zu betiteln, und erst mit dem zweiten gedancken erinnerten wir uns daß grosse geister eher im zu viel als im zu wenig thun fehlen. Wir halten ihr Tag Buch für das Denckmal eines gesezten geistes der beständig im gleichgewicht blickt. Sie haben uns zu Ihnen, zu den berlinern, zu den Russen und Östreichern geführt und wir sind durch alle die Symptomen gegangen, die in dergleichen umständen natürlich sind. Wie glücklich haben die guten Zeitungen die bösen verschlungen! Izt haben wir grosse Hoffnungen daß der König einen frieden erhält, der der frieden und die sicherheit Europens seyn wird. Dann wird er sein Berlin für das ausgestandene Übel so groß machen daß der gewinn in der that den verlust übertreffen wird.
Sie glauben nicht, wie wir von bösen und guten Zeitungen, von wahren und falschen, von halbwahren und offenbar widersprechenden balotirt werden.
Sie glauben auch nicht wie leicht der König seine Gönner verliert wenn er aufhört siegen, und wie leicht er sie wieder erhält wenn er sieget; wie ungerecht ihn ein verlust machet und wie ein vortheil ihn wieder rechtfertiget. Es giebt aber auch immer einige die ihn mitten in seinen siegen und seinen Nachtheilen verurtheilen, weil er, sagen sie, allemal der ärgere Pirrhus sey. Diese wissen nicht daß sie ihre voreltern vom 14ten sæculo verurtheilen, welche ungerechter weise ins feld gezogen, da sie ruhig das joch hätten auf sich nehmen können, die überdies grafschaften einer macht abgenommen gegen die sie zu arge waren, die es ihnen bis ans Ende der Welt gedenken wird. Nicht zu sagen daß einen König der Eroberer besser kleidet als eine Republik. Wenn ich Musse bekomme so will ich ein trauerspiel von unserm bürgermeister Schöno schreiben, der 1393 grosse Entwürfe gemacht hat Zürich aus der gefährlichen verbindung mit den kleinen Cantons herauszuziehen. Ich will zeigen daß er mit der grösten Klugheit gehandelt hat wiewol er darüber von der stadt verjagt worden, und die folgenden Zeiten seine besorgnisse unerfüllt gelassen haben. –
Ich danke den Husaren, daß sie meinen Brun zu ihnen durchgelassen haben. Izt darf Arnold von Brescia es wagen die selbe Reise zu machen. Der neue Brutus hat eine dedication an mich die durch ihren freundschaftlichen Inhalt dem Verfass. und mir Ehre machet. Keiner von meinen Eléves hat noch dises dankbare herz bezeiget, Geßner am allerwenigsten. Wir sind der streiche, die Lessing auf die neuen fabulisten führt, noch gewärtig, die Messe hat uns nichts aus berlin gebracht. Was sagen sie zu Wägelis socrates, Rousseau, Dalembert? Ich wünschte mir ein genaues Urtheil darüber von Ihnen, welches ich dann dem Verfasser, der mich lieb hat, wieder beybringen wollte. Ich habe den Noah wiedergebohren, im frühling lasse ich ihn für Sie abschreiben. Er ist ein anderer und doch derselbe. Geßner hat durch die post briefe von Made du Boccage, dem Marquis de Mirabeau, dem profess. Wernet, dem Mr. de Seigneux empfangen, die ihn wegen seines Abels beglückwünschen. Ein maitre de requétes von Paris, Mr. Turcot ist beynahe um seinetwillen nach Zürch gekommen, nur hat er nebst ihm auch den Rheinfall bey Laufen besichtigt. Milton selbst hat den beifall weder so schnell noch so ganz von den Franzosen empfangen, ohne zweifel weil die satane nicht so angenehme personen sind wie die Schäfer. Also wird Zacharie mit seiner schöpfung der hölle so übel ankommen, als ob er sie für seine leser erschaffen hätte. Und in demselben Gerichte ist Noah: und trägt schon der blosse Nahmen ein Zeichen der verwerfung? [→]Man kennt ihn nur als Erfinder des Weines, den Cham in der unanständigen positur verspottet. Könnten sie mir nicht einen erhabnern Titel des gedichtes erdenken? Das erste Weltgericht? od. der zweite Vater der Menschen? Aber dise beyden sind zu weitläuftig.
Der Meßcatalogus verheisst uns etwas von ihrem Wörterbuch, ich halte es aber nur für hofweihrauch. Ich habe bey Heidegger etliche trauerspiele unter der presse. Ich hatte mir geschmeichelt daß mein Ulysses mehr aufsehens machen würde.
[→] Wieland klaget in einem briefe über seine Entreissung aus den armen der ruhe und der Muse, und sezet sich in eben demselben hoch zu den fürsten von Biberach mit vollem Triumphe. [→]Er hat die partey verlassen, die ihn zum rathsherren gemacht, und durch seinen beytritt zu dem gegentheil das haupt desselben zum burgermeister und sich selbst zum director der Kanzley gemachet. An diesen Intrigues habe ich keinen geschmak und ich halte ihn für mich für verlohren. Aber die neue Charge bringt ihm 1000 gulden jährlicher Einkünfte.
Man hat hier vor 6. wochen einen brief des Königs an Dargens herumgetragen, den wir für ächt gehalten, bis daß unser Brigadier L. und der gute Philocles uns mit ein duzend gründen bewisen haben, daß das nicht seyn könne, was sollen wir davon glauben?
Der versificirte Philotas ist immer ein Etourdi, und ein Grenadier.
Ich kann mich nicht entschliessen ein blatt en blanc zu lassen lieber will ich es mit mischmasch voll machen.
Was für Minen haben Dargens, Ramler, Lessing in den bösen tagen Berlins gemachet? Hat Lessing den Heroisme bezeigt, womit [→]er mitten im donnerwetter und Erdwanken das Kelchglas gefüllt hat? Wissen sie so wenig vom Pastor Lange als wir? Haben die husaren etwas mehrers bey ihm zu rauben gefunden als Oden und rothe löwen? Er hat die vergessenheit nicht verdient, wiewol ein grosser theil seiner schriften sie verdient hat. Ich hatte gehoffet daß Liscow in diesem Krieg aus seinem dunkeln Winkel würde gerettet werden, oder ist er darinnen umgekommen? [→]Hat Rabner in dem brande von Dresden satyrische schriften verlohren, oder waren es Rentbücher? Wie hat es Schlegel, der diaconus an der schulpforte, in diesem kriege bekommen? [→]Gellert hat mit dem Prinz Clement das brod gegessen, doch war es brod der trübsale. Wie ist es möglich daß diese poeten ihren jammer so ohne gesang und harfen erdulden? Zachariä ist ein seltsamer Kopf der in diesen tagen der Verwüstung eine Hölle sang. Klopstok wird wol wieder bey seinem ruhevollen Könige seyn. Diser mann der thränen und der weichesten Eingeweide [→]hat auf mein Abschiedsschreiben das stillschweigen des hartherzigsten Menschen beobachtet. Es reuet mich oft daß ich seine freundschaft nicht mittelst der elenden summe von spanischen doppie behalten habe.
Sie haben an Dr. Zimmermann ein würdiges mitglied bekommen, er wird zwar leicht von seinem feüer hingerissen, doch hat er ein gutes herz. [→]Künftig möchte der Hr. Wegeli, der verf. des socrates, des lycurgus, ein eben so würdiges subjecte in ihrer Academie werden. Sehen sie darnach in seinen schriften. Mit Iselins politischen Versuchen sind wir recht übel zufrieden. Die freundschaft hat uns diesmal ungerecht gemachet. Wir haben nur den Kopf gehängt u. geschwiegen. Geßner der poet ist izt Orells associrter, beyde buchhandlungen sind zusammengeflossen. Sie sind so kaltsinnig gegen meine trauerspiele gewesen, daß ich sie Heideggern gegeben habe. Aber Orell ist izt regierender Landvogt in Wädischwyl.
Haben sie die güte dem Vögeli nachzufragen der bey dem Weißgerber Georg Eberhard in der Landsbergerstrasse vor dem Königsthor in Arbeit stehet. Ist ihm in der Überrumplung nichts böses begegnet?
Ich hoffe noch den tag zu leben daß sie mir von ihren kleinen mädchen Einfälle und Arbeiten des geistes oder der nadel zeigen, in welchen ich Züge von ihrer theuren mutter erbliken könne. Ich habe den stamm behalten und die zweige verlohren, sie haben die zweige ohne den stamm. Lasset uns den loben der uns diese gelassen hat. Mich verlanget sehr nach dem denkmale.
Sie haben doch des Philocles dankschreiben empfangen, der gute mann ist wegen ihres schweigens darüber besorgt, daß er ihnen mißfallen habe. Leben sie für ihre alten freunde, und ihre allerliebsten Mädchen in diesen tagen der menschlichen Wuth.
Ihr wahrer Diener B...r.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.
Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »3 Dec. 60.«