Brief vom 17. Dezember 1760, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 17. Dezember 1760

Eben jezo, da ich mir eine einsame Abendstunde mit Ihnen vertreiben will, mein Hochgeschäztester Freünd bekomme ich ihren Brief vom 3 Dec. und nun habe ich diesen, und den vorhergehenden vom 13 Sept. nebst dem Brun und verschiedenen Stüken der freymüthigen Nachrichten vor mir, damit ich wegen der Menge der Sachen einmal recht lange und ausführlich mit Ihnen reden könne. Es geschieht mir zu selten, daß Lust und Muße lange Briefe zu schreiben, sich zugleich bey mir einfinden. Noch stellen sich Stunden der Schweermuth und einer niederschlagenden Einsamkeit bisweilen ein. Meine Amtsgeschäfte fangen mir an so schweer zu werden, daß ich beynahe eben so lange Zeit brauche mich davon auszuruhen als sie zu verrichten. Die wenigen guten Stunden des Tages wende ich jezo mit aller der Sparsamkeit der ich fähig bin, zu ernstlicher Fortsezung meines Wörterbuches an, die allermeisten Artikel deßelben sind entworffen und werden nun, so wie der Geist zu einer oder der andern Materie aufgezogen ist, ausgearbeitet. Ich schmeichle mir noch immer, daß auch Meister der Künste noch neües und unerwartetes darin finden, und Philosophen unerwartete Anwendungen der Weltweisheit antreffen werden. Verschiedene Artikel werden ziemlich weitläuftige Abhandlungen und auf diese wende ich die größte Sorgfalt, weil ich sie als die Grundvesten des Geschmaks ansehe. Ich habe die Abhandlung über die Fabel, als einen Raub begierig aufgefangen und ihn sehr bequäm zu meinem Gebrauch gefunden. Wenn ich nicht eben so gut für die Philosophie, als für die Künste arbeitete, so würde ich kürzer und leichter arbeiten und dadurch vielleicht den Künstlern angenehmer werden; die selten Lust haben werden, über jede Kleinigkeit mir bis in die inneren tieffen der Seele zu folgen. Ich suche aber in den Artikeln, wo die tieffe Theorie blos auf besondere Fälle angewendet wird, eine leichtere und den gemeinen Künstlern geläuffigere Sprache zuführen, als die ist, darinn ich die Hauptgrundsäze fest seze.

Die Nachricht von ihrem wiedergebohrenen Noah ist mir so wichtig, als die von einer eroberten Provinz. Bisweilen ward mir bange, daß der Undank der Welt sie davon abhalten würde: nun bin ich ruhig, da ich weiß, daß das Werk vollendet ist. Wenn Sie den Namen des Gedichts ändern wollen, so wüßte ich keinen der mehr Begriffe erwekte, als den Namen der Sündfluth. Indeßen ist der Name des ersten Weltgerichts nicht länger als des verlohrnen Paradieses, oder des befreyten Jerusalems. Unsre Sprache verstattet uns selten solche Namen zu wählen als die Ilias, oder die Argonautica. [→]Die Schwierigkeit über die etherische Posaune scheinet mir keine zu seyn. Nach dem einmal überall angenommenen System können auch die etherischen Leiber der Engel die Eigenschaften unsrer Leiber eines gröberen Stoffes annehmen. Wenn ein etherischer Mund einen menschlichen Thon von sich geben kann, so muß auch eine Posaune von selbiger Materie, gesezt es geschehe durch ein Wunder, einen Thon geben, wenngleich ein sterblicher Mund darein stößt. Das Nez hat allerdings mehr Schwierigkeit, die aber wenn man nur hinlängliche Kenntnis hat, endlich auch verschwinden. Wir haben in der würklichen Natur Beyspiele, daß eine Materie sehr leicht da durchdringt, wo eine andre, nicht gröbere, oder wol gar feinere nicht durchkommen kann. Aber gemeine Leser, möchten wol nicht so weit denken. Ich gestehe Ihnen, daß das etherische Nez für mich eine wunderbare Idee von der besten Art ist. Nur eine kleine Caprice macht sie mir weniger angenehm, da sie bey dem Hohen wunderbaren, die so gemeine NebenIdee vom Fischefangen erwekt. Da steht mir groß und klein zu nahe aneinander.

Es ist mir doch sehr angenehm, daß die Franzosen so sehr für Geßner eingenommen sind. Es kann für die deütsche Musen eine gute Würkung haben. Daß aber Geßner mehr gefällt, als Milton befremdet mich nicht, nachdem ich immer mehr überzeugt werde, daß die Anzal derer die groß denken sehr gering ist. Ich erfahre täglich, daß unter Leüten, die man weder unter den großen noch kleinen Pöbel rechnen kann, dinge ihrer größe wegen verworffen werden. Verdienste, die weit über das mittelmäßige gehen, werden allemal von den wenigsten erkennt, und es ist noch ein Glük, wenn das recht große nicht gar für klein gehalten wird. Ich sehe ohne Unterlaß, daß Leüte von den gemeinesten alltäglichsten Gesinnungen, die ich für einen Schatten der wahren Größe halte, für die fürtrefflichsten gehalten werden. Der Geschmak der Menschen überhaupt, ist noch sehr weit von der Größe entfernt, zu der er sich heben kann. Die Menschen sind würklich noch erst aus der Kindheit getreten.

Was ich von Wieland denken soll weiß ich gar nicht. Er hat mich durch ängstliches Ansuchen verleitet über mich zu nehmen seine Clementine der verwittweten Prinzeßin von Preüßen zu überreichen, und nachdem ich dieselbe dazu vorbereiten laßen, hat er mir kein Exemplar davon geschikt, und bey der Unachtsamkeit, in welche mich größere Sorgen gesezt haben, habe sehr lange nicht einmal erfahren, daß dieses Werk schon hier von jederman gelesen worden, ehe es mir zufällig zu Gesichte gekommen. Mit welchem Namen soll ich eine solche Aufführung belegen? Warum soll ich mich durch seine Schuld bey Personen von diesem Range lächerlich machen? Ich wollte doch wol, daß ihm jemand meine Empfindlichkeit über dieses seltsame Verfahren zu wißen ließe.

Aber in dem ich andre anklage, erinnere ich mich meines eigenen Vergehens gegen ihren würdigsten Freünd den Philocles, den ich nun mit einigem Stolz auch den meinigen nenne. Wenn Sie sich der Zeiten erinnern, so werden Sie wißen, daß ich seinen Brief mitten in dem ersten Schmerz über den Tod meiner Willhelmine bekommen habe. Halten Sie mich nicht für unschuldbar, daß ich in einem solchen Zustand ihm nicht geantwortet habe? Ich hätte es freylich nachher, da ich etwas ruhiger geworden thun können. Aber so groß war meine Ruhe lange nicht, daß ich ohne Wiederwillen hätte Briefe schreiben können. Auf diese Weise verzog sich meine Antwort, und Sie werden unfehlbar selber wißen, wie schweer es ist, veraltete Briefe zu beantworten. Indeßen will ich es herzlich gerne noch thun, wenn ich weiß, daß dieser würdige Man es erwartet. Aber ungeachtet die Post erst übermorgen abgeht, so bin ich doch nicht sicher, daß mir Zeit genug dazu übrig bleiben wird.

Das Ehrengedächtnis, welches ich der verstorbenen, so würdigen Freündin schuldig war sollen Sie mit erster Gelegenheit bekommen. Ich verspreche mir daß es Ihnen gefallen wird, weil sie daraus einen Charakter von raren Verdiensten werden kennen lernen. Und denn werden Sie auch begreiffen, daß mein Schmerz über einen solchen Verlust nicht alt werden kann. Ich bin über alle Maße von einem Kupferstecher aufgehalten worden, der ihr Bildnis machen sollte und es nach langem Versprechen doch nicht gemacht hat. Ich habe es hernach von einem Maler, der mein Freünd ist blos äzen laßen. In dieser Gestallt aber wird es nur Kennern gefallen. Zwey von den Töchtern der Verstorbenen geben mir große Hofnung, daß sie in die Fußtapfen ihrer würdigen Mutter treten werden. Sie sind an Geist und Gemüthe fürtrefflich gebohren, und würden mir das Leben angenehm machen, wenn das angenehme in einem so tieff verwundeten Herzen nur lange haften könnte. Die dritte, die dem Alter nach die zweyte ist, will sich noch nicht entwikeln. Ich sehe nur noch Blätter ohne Blüthen, die mir eine Vermuthung von den Früchten geben könnten. Aber ich verlaße mich darauf, daß ihr Gesichte, dem holden Angesicht ihrer Mutter am ähnlichsten ist. Gebe der Himmel, daß alle drey noch von Ihnen einen Seegen empfangen können. Es schwebt immer vor, daß ich noch das Glük haben werde, alle dreye für ihre Augen zu bringen. Die älteste, die seit 10 tagen ihr siebendes Jahr überstiegen, findet ihr größtes Vergnügen am Lesen, und hat schon ein paar Bücher für sich aus gelesen, und nun kann ich ihr die Meyerschen Fabeln geben. Sie beschäftiget sich aber auch mit Lust mit solchen Handarbeiten, die ihrem Geschlecht nothwendig sind. Ich freüe mich, auf die Zeit, da ich ihre epische Gedichte den Kindern werde so vorlesen können, wie ich sie ihrer Mutter in den angenehmsten Stunden meines Lebens gelesen habe.

Ihren dramatischen Werken sehe ich mit Verlangen entgegen. Daß Ulyßes hier zu lande wenig aufsehen gemacht, komt zum theil daher, daß die hiesige Critische Welt schon zu tükisch auf den Verfaßer ist. Das gemeine Publicum hier liest überaus wenig, und von dem was es liest sind sieben achtel französische Dinge die so bald wieder vergeßen, als gelesen sind. Es ist kaum zu glauben, wie wenig Menschen in diesem Lande lesen. Was von weitem oder von nahm zum Hofe gehört ließt fleißig um sich den Ekel des Müßigganges zu vertreiben, und da können sie leicht erachten, was diese Leichte Art der Menschen, die kaum halbe Menschen sind, liest. Von den andern ist in der Menge kaum hier und da einer, der zum Lesen Zeit hätte. Was nicht mit Wucher umgeht, hat andre Geschäfte nach welchen nichts, als Gesellschaft gesucht wird. Die ganze Art der Menschen, die gemächlich von ihren Einkünften Leben und Meister ihrer Zeit sind, fehlt hier. Es sind in Zürich gewiß zehen lesende und denkende Köpfe gegen einen in diesen Gegenden.

Ihr Brun hat mich seiner Kühnheit halber in Verwundrung gesezet. Wäre in Zürich so viel Freyheit, als in Athen gewesen, so würde er öffentlich können aufgeführt werden, da er mit Aristophanischer Freyheit geschrieben ist. Aber ich habe einen weit beßeren Begriff von ihrem Staatsgesezegeber gehabt, als mir dies Trauerspiel gegeben. Ich wünsche, daß Ihnen niemand die Untreü beweise, dieses Stük zu entwenden: Sie würden unfehlbar großen Verdruß davon haben. [→]Noch niemal hat sich Leßing schlechter aus einem bösen critischen Handel gezogen, als da er den Schimpf der parodirten Fabeln von sich ablehnen wollen. Erst hält er sich lang bey dem Capriggio auf, und kann nicht begreiffen woher Herman Axels Abneigung gegen ihn kommt. Und nach einigen Grobheiten kommt endlich der ganze Schluß dahin aus, daß in den Sachen, die parodirt werden, doch was gutes seyn müße, welches er mit einer lächerlichen Gebehrde aus einem französischen Schriftsteller beweiset. Er ist um die Zeit des Rußischen Überfalls von hier weggegangen und ist nun in Breßlau, als Secretair bey dem General Tauenzien, einen rechtschaffenen Mann. Ich glaube, daß er da so viel wird zu thun haben, daß er wenig mehr für die Critik wird schreiben können. Ramlern habe ich seit drey Monaten vorgestern zum ersten male gesehen, da er mir seine Ode auf eine Rußische Canone brachte. Sie ist, wie gewohnlich voll Klang, so sehr von Horazischer Erfindung, daß der Verfaßer nichts eigenes daran hat, als die abgeschmakte Vermischung der Mythologie mit unsern Begriffen. Er schimpft auf den Erfinder der Canonen, die beynahe einen frommen Dichter umgebracht hätten, [→]„der dich ans Sonnenlicht gebracht, hat ohne Reüe seine Mutter, seine Töchter, frolokend umgebracht ...”

Durch das frolokend, meint er den Horaz verbeßert zu haben. Dann sagt er, er sey dem Styx schon ganz nahe gewesen, hat schon das Rad des Ixions gehört, die Danaiden schon gesehen, und Minos Antliz und das Feld Elysiens und da den großen Anherrn eines größern Enkels und sein Zelt voll tapfrer Brennen, die bey jedem Nektarmal ihn feyern, der wieder sechs Monarchen ficht und wieder Satrapen ohne Zahl. Nun würd er auch mit ihnen singen, und säng izt seine jüngste That. Aber Merkur stand neben ihm und wandte durch seinen Stab den Ball, der ihn ins Reich der Nacht zu schleüdern brannte, von seinen Schläffen ab. Denn er soll noch die Laute stärker schlagen und den Helden besingen, wenn er triumfirend zurüke kommt, ein Gott Osir. Sie werden Ramlern darin nicht verkennen.

Ich muß Ihnen, um von einem immer nachahmenden Kopf auf einen originalen zu komen, gestehen, daß ich von Wegelins Schriften nur seinen übersezten D’Alembert gelesen habe, weil ich iezt würklich nichts lese, als was unmittelbar in meine Arbeiten einschlägt. Ich sehe an ihm ein aufsproßendes Genie von dem ich viel erwarte, wenn er sich etwas mehr wird entwikelt haben. Thun Sie ihm und dem Publico den Dienst, ihn anzuhalten, daß er sich etwas mehr herab laße und seinem Vortrag etwas mehr Sinnlichkeit gebe. In seinen Anmerkungen über D’Alembert hätte ich erwartet, daß er seinen Autor in einigen Stüken zurechte gewiesen hätte. Es war eine schöne Gelegenheit den stolzen und alles mit Hochtrabenden Machtsprüchen entscheidenden Franzosen zu zeigen, daß sie nicht immer Orakelsprüche reden. Ich wünschte selbst, wenn ich nur mehr Muße hiezu hätte, durch Sie mit Hr. Wegelin in Bekanntschaft zu kommen. Es macht mir doch eine große Freüde, daß ich sehe, wie viel recht gute Köpfe sich in einem so kleinen Winkel von Eüropa hervorthun, da das große und stolze Deütschland so leer an großen Köpfen, und so schwach in seinem Geschmak ist. Nun ist auch Liscow tod, wie wol er den Musen schon lang abgestorben war. [→]Gellert lebt nur halb noch unter beständigem stehnen und weheklagen. Er hat während diesem Krieg erfahren, daß er eine Menge ihm unbekannter Gönner und Wolthäter hat. Rabeners verbrannte Schriften erweken mir keine große Reüe. Ich habe niemals eine gewiße Größe des Geschmaks bey ihm gefunden. Auch gegen mich hat der zärtliche Klopstok sich sehr kaltsinnig aufgeführt. Ich hatte auf Verlangen seiner Mutter, einem seiner Brüder einen Freyplaz auf unserm Gymnasio ausgewürkt, worauf sie mir sagen laßen, daß nun das übrige mit mir soll abgeredt werden, wenn ihr Sohn, aus Dennemark nach Quedlinburg kommen würde. Er kam, und hielt für unnöthig mir wißen zulaßen, daß er wegen seines Bruders andre Entschließungen genommen habe, und ich würde noch bis jezo seine Stelle offenzuhalten suchen, wenn ich nicht zufälliger Weise erfahren hätte, daß er nicht hieher kömmt. Man muß doch am dähnischen Hof wenig Lebensart lernen.

Von Langen habe ich seit einigen Jahren nichts erfahren, als daß er in seinem Kreis Inspector, das ist so viel als bey Ihnen Capitels Dechant geworden. Soviel ich weis schreibt er noch immer mit Meyern Wochenschriften. Seine erstere Gedichte erfahren doch das ungerechteste Schiksal. Sie sind noch mehr vergeßen als die Gottschedische. Ich werde mir ein Vergnügen daraus machen, ihrer in einigen Artikeln meines Wörterbuchs zu gedenken. Zachariä ist der Übersezer der Poesies diverses. Lange hätte sollen solche Freünde haben, wie Kleist. [→]Seine Werke sind nun wieder mit großer Pracht aufgelegt, und außer der prächtigen Auflage wird zugleich eine kleinere gemacht. Gleim läßt eine kleine Medaille auf ihn prägen.

Der Hr. Brig. [→]Lochman hat doch bey der Menge seiner Beweisgründe unrecht. Der Brief ist allerdings vom König. Doch ist durch die viele Abschriften hier und da was eingeschaltet worden, als z. E. die Worte, [→]je ne communique au public que les bonnes nouvelles. D’Argens ist nun zum König nach Leipzig gereißt. Er hat sich bey der rußischen Invasion sehr ängstlich gebehrdet. Dies ist überhaupt sein Temperament.

Nicolai hat mir einen ärgerlichen Streich gespielt, wie wol er betheüert es aus guter Absicht gethan zu haben. [→]Er hat ohne mein Vorwißen mein Portrait von einem Maler bey dem es in der Arbeit war geborget und durch einen elenden Kupferstecher eine wahre carricatur daraus machen laßen, die er für mein Portrait ausgiebt und für den zweyten Theil seiner Samlung einiger Schriften über die Kunst vorgesezt. Auch mit dem Bild meiner Seel. Freündin ist mir eine Fatalität begegnet, daß ich es zulezt von einem Maler, der der Radier Nadel nur wenig und des Grabstichels gar nicht gewohnt ist, habe müßen machen laßen. Es ist dadurch für gemeine Augen unansehenlich geworden. Da ich von Ihnen einige Blumen auf das Grabmal der geliebten verlangte, meinte ich ein paar Verse, die ich unter ihr Bild sezen könnte. Die Hexameter, die Sie mir geschikt sollen meinen Kindern nach mir zum Pfand der Freündschaft dienen, die der würdigste Mann ihrem Vater und ihrer Mutter gegönnet hat, und sollen Ihnen die Begierde erweken, solches Freündes auch würdig zu werden.

Das Fragment der neüen Colombona verräth einen Dichter vom ersten Rang. Aber ich möchte wol den ganzen Plan des Dichters sehen um zu beurtheilen, wie ein Neptunus darin statt haben könne. Sie haben vermuthlich den Namen des Dichters an den Rand des Blatts geschrieben, er ist mir aber nicht leserlich. Die Fragmente von Herman und Thusnelde verrathen einen beßern Shackespear. Laßen Sie mich doch nicht in der Unwissenheit über die Namen, die mit der Zeit so glänzend werden können. Was für ein Schade für mich, daß nicht zu der Zeit [→]da ich noch in Zürich den ersten Grund zu den Wißenschaften legte, solche Leüte meine Cameraden gewesen? Welche Ehre für Sie, daß sie diese Köpfe zu ihrer Größe bestimt haben. Ein einziger ist hinlänglich Sie über den Undank der Deütschen, zufrieden zu stellen.

Wir genießen hier nach dem lezten Sieg des Königs eine sehr angenehme Ruhe, die noch weit angenehmer seyn würde, wenn die Hoffnung einer langen Dauer noch größer wäre. Es ist mir etwas nachdenkliches, daß der König den Feldzug so plözlich geendiget hat. Nicht nur bey Ihnen, sondern auch hier richten sich die Urtheile der Leüte nach den Begebenheiten. Und wie können Leüte, die niemal aus festgesezten Grundsäzen urtheilen, anders denken? Die, welche den König für einen ärgern Pyrrhus halten, kennen ihn nicht, und bedenken auch nicht, wie unvermeidlich dieser Krieg gewesen, noch wie nothwendig es noch jezo sey nicht nachzugeben. Wenig Menschen erkennen die ganze Größe dieses außerordentlichen Menschen; sie glauben seine Fehler machen seinen HauptCharakter aus, da sie doch bey der fürtrefflichsten Anlage nur zufällig sind. Welcher Fürst hat in solchen Kriegen seinen Unterthanen Millionen aus seinem Schaz ausgetheilt? Und doch hält man ihn für geizig, weil er das Geld nicht denen giebt, die es allein haben wollten. Noch neülich sind für den Landman, der von den Rußen um Berlin herum am meisten gelitten hat 400 tausend Thlr. ausgezalt worden, und der Statt Berlin wird eine weit größere Summe geschenkt. Es ist schweer von Leüten richtig zu urtheilen, die man persönlich kennt, und beynahe unmöglich von solchen, die man nur von weitem kennt.

Ich muß hier schließen, um nicht ein paar nöthige Briefe zurüke zu laßen. Ich umarme Sie von Herzen.

S.

den 17 Dec.

Haben Sie die Gütigkeit einliegendes an unsern Hrn. Rector zu fordersamsten Bestellung zu überschiken.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen II 1807, S. 328–330 (Auszug).

Einschluss und mit gleicher Sendung

»einliegendes« nicht ermittelt.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers auf der letzten Seite: »quid opinetur de memorabilibus socratici Germani Anonymi?« (Übers.: »Was denkt er von den sokratischen Merkwürdigkeiten des anonymen Deutschen?«).

Eigenhändige Korrekturen

Sprache zuführen
Sprache anzunehm zuführen
etherischer Mund
etherischer Leib Mund
herab laße
herab läßtlaße

Stellenkommentar

verschiedenen Stüken der freymüthigen Nachrichten
Vgl. Brief letter-bs-1760-09-13.html, Einschluss.
die Abhandlung über die Fabel
Vgl. Brief letter-bs-1760-09-13.html.
Die Schwierigkeit über die etherische Posaune
In Bodmers Noachide von 1765 ist schließlich vom »silberne[n] Klang der Posaune« die Rede (S. 48).
die Franzosen so sehr für Geßner eingenommen sind
Vgl. Brief letter-bs-1760-12-03.html. Zur Rezeption Salomon Geßners in Frankreich, insbesondere unter Pariser Philosophen, vgl. Ohne Autor Gessner im Umkreis der Encyclopédie 2006, S. 123–164.
Menschen sind würklich
Das Verhältnis zwischen der Verbesserung des Geschmacks und dem Erziehungsgedanken, als Programm einer »ästhetischen Bildung des Menschen«, wird auch in der deutschen Shaftesbury-Rezeption um 1750 greifbar, die Sulzers literarisch-ästhetische Arbeiten prägte. Vgl. Brief letter-sb-1746-12-27.html.
seinen Brief
Zellweger an Sulzer, Trogen, [Anfang 1760] (KbAA, Fa Zellweger: 31/B : SulzJG : 1734).
Ehrengedächtnis
Sulzer, Ehrengedächtniß, 1761. Vgl. Brief letter-sb-1760-05-27.html.
einem Kupferstecher
Nicht ermittelt.
einem Maler, der mein Freünd
Christian Bernhard Rode (1725–1797). Seit 1756 in Berlin als Maler etabliert, war Rode mit dem Kreis der Berliner Gelehrten um Friedrich Nicolai bekannt und stand ebenfalls in Kontakt mit Sulzer und Ramler. Er verfertigte Wilhelmine Sulzers Bildnis eigenhändig, wie die Signatur des Stiches belegt: »B. Rode del[ineavit] et sculp[sit]«.
Die dritte, die dem Alter nach die zweyte ist
Henrietta Wilhelmina Sulzer. Zu den Töchtern Sulzers siehe Kommentar zu Brief letter-sb-1760-02-02.html.
die Meyerschen Fabeln
Siehe besonders die »mit LVIII. Kupferstüken« illustrierte, 1757 herausgegebene dritte Auflage der Neuen Fabeln von Ludwig Meyer von Knonau.
mit Aristophanischer Freyheit
Bekannt sind die Werke des Komödienschreibers Aristophanes wegen der Schärfe und der Gnadenlosigkeit ihrer gesellschaftskritischen Satiren. In der AT widmet ihm Sulzer drei Spalten, in denen sein Witz sowohl gewürdigt als auch wegen seiner Übermäßigkeit kritisch bewertet wird. Dort heißt es: »Man kann diesen Dichter seiner Talente halber kaum genug loben, und wegen des Mißbrauchs, den er bisweilen davon gemacht hat, kaum genug tadeln. Es ist ihm nichts ehrwürdig genug, wenn er in seiner spottenden Laune ist« (J. G. Sulzer, AT, 1771–1774, Bd. 1, S. 81).
Noch niemal hat sich Leßing
Vgl. Lessings Rezension der Lessingischen, unäsopischen Fabeln im 127. Literaturbrief. In: Briefe, die Neueste Litteratur betreffend 7, 1760, S. 177–202.
bey dem Capriggio
In der Rezension greift Lessing hauptsächlich auf die erste Fabel der Sammlung zurück und hier insbesondere auf die Gestalt des »Capriccio«, dem die Rolle des Inspirationsgebers der Fabeltheorie Lessings von Bodmer gegeben wurde ([J. J. Bodmer/J. J. Breitinger], Lessingische unäsopische Fabeln, 1760, S. 3–7). Siehe Briefe, die Neueste Litteratur betreffend 7, 1760, S. 179–188.
Herman Axels
Pseudonym Bodmers.
aus einem französischen Schriftsteller beweiset
Zitat aus Claude Salliers Discours sur l'origine et sur le caractere de la parodie, 1733. In: ebd. S. 201 f.
die Zeit des Rußischen Überfalls
Die Belagerung Berlins durch russische Truppen begann am 3. Oktober 1760. Die Besetzung der Stadt erfolgte vom 9. bis zum 12. Oktober 1760. Vgl. Bremm Der Siebenjährige Krieg 2017, S. 292f.
Secretair bey dem General Tauenzien
Lessing verließ Berlin am 7. November 1760 und blieb bis Anfang 1765 im Dienst des Generals Tauentzien in Breslau. Siehe dazu Nisbet Lessing 2008, S. 368–373.
seine Ode auf eine Rußische Canone
Gedruckt als Quartheft unter dem Titel Ode auf ein Geschütz, wodurch, am Tage der Belagerung Berlins, eine Kugel, bis mitten in die Stadt getrieben wurde. Berlin den 3. October 1760.
der dich ans Sonnenlicht
Verse aus Ramlers Ode: »Wer zur Verheerung blühender Geschlechter/ Dich an das Sonnenlicht gebracht,/ Hat ohne Reue seine Mutter, seine Töchter/ Frohlockend umgebracht.« (S. 35).
den Horaz verbeßert
Ramlers Ode ist der Ode des Horaz »In arborem, cujus casu in agro Sabino pene oppressus est« (Hor. c. II, XIII) nachgebildet, in welcher sich der Dichter über einen Baum beklagt, der beinahe auf ihn gestürzt sei. In seiner 1752 erschienenen Übersetzung gibt Samuel Gotthold Lange die ersten Strophen des lateinischen Gedichts folgendermaßen wieder: »Der thats an einem bösen Tage,/ Der dich, o Baum, gepflanzt, und mit verruchter Hand/ Erzog er dich zum Untergang der Enkel/ Und Schandfleck dieses ganzen Fleckens./ Ich glaub', er habe seinem Vater/ Den Hals gebrochen, und mit seiner Gäste Mord/ Des Hauses Winkel nächtlich oft beflecket./ Der hat ein Colchisch Gift gemischet;/ Ja, was man schändlichs nur kan denken/ Verübte er, der dich hat auf mein Land gesetzt,// Du unglücksel'ger Baum, der du so leichte/ Auf den unschuld'gen Herren stürzest.« (S. G. Lange, Horaz Oden und von der Dichtkunst, 1752, S. 129. – Vgl. auch die spätere Übersetzung derselben Ode durch Ramler: »Auf einen Baum«, in Ramler Horazens Oden 1800, Bd. 1, S. 101 f.).
Dann sagt er
Teilweise wortgetreue Zusammenfassung des Gedichts Ramlers. Zu den mythologischen und zeitgeschichtlichen Metaphern und Motiven siehe die Anmerkungen in: Heinsius Der Bardenhain 1809, Teil 1, S. 53–58.
Liscow
Christian Ludwig Liscow starb am 30. Oktober 1760 in Berg, heute ein Stadtteil von Eilenburg. Seine letzte literarische Veröffentlichung war eine Sammlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften aus dem Jahr 1739. Zu Liscows literarischer Wirksamkeit und fehlendem Nachruhm vgl. Hentschel Vom Lieblingsautor zum Außenseiter 2015, S. 91–119.
Gellert lebt nur halb noch
Gellert litt seit den 1750er Jahren unter einer sich verstärkenden Depression.
Rabeners verbrannte Schriften
Rabener verlor beim Brand seines Hauses während der Belagerung Dresdens viele druckreife Manuskripte. Vgl. Brief letter-bs-1760-12-03.html.
einem seiner Brüder
Victor Ludwig Christian Klopstock.
in seinem Kreis Inspector
Lange war schon 1755 mit der »dritten Inspektion« des Saalkreises betraut und dadurch zum Inspektor des Kirchen- und Schulwesens im Umland von Laublingen geworden.
Wochenschriften
S. G. Lange, G. F. Meier, Das Reich der Natur und Sitten. Eine moralische Wochenschrift. Im Publikationszeitraum von 1757 bis 1762 erschienen 418 Stücke.
Seine erstere Gedichte
Dies deutet sowohl auf die gemeinsam mit Pyra verfassten Freundschaftlichen Lieder (1745) als auch auf Langes Horatzische Oden (1747) hin.
die Gottschedische
J. C. Gottsched, Gedichte, 1736, 2. Aufl. 1751.
in einigen Artikeln meines Wörterbuchs
Im Artikel »Ode« der AT wird Lange zwar erwähnt, jedoch erst nach den lobenden Äußerungen über Klopstock und Ramler: »Auch Lange und Pyra die es zuerst gewagt haben, der deutsche Oden ein griechisches Sylbenmaaß zu geben, und Uz stehen mit Ehren in der Classe der guten Odendichter.« (J. G. Sulzer, AT, Bd. 2, 1774, S. 839). Vgl. zur Steigerung PyraLangeRamlerKlopstock auch ebd. S. 728 u. S. 818.
der Übersezer der Poesies diverses
Die Poésies diverses Friedrichs II. erschienen bereits im Herbst desselben Jahres in der deutschen Übersetzung Zachariaes als Vermischte Gedichte. Aus dem Französischen des Durchlauchtigen Verfassers der Brandenburgischen Denkwurdigkeiten im Verlag von Christian Friedrich Voß.
Seine Werke sind nun wieder
Ewald Christian von Kleists Sämtliche Werke in zwei Teilen, mit einem Frontispiz und vielen Illustrationen, wurden aufgrund der besseren Qualität bei Breitkopf in Leipzig gedruckt und erschienen 1761 bei Voß. Bei der kleineren Ausgabe handelt es sich offensichtlich um eine weitere Auflage der bereits erschienenen Oktavausgabe der Sämtlichen Werke von 1760.
eine kleine Medaille auf ihn
Nicht ermittelt. Vermutlich wurde das Unternehmen nicht ausgeführt. Vgl. die aus Briefzeugnissen zusammengestellte Darstellung August Sauers, jedoch ohne Nachweis einer existierenden Medaille: »Gleim war der Erste, welcher an ein Denkmal für den gefallenen Freund dachte. ›Lassen Sie uns doch,‹ hatte er schon am 17. September 1759 Ramler ermahnt, ›wenn wir bei seinem Grabe genug geweint haben, darauf denken, wie wir dem unsterblichen Manne ein Denkmal setzen wollen!‹ Bald darauf trat er mit dem Medailleur Georgi in Berlin in Verbindung, um eine Medaille auf Kleist schlagen zu lassen.« (Kleist Werke 1881, Bd. 1, S. XI–LXXI, hier S. LXIX).
Lochman hat doch [...] unrecht
Zum umstrittenen Brief Friedrichs II. vgl. den Kommentar zu Brief letter-bs-1760-12-03.html.
je ne communique au public
Der ursprüngliche Satz lautet allerdings: »je ne communique au public que les espérances ou le peu de bonnes nouvelles que je puis lui apprendre« (Friedrich II. v. Preußen, Oeuvres posthumes, 1788, Bd. 10, S. 217. Übers.: »ich gebe der Öffentlichkeit nur die Hoffnungen kund, oder die wenigen guten Nachrichten, die ich ihr überbringen kann«).
hat ohne mein Vorwißen
Friedrich Nicolai ließ 1760 in der Sammlung vermischter Schriften zur Beförderung der schönen Wissenschaften und der freyen Künste (Bd. 3, St. 1, Vorblatt) ein vom Berliner Kupferstecher Friedrich Johann Kauke gestochenes Porträt Sulzers veröffentlichen.
für gemeine Augen unansehenlich geworden
Der Vergleich mit der vorherigen Aussage »In dieser Gestallt aber wird [ihr Bildnis] nur Kennern gefallen« deutet darauf hin, dass Sulzer den Brief über mehrere Tage verfasste und erst in der Zwischenzeit den fertigen Druck des Ehrengedächtnißes erhielt.
Das Fragment der neüen Colombona
Vgl. Brief letter-bs-1760-09-13.html.
Die Fragmente von Herman und Thusnelde
Vgl. die zwei eingerückten Fragmente eines unpublizierten Trauerspiels in Versen. In: Freymüthige Nachrichten, 9. Juli 1760, St. 28, S. 219 f. u. 23. Juli, St. 30, S. 236 f.
da ich noch in Zürich
Zu Sulzers Studienzeit in Zürich in den Jahren 1736 bis 1740 vgl. Sulzer Lebensbeschreibung 1809, S. 12 f. sowie SGS, Bd. 1, Einleitung, S. XVIII–XX.
den König für einen ärgern Pyrrhus halten
Vgl. Brief letter-bs-1760-12-03.html.
Millionen aus seinem Schaz ausgetheilt
Vgl. H. W. Bachmann d. J. an Gleim, Magdeburg, 19. Januar 1761: »Der beste König hat der besten Königinn am NeuJahrsTage einen eigenhändigen Brief geschrieben und ihr ein Geschenck von Zehentausend Thalern auszahlen laßen. – In Berlin ist auf seine ordre Korn aufgehaufft und unter die Armen Einwohner der Marck ausgetheilt worden.« (GhH, Hs. A 101).
einliegendes
Nicht ermittelter Einschluss.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann