Brief vom 20. Dezember 1759, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 20. Dezember 1759

Wir haben den Knaben, den die heroische Wilhelmine unserm liebsten freunde gebohren in seinen würdigen Eltern und die Eltern in ihrem sohne gesegnet. Einer von uns hat gewünscht daß er dem Vater seine tugenden und verdienste zweifelhaft machete. Mich hat fast bedünkt daß dises zu überweidig gefodert wäre. Ich wünsche daß er so vernünftig werde wie sein Vater, ein schönerer Geist als Bodmer, und in Zeiten von besserm geschmake lebe als wir beyden; daß seine feindseligsten tage die gewesen seyn, die er in der schooß seiner Mutter gelebt hat.

Moeg er das alter von gold in siegendem Glanz p. p.

Ich hatte ihren brief vom 16. Oct. wenige stunden hernach empfangen als ich meinen in Vögelis briefe verschickt hatte. Vierzehn tage darauf kam durch ihren Neveu, einen wolgesitteten jungen menschen das portrait, das ich eröffnete, segnete, und des folgenden tages nach Trogen fertigte, nachdem ich nur ein paar adeptas mit seinem Anblik beglücket hatte. Die ersten impetuosen bewegungen der Freude, die es bey dem wakern Alten verursachet, können sie in beygelegten Fragmenten lesen.

Das unglük, das Finken begegnet ist, hat uns ziemlich unruhig gemachet; mich noch mehr als unsere grossen Freunde, die das gegenwärtige übel mit den zuversichtlichsten Weissagungen besserten. Ihr laconischer Brief, der einem billet so ähnlich ist wiewol er durch die post gekommen, hat mich nicht sehr getröstet, er schien mir zu denken zu geben, was ich nicht gern dachte. Es that mir wehe daß nicht so vil menschliche vorsicht seyn sollte, die sich vor dergleichen Unbeständigkeit des Glückes verwahren könnte. Es geschieht mir nicht recht, wenn nicht der König oder Prinz Heinrich den Hochgelobten Daun ohne andere Truppen in die Erkenntniß seiner selbst führen. Welches unglük, wenn der tod so vieler Helden, unsern Kleist mit eingeschlossen den König, Deutschland, die gute sache, nicht mehr nüzet, als daß der König sein eigenes schlesien behält!

Wir haben den braven Theologus Lavater verlohren und Hirzeln bekommen der professor Logices gewesen war. Gott behüte die papisten! Wieland hat wieder ein verliebtes trauerspiel in der presse, Clementina della porretta. Er hat Richardsons roman in acten und scenen getheilt. Er weiß nicht daß die liebe eine comische passion ist und bleibt, wiewol er sie ad nauseam platonisirt. Das heißt ab equo ad asinum fallen.

Lessing ist das gelächter unserer beauxesprits geworden. Ein geschikter junger Mann hat seinem Philotas den Polytimet entgegengesezt. Polytimet ist der Revers von Philotas. Man ist überdies im Begriffe seinen Fabeln andere von der façon der seinen entgegenzustellen, lessingische unäsopische fabeln, sinnreiche sprüche und Einfälle der thiere, die öfters seine fabeln auf den Kopf stellen. Daneben arbeitet man an einer untersuchung seiner parologistischen, großthuenden Abhandlung von Fabeln. Wenn drey onzen bonsens bey ihm und seinen Anbetern sind, so müssen sie sich selber verächtlich werden. –

Aber ihre unverschämtheit behütet sie davor. Gottsched soll mir immer lieber seyn, weil ich immer mehr sehe, daß bey ihm bêtise ist was bei Lessing bosheit scheint. Izt haben Sie auch einen puff von Gottscheds dummheit bekommen, sie werden doch von den deutschen Universitäts dummköpfen für seinen spätern nachahmer beschrien werden. Was für ein lächerliches werk ist sein Handlexicon der schönen Wissenschaften! O Deutschland! O Midas!

Arnold von Brescia ist im reinen, ich lese ihn meinen Vertrauten und mache mir schon in gedanken ein fest daraus ihn im frühling unsern Freunden in Winterthur zu lesen. Dahin muß ich kommen, weil meiner schwester Mann der doctor Geßner Amtmann in Töß geworden. Er bekam dieses amt ohne einen concurrenten. Wenn sie wissen daß Kunst dazu gehört die sachen so zu karten daß man ohne concurrenten bleibt, so werden sie bald glauben daß der politische Mechanismus mir nichts ganz fremdes ist. An unsrer lezten Regimentsbesazung hat mich das unglük treffen sollen daß ich ein mitglied des innern Raths werden sollte. Ein alter kindlicher Rathsherr hat sollen ausgestellt werden. Die Musen haben mich bewahrt aus furcht daß sie mich verliehren möchten. Es ist mir wie Jothams Feigenbaume. Meine Griechischen trauerspiele haben so viel lüsternheit erweket daß ich ein grösseres übel zu verhüten schier entschlossen bin sie Orellen zu geben. Ich habe doch schon auf meinem gewissen daß ich ihr Verfasser bin und das wäscht mir die Limmat nicht ab.

Was ist es daß Neugebauer schreibt man habe in Danzig den weltlichen arm gegen die Hexameter um Hülfe angerufen? Das wäre doch ein phænomenon literarium!

Vor einigen wochen kömmt ein Walliseller zu mir und bittet mich Sie zu fragen ob nicht in des Königs diensten ein obrister oder general Rathgeb sey. Wäre ein solcher, so wird wahrscheinlich, daß er von Rieden sey, einem dorf bey Wallisellen, ein bruder des wirthes von Rieden, der zuerst in Holland als ein gemeiner soldat gedient, dann in preussische dienste gekommen. Ich wünsche zur Ehre unserer Bauern, daß sie die sache so ausfindig machen. Ich verbleibe Sulzers und aller derer die Sulzer liebt, und die ihn lieben

Ergebenster Fr. und D.
B--.

d. 20sten decemb. 1759

Moege der knabe, den dir dein schoenerer halbtheil gebohren,
Seine Eltern mit seinem wandel vor Gott in der unschuld
Segnen, und selbst in der tugend der Eltern mit segen gekroent seyn!
Moeg er so weise werden, so ernsthaft u. gut wie sein vater,
moege die sanftmut der mutter in seinem angesicht læcheln!
Nimmer erleb er so boese tage wie die er im schoosse
Seiner mutter verschlossen und sorglos gelebt hat als FRIEDRICH
mit der vermischten macht von sieben koenigen kæmpfte.
moeg er das alter von gold in siegendem glanze durch deutschland
stroemen sehen, das noch saturnische schlaken befleken!
wenn dann ein jyngling die zyge von Japhet u. Joseph und dieße
list und sich iezt auf classischem boden siht und Homer izt
in ihm auflodert; wenn irgend ein christliches mædchen
dann mit Lamisen empfindet, und unter der nachricht erlieget
dass der den himmel hælt in den schooss des weibes verhyllt war
und ein sterblicher ward, wenn es auch in ohnmacht dahin sinckt,

und sie fraget ihn dann: wer war der ryhrende dichter
der so die saiten trifft von unserm gemyth und wie kam es
dass die Geschickten ihn schweigen; erzæhl uns wenn du es weissest
was fyr ein glyckliches clima der erden ihn schenkte, damit wir
Seine seele noch segnen und auf sein vergessenes grabmal
Blumen streuen. Wenn so die jyngling und mædchen ihn fragen,
moeg er dann ihnen sagen: der dichter, den ihr verehret,
war in undankbare tage gefallen, die Lessing mit witze
Uz mit tændelnder schalkheit verderbten; sein herrlichster ruhm war,
dass er die freundschaft der wenigen hatte die unschuld u. sitten
liebten, ihn nannte mein vater den dichter nach seinem herzen,
und die frau die mich ihm gebohren erzælte mir öfters,
Dass das liebste geschenke das ihr mein vater gegeben
Milca und naphtis waren und ribka du diese Lamisa;
mit den frauen ergetzte sie ihre festlichsten tage,
oftmals hoert’ ich dem himmel sie flehn in næchtlichen stunden.

Colombona pag. 74.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Auszüge aus dem Brief von Laurenz Zellweger aus Trogen vom 10.--14. Dezember 1759, in dem sich dieser für die Übersendung des Porträts des Königs bedankt. (ZB, Ms Bodmer 6a, Nr. 450).

Eigenhändige Korrekturen

mir zu denken
mir mehr zu denken
doctor Geßner Amtmann in Töß
doctor Geßner Amtmann nachin⌉ Töß
daß sie mich
daß ich sie mich

Stellenkommentar

unglük, das Finken begegnet
Der preußische Generalleutnant Friedrich August von Finck wurde nach der Kapitulation seines Korps im Gefecht bei Maxen am 19. November 1759 aus der Armee entlassen und schließlich vom Kriegsgericht zu zweijähriger Festungshaft und Ausstoßung aus dem Heer verurteilt. Vgl. Kunisch Friedrich der Große 2012, S. 239, 416.
Theologus Lavater
Der kurz zuvor verstorbene Johann Jakob Lavater, Theologe und Chorherr am Stift zum Grossmünster.
doctor Geßner Amtmann in Töß
Bodmers Schwager Johann Jakob Gessner (1711–1787) war seit 1754 Zwölfer zur Schmieden und Gründungsmitglied der Naturforschenden Gesellschaft.
Neugebauer schreibt
Wilhelm Ehrenfried Neugebauer an Bodmer, Berlin, 27. Mai 1759: »Wie verwünsche ich nicht den Geschmack, der mir u. andern von Ihren Verehrern den verbeßerten Noah noch entzieht! O warum versagt mir der Himmel die Kräfte u. das Ansehen, welches leztere er auf unsre Gegner doch in so reichem Maaße ausgegoßen hat! In Danzig ist es vor ohngefähr 1 12 Jahren schon so weit kommen, daß man den weltlichen Arm gegen den Hexameter zu Hülfe gerufen hat. U. noch schläft Brutus!« (ZB, Ms Bodmer 4a.5).
ein Walliseller
Siehe Bodmers Vermerk auf Brief letter-sb-1759-09-22.html. Nicht ermittelt. Eventuell handelt es sich um den aus Wallisellen stammenden Hans Jacob Radtgäb, der nach Preußen und schließlich nach Nordamerika, Virginia, ausgewandert war, wo er aber bereits 1753 verstarb.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann