Zürch den 27st. März 1764.
Gegenwärtiges blatt wird ihnen ein junger Mensch von hier übergeben. Sein papa ist Hr. Zunftmeister Wyss, den sie, mein liebster freund, hier gesehen haben; dieser ist unserm director Schuldheß, Hrn. sekelmeister Heidegger und mir selbst ein guter, brauchbarer, lieber mann.
Sein sohn reiset als ein passagier. Ich soll sie bitten, daß sie ihn die 14. tage die er in Berlin seyn wird, in ihre Clientel aufnehmen, wenn er ihres rathes, ihres schuzes, nöthig haben möchte. Er ist aber so wol ⟨morigenirt⟩, daß ich glaube, er werde ihrer hülfe nicht bedürfen.
Hr. [→]Zeugherr Füßli ist noch entschlossen seinen sohn wegen der königlichen Giesserey nach Berlin zu schiken, er möchte aber gern, daß einer von den herren der Gießerey ihn so unter seine Disciplin nähme, daß er ihm täglich arbeit vorschriebe, und die pünktlich von ihm foderte. Er würde diesem Aufseher gern eine belohnung geben, und der junge mensch müste ohne lohn arbeiten. Weiter möchte er ihm bey einem ehrlichen bürger einen bürgerlichen tisch haben, und wissen, was ein solcher wochentlich oder monatlich kostete. Geben sie mir über dieses alles einige positive und exstensive nachrichten.
Hr. sekelmeister Orell wünschte auch daß sie ihm directe zuschrieben, daß der Prinz von Würtenberg ihnen ein solch ansehnlich Geschenk gemacht. Er sollte dann ihren bericht seinen Principalen vorlegen können. Ich wollte ihnen dergl. geschäfte gern ersparen, wenn ich allemal könnte.
Sie, mein theuerster, haben uns ein starkes beyspiel gegeben, daß sie nicht nur gut sondern tugendhaft sind. Sie haben die stärke gehabt nicht nur für sich sondern auch für andere gut zu seyn. Wie messen nach unserer eigenen Empfindung wie viel dise Entschliessung sie gekostet hat. Die Zärtlichkeit, die sie zu ihren besten Freunden hinzog, war zwar von den unschuldigsten, aber sie war doch zu einer Leidenschaft geworden welche Großmuth erfoderte, überwältigt zu werden. Hätten sie selbige nicht überwunden so wäre die Sphär ihrer Würksamkeit eingeschränkt geblieben; das gute, das sie auf die jungen Edelleute fortpflanzen können, wäre hinterstellig worden, der könig hätte sie der undankbarkeit, ihre Berlinischen Freunde des Capriçe beschuldiget.
Man muß uns doch erlauben den Verlust ⟨den⟩ wir an ihnen erlitten haben, ganz zu empfinden, damit, ⟨indem⟩ wir ihn eben so großmüthig ertragen, wir auch etwas ⟨von der⟩ Tugend beweisen, die wir an ihnen loben. Sie haben das ⟨Gefühl⟩ unserer zärtlichen Betrübniß in ihrem eigenen Herzen, sie ist am lebhaftesten bey den Freunden von der ersten Grösse, die sich noch ein langes leben versprochen, und hoffnung hatten Sie lang bey ihnen zu geniessen. Die Freunde von der zweiten Grösse haben ein unvermischtes vergnügen, daß der König sie geehret hat. –
Morgen erwarten wir unsere Lavater und Heß; Lavater wird seinen guten [→]papa nur noch halblebend sehen. Nur die begierde s. sohn noch anzuguken, hält ihn im leben auf. Ich will ihnen bald von einer Gouvernante für ihre liebsten Töchterchen schreiben. Ich erwarte alle posttage ihre urtheile über die Noachide und den Tod des ersten Erschaffenen.
Kl. von Angesicht zu sehen, muß bey Füßli grosse Würkung gehabt haben.
Schonen sie diesen Poesien aus Freundschaft für mich nicht im Wenigsten. Seyn sie gerecht, selbst gegen ihren
aufrichtigsten diener Bo.
Der rathschreiber Iseli hat wieder ein unrepublikanisches schwaches buch publicirt: philosophische Muthmassungen über die Geschichte der Menschheit. Mich verlanget sehr von Lavater und Heß zu vernehmen, ob Sie [→]den Tod des ersten Erschaffenen so elend gefunden haben, als Geßner ihn fand. Ich wollte gern auch wissen, ob Hr. Probst Spalding ihn ebenso schwach findet. Ich hoffe Füßli werde den Engelländern sagen daß der Noah, den sie in der Übersezung haben, nicht die Noachide sey; wie ihre übersezte Messiade nicht Klopstoks Messias ist.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a.
A Monsieur Soulzer professeur et de l'academie des sciences à Berlin.
Der Brief wurde durch Hans Jakob Wyss aus Zürich überbracht.
Vermerk Sulzers am oberen Rand der Umschlagseite: »27 März 64.«