den 4ten 7b. 1765
Theuerster.
Ich komme mit Breit. und Dr. Hirzel von Wintert. zurük, wo ich etliche freundschaftliche Tage gelebt. Wie oft rufte ich Sie zu uns ihnen zu sagen, wie sehr ich sie für die Bemühungen mit der Noachide segne, für die ansehnlichen umstände, in welche sie unsern Wegeli gesezt haben, für die nachsicht gegen die Jgfr Meist. Ein Brief ist zu schwach die Empfindungen zu fassen, die ich für alle diese Gütigkeit habe. Und es kömmt mir wol zu statten, daß sie in meinem Herzen lesen können. –
[→]Der Rector klagte, daß sie für ihn lebendig todt seyn. Sie müssen es ihm verzeihen, er hält jeden Gedanken, jede Bewegung von ihnen theuer, und er kann nachrichten davon nicht ohne Wehmuth entbähren. Er erzählt immer historietten, und machet Grimaçes, die dem jünglinge so gut angestanden. – Wenn er ein König oder ein Schuldheiß geworden wäre, so hätten wir einen despot gehabt. – Er hat große Achtung für seine Vaterstadt und lauter Verachtung für seine Mitbürger. Er mischt sich noch allezeit in Rathsintriguen.
Der schuldheiß macht den Rath Entschliessungen gebähren, die diser nicht gedacht und nicht gewollt hat. An der ringmauer außer dem Holderthor ist in einer sumpftigen Tiefe ein Fondament gegraben, welches einen palast tragen könnte, und es soll nur einen Holzschopf tragen. Er hat mit unserm Ziegler einen tag zugebracht in den entlegensten gründen des Waldes die maschine zu probiren, die ganze Bäume aus der Wurzel hebet; damit die Bauern nicht lacheten, wenn der Versuch nicht geriethe.
Der Diaconus ist immer der gutherzigste Satyriker. Damit er die Männer die seinen Hudibras verworfen haben, besser fände, als sie sind, schreibt er ihnen Dummheit für Bosheit zu. Izt übersezt er aus den ⟨Harvejanis⟩ Briefe der preßbyterianer, die des Hudibras prototypus sind. Sein Weib hat ihm Zwillinge gebohren; der Rath hat ihm dazu mit einem saum Wein gratulirt, das ihn herzlich gefreut.
Heß von Neftenbach hat für seine Gesundheit zu sorgen. Sein Neveu macht ihm viel freude durch die bekanntschaft die er mit Lavater, Heß und Füßli hat. Derselbe schreibt izt die Geschichte Jesu mit verfeinerten Zügen. Ich habe ihn und Lavatern beredet, daß sie ein Gedicht von dem Knaben Jesu schreiben sollten.
In Winterthur ist mehr Pracht als in Zürich. Junge Leute von da haben mit diamanten mitten in unserer stadt groß gethan. Dr. Hirzel hat den Schuldheiß gedrohet, daß man genöthigt würde sie für hiesige Reformationskammer zu laden, weil es an der Municipalstadt ein ungereimter troz wäre. Gegen zehn Töchter von Winterth. sind reisefertig nach Neufchatel zu gehen, da französische sitten zu lernen, die man in W. und Z. nicht kennen sollte. Der Steiner zum Geist hat sein gutes haus nidergerissen und zum glük ein anderes gebaut, das mehr Geschmak hat, als alle andern neuern Gebäude. Wenn die Winterthurer, die hier studieren nach haus kommen so weissage ich daß sie Sentimens, Frugalität, und Verachtung des Schimmers mit sich heim bringen werden. Sie lernen Kaufmannsschaft geringer, und Cultivation höher schäzen. Sie machen sich tüchtig Gesellschaften zu stiften, die Künzli in Winterthur zum besten der sitten und der politik hätte stiften sollen.
Ich habe die politische Gesellschaft, die sich auf der Gerberzunft versammelt in zwo Classen getheilt, Ordinarios und Honorarios. Jene sind geschikte junge männer die sich zu gewissen arbeiten verbindlich machen. Diese sind parterre, die doch auch Erlaubniß haben zu arbeiten, zu lesen, und zu urtheilen, aber auch ungetadelt schweigen und zuhören dürfen. Gewisse Leute sehen nicht gern daß diese Gesellschaft sehr zahlreich wird; denn sie finden es gefährlich daß man politische säze untersucht, die weiter führen, als man es haben will. Aber die Gesellschaft ist zu stark und zu wolgesinnt als daß man sie unterdrüken könnte.
Vögeli hat einen plan einer öfentlichen Coffeesocietät herum geboten, der gegen 100. Subscribenten erhalten. Man sollte da nicht spielen, und nur plaudern. Der Ort der Zusammenkünfte sollte das neue zunfthaus zur Meise gewesen seyn, aber Hr. statthalter (Escher) hat sich widersezet, vermuthlich aus raffinirter politik.
Unser oberste schulrath, Hr. sekelm. Heidegger à la téte hat gefunden, daß eine gemeinnüzigere Einrichtung unserer beyden parallelschulen vom Großen und vom Frauenmünster könnte gemachet werden. Hr. Canonicus Breitinger hat in einer deswegen errichteten Commission ein Gutachten durchgesezet, welches die schulen geradezu für bürger, handwerker, und künstler nüzlich machete. Er hat ein anderes gutes werk gethan, er hat eine architektische apologie für die MünsterKirche aufgesezet, der hoffen läst daß der Untergang der ihr geschworen war, werde verhütet bleiben. Es ist wunderbar welchen pruritum einige Herren haben dieses starke Münster niederzureißen, sie schreyen es sey gothisch und mehr als gothisch, catholisch; und das Helmhaus, das Schindhaus mitten in der stadt, wollen sie stehn lassen. Und sie schämen sich nicht, daß man unweit von meiner Hausthür über die zusammengestürzten ruinen auf das glacis gehn kann, mit gemächlichern tritten als Japhet durch den Schenkerweg in das paradies gieng. Ich wollte mich weniger schämen disen krebs unsers Aerarii untergehen zu lassen, und für die befestigungen Obst und Weingärten anzulegen. Ich fürchte der luxe sey würklich aus dem privatstand in den publiken getreten. Noch nüzlich genug ward auf dem Tag zu Baden beschlossen, eine brüke über die Limmat für die Fähre bey Wettingen zu bauen.
Ich fürchte oft die Schinznacher behaupten das lob nicht, das Moser in dem stük von dem deutschen Nationalgeist ihnen gegeben. Man hat Symptome von Eyfersucht in allzukleinen sachen unter ihnen bemerket. Ihre arbeiten sind nur Reden, Lobreden. Es ist an den tag gekommen, daß ihr Mitglied, Schmied von Arau, in Deutschland eine Frau hat, indessen daß er einer ehrlichen tochter die Ehe versprochen und sie gefällt, und es auf die infamste Weise geleugnet, bis er überzeugt worden. Ich zweifle daß man das herz habe ihn aus der Gesellschaft zu verstossen. Doctor Hirzel, Lavater und Füßli empfangen Briefe von Prinz Louis, es ist als ob er sich vorgenommen den Prinz zu verleugnen.
Füßli hat seine Cousine aufgegeben und eine Nieçe von unserm Director Schuldheß geheurathet, mit der er izt im Schlößle auf dem Zürichberg haus hält. Die liebe zum landleben ist sehr lebhaft bey ihm, aber noch mehr bey seinem Liebling, dem junker Meisen im Winkel, Jkr. Obrist Meisen [→]S. sohns sohn, der ex professo ein Cultivateur werden will und schon alle arbeiten eines bauern verrichtet.
Es ist sonderbar, wie einige unserer besten studenten die phantasie haben mit ihm einen BauerHof zu bewerben. Sie haben schon zum apprentissage den Bauern schneiden helfen, die probe zu machen, ob sie hize, schweiß, und regen ausstehen mögen. Ich fürchte sie fangen es zu spät an. Ihr jüngerer Neveu von Husen hat es zur rechten Zeit angefangen, und man hat ihn sehr gerühmt, wie gut er sich auf Feldgeschäfte verstehe.
Wielands Muse ist eine Meze geworden, die sich dem leichtfertigsten Leser in die Arme wirft. Er ist der ärgere Abbadona. Die Uzen und Gersteberger thun ihm seine Verdiente Strafe, daß sie ihn nicht wieder in ihre anacreontische Kirche aufnehmen. Doch diser Ganymedes wäre vor 14 tage bald bürgermeister in Biberach geworden. Ihm fehleten wenig stimmen; ein mensch von 30. jahren ist ihm vorgekommen.
Von der Noachide sind wenig Exemplare in hiesige buchladen gekommen, die augenbliklich vergriffen worden. Meine zwanzig Exemplare sind mir durch die finger hinabgefallen; Lavater, Füßli, Meister von Küßnacht, Dr. Hirzel sind davon in Entzükung gekommen, aber die Verfaßer des Junius Brutus, der tragischen schaubühne der Griechen, der Weinlese – haben nichts ungewöhnliches dabey verspürt. Ohne Zweifel weil sie an Ecstases gewöhnt sind.
Hr profess. Ulrich (nicht der Theologus) [→]übersezt Osterwalds Erklärungen über das neue Testament. Er hat die ersten bogen davon in die Censur gegeben, und schon findet unser Antistes ärgerliche [→]Notulas darinnen quæ prudentius omitterentur. Und doch enthalten dise notulæ nichts als was Calvin und Bullinger disertis verbis gesagt haben. Kann der Neid so dumm seyn?
Ich frage allen Gelegenheiten nach Ihnen gedrukte stüke zuzufertigen. Und es sind noch mehr unter der presse, die sie ganz nahe zu meinem geist führen werden.
Diesen Augenblik war Hr. Jezeler von Schafhusen bey mir. Ich habe in meinem leben keinen Schafhuser angetroffen, der mehr nach meinem sinne gewesen wäre. Er kam von einer Reise auf die Alpen.
Die Landleute von Schwyz sind ruhig seitdem Pfeil, einer der Demagogen entlaufen ist; und der König ihren Nahmen in den Briefen, die Er den Cantons schreibt, ausgelöscht hat. Sie halten dises für gewinn.
Rousseau schreibt einen tractat von der musik, und einen Code de loix. Montmollin hat sich elend gegen ihn verantwortet. Was für ein elender mann ist der Hofrath Geiger von Cassel, der den Contrat social übersezt und injurirt hat.
Die porcellaine fabrik hier, in der unser Geßner associrt ist, wird immer vollkommner. Sie nimmt sich in der form der gefässe und den zeichnungen aus. Diese sind grossentheils von dem Poeten Abels, und er würdigt, sie seinen Nahmen darauf zu sezen. Ich denke, diese stüke werden einmal um deßwillen gesucht werden; schade daß man nicht von jedem stüke Editionen machen kann.
Noch etwas von Schwyz: das herz ist bey vielen wieder zum Landamman Reding zurükgekehrt. Man hat ihm angeboten ihn wider zu dieser Würde zu erheben. Er entschuldiget sich aber mit seinen unzulänglichen Mitteln. Viele haben ihm ihre portion Beute von seinen Büßen zurükgegeben.
Leben sie so stille, so munter und zufrieden wie bey seinen vielen jahren
Ihr ergebenster freund B.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.