Brief vom 3. März 1764, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 3. März 1764

Berlin den 3. März 64.

Der lezte Brief, den ich Ihnen, mein theürester Freünd, heüte vor acht Tagen durch Hrn. Lavater zu geschikt habe, wird Sie zu dem Inhalt des gegenwärtigen schon vorbereitet haben. Gerade zu der Zeit, da ich glaubte den lezten Band aufzulösen, durch den ich an dies Land angeheftet war, wurden neüe Ketten für mich geschmiedet. Aber es sind Ketten von Gold. Der König hat sich so sehr gnädig gegen mich herausgelaßen, daß ich ohne den Monarchen zu beleidigen auf meiner Bitte mich ganz seiner Dienste zu entlaßen, unmöglich bestehen konnte. Da man aber doch dabey erkennt hat, daß ich das Lieblings Projekt meines Herzens mußte aufgeben, so wurd mir der bittere Trank mit Honig vermischt. Außer einem jährlichen Gehalt von 300 Rthlr.. bey der Academie hat mir der König eine außerordentliche jährliche Pension von 1000 Rthlr.. angewiesen, so daß ich izo jährlich über 2 Tausend Gulden von dem König genieße. Die überaus gnädige Art auf welche der Monarch sich noch dabey herausgelaßen, erhöhet den Werth dieser Belohnung noch ungemein. Man verlangt dafür meine Dienste bey einer Neüen Ritter Academie, welche hier soll errichtet werden in der 15 Junge Edelleüthe auf Königliche Umkosten sollen so unterrichtet werden, daß sie zum Dienst des Königs und des Landes vorzüglich geschikt werden. Es wird aber vermuthlich noch eine weile anstehen, bis dieses Projekt seine Reiffe erlanget hat. Auf diese weise werde ich aufs Neüe von meinem Vaterlande und meinen Freünden getrennet. Was ich dabey fühle und was für zärtliche Blike ich auf die gehoften Scenen der angenehmen Ruhe, die ich mir schon als würklich vorgestellt hatte, zurük werffe, läßt sich beßer empfinden, als beschreiben. Da ich mir schon sehr gut angewöhnt hatte, allem Überflus zu entsagen, und mit einer Spartanischen Lebensart zufrieden zu seyn, so können keine Einkünfte, die ich hätte mißen können, mir das ersezen, was mir an Vergnügungen des Herzens abgehet. Nur die Furcht den Monarchen nach so vielen Gnadenbezeigungen zu beleidigen und etwas zu thun, das alle meine hiesige Freünde für eine Ausschweiffung würden gehalten haben, hat mich vermocht, mich von Neüen halten zu laßen. Und da auch der Prinz von Preüßen mir bezeüget, daß dieser Entschluß ihm Vergnügen mache, so hoffe ich, daß keine Zeit kommen werde, da mir mein iziges Betragen Reüe erweken werde.

Durch meine Reise nach Potsdam hoffe ich noch dieses Gute ausgewürkt zu haben, daß wir den fürtrefflichen Lambert hier behalten werden. Ich habe ihn dem König so antragen laßen, daß Se. Maj. gleich Lust bekamen ihn selbst zu sprechen und diesen Morgen ist er nach Potsdam abgegangen. Der König ist zum Voraus von seinem blöden und furchtsamen Äußerlichen Wesen unterrichtet und sagte; Er wollte ihm die Unterredung dadurch erleichtern, daß er ihn des Abends, nach dem er die Lichter ausgelöscht, wollte vor sich kommen laßen. Wenn es mir gelingt den Lambert der Academie zu schaffen, so glaube ich mehr für diese gethan zuhaben, als Maupertuis und Euler.

Da es mir heüte an Zeit fehlt mehrere Briefe zu schreiben, so ersuche ich Sie, meinen Freünden in Winterthur von dieser Verändrung Nachricht zugeben. Die Hoffnung, Sie alle noch einmal zu sehen, ist deßwegen noch nicht ganz in mir ausgelöscht. Unsre Freünde Lavater, Heß und Füßli, haben meine Wiederkunft aus Potsdam nicht abwarten wollen; aber ich habe sie doch in Potsdam noch gesehen. Hr. Lavater hat mir einige Hoffnung gemacht, daß ich vielleicht in Zürich eine Person finden könnte, der ich die Erziehung meiner zwey Kinder unter meiner Aufsicht anvertrauen könnte. Er sprach mir von 3 Töchtern, die der Muralt, der ehedem am Fröschen Graben gewohnt hat, hinterlaßen, davon eine vielleicht sich dazu würde gebrauchen laßen. Ich ersuche Sie diesem Projekt eine Stunde einer ernstlichen Überlegung zu gönnen, da die Erziehung dieser Kinder eine meiner ernstlichsten Sorgen ist, so möchte ich die besten Mittel dazu erwählen und keine Umkosten scheühen. Wenn eine jährliche Belohnung von 200 Gulden, nebst allem, was zum Unterhalt dienet noch nicht hinlänglich sollte gefunden werden, eine rechtschaffene Person zubekommen, so würde ich auch noch ein mehrers thun können.

Empfehlen Sie mich der werthesten Fr. Profeßorin und meinen Freünden.

Ich umarme Sie von Herzen.
JGS.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Anschrift

A Monsieur Bodmer celèbre Professeur à Zürich frcò Nurnberg

Eigenhändige Korrekturen

dem König so antragen laßen
dem König ⌈so⌉ antragen laßen
mir heüte an Zeit fehlt
mir iztheüte⌉ an Zeit fehlt

Stellenkommentar

Ketten von Gold
Siehe auch den undatierten Brief Bodmers an Zellweger, [Zürich, Ende März] (ZB, Ms Bodmer 20.13, Nr. 9): »Sie wissen kaum noch daß der könig uns unsern Sulzer genommen hat, er hat ihn mit ketten von Gold angeschmidet. Er hat ihm eine außerordentliche pension von jährlich 2000 Reichsth. angewiesen. Ohne die so er von der Academie hat. Dafür verlangt er seine dienste bey einer neuen Ritteracademie. Sulzer hätte alle diese Verehrungen gern gemisset, und wäre bey seinen freunden im Vaterland mit einer spartanischen Lebensart zufrieden gewesen wenn er nicht gefürchtet hätte undankbar zu scheinen und den monarch zu beleidigen.«
Neüen Ritter Academie
Die von Friedrich II. neu gestiftete »Académie royale des gentils-hommes« oder Königliche Ritterakademie in Berlin. Sulzer gehörte zu den ersten berufenen Professoren und bezog dabei aufgrund seiner langjährigen Dienste bei der Akademie der Wissenschaften das höchste Gehalt. Zur Neugründung und Geschichte der Ritterakademie vgl. G. Friedlaender, Die Königliche Allgemeine Kriegs-Schule, 1854, S. 41–47 (zu Sulzer, S. 63–66).
der Prinz von Preüßen
Heinrich von Preußen.
Lambert hier behalten
Vgl. Kommentar zu Brief letter-sb-1764-05-08.html.
meiner zwey Kinder
Sulzers Töchter Elisabetha Sophie Augusta und Henriette Wilhelmina.
3 Töchtern
Johann Melchior von Muralt (1678–1734), Erbe der erfolgreichen Textilhandelsfirma »Martin Muralt« in Zürich und Begründer des eigenen Handelshauses »Am Graben«. Von seinen 18 Kindern überlebten drei Söhne und drei Töchter, die alle vor 1724 geboren waren (Weisz Wirtschaftliche Bedeutung der Tessiner Glaubensflüchtlinge 1957, S. 526). Zur Unterredung mit Lavater und dessen Bemühungen um eine Erzieherin für Sulzers Töchter vgl. auch Sulzers Brief an Lavater, Berlin, 20. April 1764: »Für ihre gütige Bemühungen und Vorschläge wegen einer Hofmeisterin für meine Kinder bin ich Ihnen sehr verpflichtet. Es freüt mich, wenn glüklichere Umstände die M. Muralt abhalten aus Zürich zu gehen. In Ansehung der anderen Vorschläge muß ich Sie bitten ja nicht an M. Bondeli zu denken, weil ich versichert bin, daß diese es sehr übel nehmen würde, wenn Sie erführe, daß man sie einer solchen Sache halber in Vorschlag gebracht hätte.« (ZB, FA Lav Ms 528).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann