Aus ihrem wehrtesten vom 30sten May kann ich nicht klar sehen, ob Sie meinen brief vom 13ten März empfangen haben. Ich wünschte den frieden so sehr, daß ich ihre herkunft gern will verzögern laßen, wiewol wenige Dinge sind die ich sehnlicher wünsche als sie noch einmal mit den leiblichen Augen zusehen. Wie süß muß ihnen die Ruhe dünken nach so vilfältiger Unmuße! Ich habe ihnen den Noah nicht geschikt, weil ich einige Vermuthungen hatte, daß Sie in die Schweiz kommen würden. Izt wartet er auf eine Gelegenheit zu ihnen zu reisen. Hiesige preßen sind so beschäftiget, daß er da nicht unterkommen kann. Wenn ich ihre Beystimmung hätte, so wollte ich den Titel machen: die Noachide. Hr. Ustery in Thalaker, ein reicher Kaufman, hat die meiste mühe für die Karschin übernommen, von ihm bekommen sie die Nahmen der Ueberschreibenden. Geßner hat nichts für sie gethan. Haller soll diese Poetin ungemein loben; warum hat man doch versäumt ihm dergleichen Auftrag zu machen, den man mir unwürdigen gemacht hat? Ich stehe sehr ungereimt neben Uz. Weise hat Geßnern sein Herz angetragen und Geßner ist nicht entfernt es anzunehmen. Es sieht einer Conspiration nicht ungleich. Die Amazonenlieder sind elegante Tändeleyen, wenn Eleganz dort seyn kann, wo alle Weiblichkeiten der Natur verstimmet sind.
– [→]Spight of all philosophers
who hold not female stout but bears.
[→]Stripe natur naked to the Skin,
You’ll find about her no such thing.
Nicolai raset gegen meine trauerspiele; noch sind hier leute die ihm seine verdammung nachsprechen. Der übersezer des sophocles lobet ihn übermässig.
Klopstok hat in einem raptu an Schuldheß geschrieben; ich schiene ihm nicht gleichgültig zuseyn. Senden sie beylage in ihrem eigenen oder eines kaufmanns couvert nach Hamburg.
Unser liebe Schuldheiß Sulzer hat eine Apologetique an die Herren von Zürch geschikt, die usque ad invidiam applaudirt wird. In wenig tagen geh ich nach Tös und Winterthur, da versprech ich mir goldene Tage. Sollen unsere Freunde dort, Basler werden, damit sie nicht weniger als Züricher seyn? Mit einer gewissen Aufführung könnten doch die braven W.. sich die Herzen der braven Z... eigen machen. Aber Iliacos intra ... Ich nehme mit mir nach W. den Cäsar, den Cicero, und Staufach. Ich bin vor einigen tagen [→]über die stufe des Alters getreten, in welchem der gute Cicero ermordet worden. Könnte ich in diesem Alter noch Lebhaftigkeit genug haben, ein Drama von seinem tode zu schreiben? Ich habe doch das herz gehabt, die gerechte Zusammenschwörung zu schreiben. Ich schildere die ersten Eidsgenoßen in ihrem schönsten Gesichtspunkte. Izt muß ich fürchten, das [→]Tell und Baumgartner und Staufacher in Rousseaux Gericht gefallen seyn. Rousseau theilt unser Zürich in kleine Factionen. Der Christ in der Einsamkeit wird von unserm Antist. und unsern Theologis verurtheilet und verdammt. [→]Sie hätten Schaden nicht in eine irdische Insel, sondern in den Achäron relegirt Rousseau ein vortrefflicher Mensch und kein Christ; Lessing, Nicolai böse dieben, und Christen. Denn gewiß kommen dise niemals in gefahr verbrandt zu werden denn sie leugnen die Religion nur zum scherz. Wegeli hat beherzigungen der Moserischen beherzigungen geschrieben. Wegelin ist ein logicalischer kopf; Moser ist nur ein Declamator – Sie müßen die Abhandlung von den schönheiten in der mahlerey lesen, die hier herausgekommen sind. Mengs, der große mahler, ist der verfaßer, der izt in Madrit bey dem König ist, aber sehr unzufrieden. Breitinger hält viel auf seiner metaphysischen sprache, Lambert wenig.
[→]Wer hat die Anmerkungen zum Gebrauch der Kunstrichter die socratischen Denkwürdigkeiten, und die Wolcken gemacht? Er hat den Nicolai zerschmettert. Was für ein Dieb ist der bruder dieses Nicolai?
Von der patriotischen Gesellschaft, deren die Literatur Briefe gedenken wuste man hier noch nichts; es mag wol nur eine Erdichtung seyn, die Gelegenheit zu einer solchen geben sollte. Erst [→]im May haben sich in Schinznach etliche wakre, wolgesinnte Herren aus verschiedenen Cantons versammelt, die einmal eine solche Gesellschaft werden könnten. Ich war nicht bey ihnen, doch haben Sie mich auch aggregirt. Es waren auch aus den catholischen Cantons etliche rechtschaffene Männer bey ihnen. Hr. stadtschr. Sulzer hat auch zu ihnen kommen sollen, wenn ein fiebrischer Anstoß ihn nicht daheim behalten hätte.
Allererst endekte ich, daß die freymüthigen Briefe zum theil aus der feder eben des geschikten mannes gefloßen sind, der die Anmerkungen zum Gebrauche der Kunstrichter geschrieben hat. Es wäre sehr vorträglich, wenn Sie mit ihm in bekanntschaft kommen könnten. Dann wollte ich sie bitten, daß sie ihm den umgebildeten Noah in der Handschrift zeigen sollten. Ich wollte ihn nicht gern auf die herausgabe warten lassen, die sich noch sehr lange verziehen könnte. Denken Sie daran.
Ich umarme Sie.
Bo.
Z. den Julius 1762.
Grauenvoll war die rolle die Gottes richtende Vorsicht
[→]en voici d’autres qui viennent de Vienne:
Græca fides titubat, sed nos solatur id unum
Post Galli cantum pœnituisse Petrum.
Es wäre uns sehr lieb particularitäten von dem sonderbaren Menschen zu vernehmen, der die Anmerkungen zum Gebrauch der Kunstrichter verfertiget hat. Er kann eine gute Reformation in der literatur machen. Es ist schade, daß er nicht mit ihnen bekannt ist. Man erwartet daß die Nahmen der subscribenten publicirt werden. Das thut seine Würkungen.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a.
A Monsieur le professeur Soulzer de Berlin presentement à Magdebourg dans la maison de Mr. Bachman.
Brief Bodmers an Klopstock. – Gedicht »Auf Peter den III.«.
Blatt an Siegelstelle abgerissen. – Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »Jul. 62.«