Zürich den 26sten. May 1764.
Die Klage wegen einiger unruhigen ausdrüke, die Verdacht schienen, war mir nicht unangenehm, da sie so ganz freundschaftlich war. Es war doch bey mir nicht ungeduld über den Verzug der Noachide oder des Brutus als vielmehr Begierde ihr urtheil von dem Tod der ersten Erschaffenen zu vernehmen, welches stük Geßner zum Feuer verurtheilt hatte. Mein Herz gab mir Winke, daß ich die sorge für meine Hexameter zu ungereimt entdekt hätte. Lassen Sie den Brutus immer im Pulte liegen, als daß sie ihn Reichen annöthigten. Mit Gellius mag ich nichts haben. Bin ich nicht noch stolzer als stolz, daß ich den Abschlag eines Verlegers für die nichts bedeutendste sache halte. Ich denke darum meine Calliope hiesigem buchdrüker Bürkli zu geben.
Ich wollte gern die Noachide sagen anstatt gedicht von Noah. Dises wort in plurali bedeutet zwey Gedichte von Noah. Die Noachiden sind sonst auch die Kinder Noah; Ich glaube aber daß die noachide kaum gesagt werden kann wo nicht jederman denken könne, ob es das gedicht oder die familie bedeute. Ein Franzose könnte sagen die Atride, l’Atride, wenn er ein Gedicht von Atreus benennen wollte, und les Atrides, wenn er die söhne Atreus versteht. Also lasset uns die Noachide sagen.
Man sagt mir daß die Jgfr. Meisterin weit mehr standhaftes hat als gewöhnlich die Leute von ihrem schwestergeschlechte. Ich will izt noch genauer nachfragen. Es braucht schon einen festgesezten Muth, mutter, schwester, bruder, gespielen von der besten art zu verlassen, und zu fremden zu wandern. Aber wie haben wirs über den Artikel der Reisekosten?
Schuldheß vom pflug hat uns endlich die Gedichte der Karschin gebracht, und so viel porto gefodert, daß es durch die fuhr kaum so viel gekostet hätte. Noch sind drey Exemplare zu schanden gegangen, weil sie nur in Wachstuch ohne stroh geleget waren. Ich hoffe Sie können veranstalten, daß dise drey Exemplare nachgesandt werden, damit wir nicht in process mit Schuldheß kommen. Aber sie müsten dise drey stücke Hn Usteri im Thalak zufertigen, der in disem ganzen geschäft den Kaufmann und Censal gemachet hat. Er hat sich für eine subscription Gulden 6. 16. zahlen lassen und sie hatten mir doch geschrieben daß ein Friedrichdor nur Fl. 5. 20. machete. Die subscribenten sind so übel zufrieden daß ich für Zachariä nicht eine einzige subscription bekommen kann.
Die Lieder der Karschin gefallen hier gut genug, doch vornemlich weil sie von einer solchen Frau sind.
Sie werden izt den Calot und Sulzer von Rikenbach empfangen haben. Den 25sten Februar sandt ich ihnen durch die post die Veränderung in Abbadonas Klage und ein briefchen für Füßli, den ich noch in Berlin anwesend glaubte, sie haben mir niemals gemeldet, ob ihnen diese Dinge zugekommen seyn.
Wie kömmt es daß die Deutschen keinen gefallen an den Chimären haben, die sie in meinen Charaktern entdeken, da sie doch so große Liebhaber der Feen sind, daß Wieland nöthig gefunden hat den Dom Silvio zu schreiben? Unsere artigen Leser erschraken vor dem Birribinker, wie die Milchmagd in diesem Conte. Wieland wird für so geschossen gehalten als Dom Silvio und der Birribinker. Ich bin der einzige, der noch sein Wort redet. Dise Tage hab' ich mich kaum enthalten können den Timoleon und den Tarquinius Superbus in dramatischen stücken vorzustellen. Ich hätte aber mehr politik als poesie darinnen angebracht. Und die Charakter wären für den Dreßdnischen und den Wienerischen Hof Chimären geworden. Helden, wie die Helden, die in Frankfurt gekrönet worden, passen in meine Trauerspiele nicht.
Mein bester, liebster, ältester Freund, der Doctor in Trogen ist den 14 May gestorben, [→]als sein Neveu eben auf der Conferenz in Schinznach war, wohin der gute mann ihn mit seinem politischen Testament abgeschikt hatte. Man will dises Testament in den Acten der Gesellschaft publiciren, und doctor Hirzel wird sein Eloge machen, in welches einige anecdota kommen sollen. Ich habe den Confident verlohren, bey welchem meine poetischen und politischen geheimnisse verwahrt lagen.
Iseli hat die Geschichte der Menschheit geschrieben, die eine Rhapsodie von Confusion ist.
Einige mal hab ich große hoffnung, daß sie Muße und Ruhe genug haben ihr Werk zu vollenden, andere mal muß ich fürchten, daß sie mehr und mehr ihrem selbst genommen werden. Ich habe lang mit dem Herzen von ihren neuen Verbindungen geurtheilt, und den Verstand erst zur Hülfe genommen mich über den verlust von den gehoffeten scenen zu trösten, die mein alter erquikt und befestiget haben würden.
Die Hhn von Luzern haben eine Conspiration entdekt, von der sie die ursachen absichten und umstände ganz geheimnißreich verschweigen. Sie sagen nur daß man ihren Aristocratismus habe umstürzen wollen. Sie fürchteten daß die popularen Cantons mit ihren Entlibuchern im Complot wären. Es hat sich aber nicht gefunden, und es sind Leute ohne Conduite, die etwas machinirt haben. Einer war des sekelmeisters Schumachers dissoluter sohn. Sie wissen daß der Rathschreiber; izt Rathshr. Meyer seinen Vater von der Stadt hat verweisen lassen. Meyer und Balthasar sind in disem Geschäfte die patrioten und Helden. Sie haben die beste Gelegenheit, die Constitution der Republik, die in ihrem innern schwach ist, zu reformiren. Hiesiger stand hat auf die bloße Mahnung 8000. Mann aufgeboten, und Bern noch einmal soviel.
Die popularen Cantons haben auf ihren landsgemeinden den Herren die perüken und bisweilen den kopf gerückt. Der gemeine mann ist mehr wegen übler administration der pensionen und des salzes p. aufgebracht, als durch die neue Formation des Französischen Dienstes. Zürch und Bern haben eine ganz gleichlautende Capitulation geschlossen, von der wir die ratification des Königs erwarten. Wir haben sie den popularen Orten gezeiget und sie gefällt ihnen je länger je besser. Sie soll gedrukt werden, und ich will sie ihnen schiken. Bern hat in dieser negotiation mehr Interesse und Faction verrathen als politik und patriotisme. Zürich hat bey dem Ambassador sich in Ehr und Ansehn gesezet. Man hat lange mit keinem Ambassador so al pari gehandelt. Er ist ein vortrefflicher mann.
In Graubünden steht es drauf, daß ein strafgericht angesezt wird. Die Salis haben sich in einer negotiation wegen des Veltlins sehr verdächtig gemacht, daß sie mehr für sich als die Republik sorgeten. Ulysses von Salis von Marschlinz, unser freund, und ein sehr geschikter und artiger mann ist auf einer landsgemeind bald todt getreten worden. Lambert kann ihnen von diesen händeln erzählen.
Unsere häupter fluchen bey diesen Gelegenheiten der democratie, und denken nicht, daß ein theil des Fluches auf die üble regierung fallen sollte. Die Regierung und das system der Freiheit sind doch zwo verschiedne sachen.
Die Regenten der catholischen Orte haben 1715 mit Frankreich ohne befragen und mitwissen der landsgemeinden ein bündniß gemacht, kraft dessen sie dem König 16000. M. geben müssen, wenn er in seinem Reich angegriffen wird. Zug kann seinen Antheil Truppen nicht stellen, es kömmt um sieben mann zu kurz. Dieses ist was die landleute schreyen, sie seyn an Frankreich verkauft, und müssen gezwungne Dienste nehmen.
Der Füßli der in die Giesserey von Berlin hat kommen sollen hat izt eine Fähndrichstelle in unserm holländischen Regiment bekommen.
Die Regimentsbesazung in Bern hat den Fortgang gehabt, und etliche von unsern schinznachern sind promovirt worden.
Sie haben doch meine kleinen zusäze zum 10. 11. und 12ten. Gesang der Noachide empfangen.
Ich hoffe unsers lieben Lamberts Organon empfiehlt ihn dem König besser als seine persönliche Aufwart. Er wird künftig noch unentbährlich. Meinen besten Gruß diesem außerordentlichen mann.
Wir haben hier zuerst durch sie innen worden, daß Füßli in London angekommen ist. Er hat seinen Freunden nicht Wort gehalten daß er ihnen aus Amsterdam schreiben wollte. Daß er bey dem Grafen von Bute nicht untergekommen, machet mir nicht soviel mühe, als daß Millar ihn nicht brauchen kann. Wenn er nur auch besser für sich selbst sorgen könnte. Ich fürchte seine Vignettes zur Noachide bleiben zurüke. Doch könnten sie allemal nachgeschikt werden; wenn es nicht nöthig wäre, sie in das Werk selbst abzudruken.
Meines Philocles Verlust ersezen mir izt Lavater und Heß. In wenig wochen geh ich mit dem Chorherrn nach Winterthur, wo wir weinen werden daß der nicht bey uns ist, auf den wir gehoffet hatten. [→]Der Dechant Frieß hat einen schweren Zufall gehabt, er ist noch nicht entronnen und unser Waser müste pfarrer werden, ob er gleich mit seinem izigen müßigen stand besser zufrieden wäre. Unser Burgermeister Löwe drohet auch mit seinem Abschied. Zwischen Heidegger und Escher ist eine große Kluft in Absicht der Verdienste und der Einsichten; in absicht auf auram popularem halten sie einander sehr die wage.
Ich habe ihre desideria wegen der Jgfr. Meisterinn vollkommen wol begriffen, und ich gehe darüber auch mit Breitinger Lavater und ihrem Oncle von Küßnacht zu rathe. Wir müssen uns übelbetriegen wenn sie nicht die person ist, die sie nöthig haben. Doch will ich noch mit der äussersten sorgfalt ihr herz und gemüth erforschen. Sie ist schon einmal bey mir gewesen und wird izt widerkommen. Tausend Grüsse von mir und keine Wunde noch narbe einiger Wunde.
Bo.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a.