Vierzehn tage im Antliz der Freunde von Winterthur gelebt, waren so heiter als es die Erinnerung zuließ, daß Sulzer nicht mehr da war. Wir waren in unserm freundschaftlichen schwindel muthwillig genug ihnen Arbeiten de commande, dAlembert zum præsidenten, abtrünnige freunde, zu wünschen, damit W.r die Reize gewönne, welche B.n darüber verlöhre. Wir erwähleten Sie zum zweiten schuldheiß der stadt, in der wir so viel süße stunden zugebracht haben. Wir sahen unter ihrer Regierung eine pflanzstatt der Mäßigkeit und Arbeitsamkeit entstehen. Aber alles war poesie, von dem ganzen Sulzer nicht ein redendes Blättgen! Jeder Posttag betrog uns. [→]Von Bart, dem size der unschuld, kommen die briefe häufig und von hier gehn sie eben so häufig dahin. Noch beruhiget uns die Zufriedenheit dieser jüngern Freunde nicht völlig bis wir vernehmen, daß Füßlis schiksal entschieden ist, und Sulzer vergnügt ist, wo er ist. Uns hier hat weder der abgebrandte helm des münsterthurmes, noch die hauteurs des marquis d’Entraigue in unserer gleichmüthigkeit gestört. Wir haben uns mit dem Homeristen getröstet, der den helm beweint hat; und sind zufrieden daß man dem thurm für den helm eine haube aufseze, die einer so zarten stadt beßer ansteht. Dentraigue schrieb uns [→]que le Roi retire la nouvelle constitution et qu’il va la donner aux cantons qui la meritent. Den kleinen Cantons warf er Ingratitude vor. Unser Verbrechen war, daß man zu Frauenfeld einen brief an den könig abgefaßet, mit vorstellungen daß die neue Constitution den Cantons beschwerlich falle. Dentraigue war auf dem tag aber proponirte nichts und that keine bewegung. Eh der brief noch abgegangen war, kamen von ihm obige hauteurs. Friburg, Solothurn, Basel, Luzern hatten sich vor dem tag voreilig erklärt, daß sie den neuen plan annehmen wollten, und ihnen will der könig die bienfaisance beweisen, die er den andren entzieht.
Man bemerkt an schwiz und einigen andern Cantonen eine standhaftigkeit, die man patriotisme nennen würde, wenn patriotisme bey leuten seyn könnte, die pensionen für den stand und für die particularen nehmen. Wir kennen die Regenten die von da geschikt werden das Thurgau und ihr eigenes Gastel zu regieren und nemo repente fit optimus. Wir sind nicht mehr die alten hartköpfigten, einhauenden Fierabras, und wenn wir sie wären so ist Louis XV nicht ein König über souveraine Vassaux wie Louis XI. Es ist uns nicht gleichgültig ob er uns haße, wiewol wir nicht verlangen daß er uns liebe. Wir haben ihm provinzen zugewandt und nicht eine Grafschaft wie Kyburg genommen. Dann mag man von uns fodern, daß wir uns von fremden herren unabhänglich machen, wenn wir uns zuerst von luxe, von schimmernden babioles unabhänglich gemacht haben. Die neue Formation mag den Hauptleuten nachtheilig seyn, weil so achtzehne theilen müßen, was zuvor zwölf gehabt haben, aber sie hat dagegen offenbare Vortheile für die subalternes und die gemeinen. Für den stand hat sie die große unbequemlichkeit daß uns verboten wird im Elsaß und in lothringen zu recroutiren. Denn wir haben bisher schweizer regimente in frankreich geworben. Die kleinen Cantonen müßen alle ihre Einwohner aufbieten wenn sie die Regimente alle, so sie haben, von den ihrigen stellen sollten.
Ein Enthusiasmus von patriotisme siedet und kochet, der besorglich nur ein strohfeuer ist. Man wollte gern Patriot und ohne sitten seyn, Republik mit der äußersten ungleichheit der fortunen.
Den luxurianten festin, das Hans Escher gegeben, hat ein jüngling hohngesprochen, die reformekammer hat es für gut genommen.
In Chur hat ein Eléve von Willi einen graubündnerischen patrioten geschrieben, den der hohe stand beym ersten stück unterdrükt hat. Der magnifique Conseil de Geneve hat auf die zweite representation der Citoyens kurz geantwortet [→]qu’il demeuroit á la reponse precedente. Darauf haben 900 von den bürgern protestirt [→]que les representations subsisteroient dans toutes leurs forces et qu'ils y persisteroient invariablement jusqu'á ce que le Conseil general ait determiné le sens des loix. Noch sind leute, die Rousseau ein Verbrechen daraus machen daß er die Citoyens nicht für die troubles bestraft, womit sie sich seiner und ihrer Rechte annehmen.
Seitdem die schinznacher gesellschaft das Contubernium helveticum nicht in seiner Tiefe erkannt hat, kann ich von ihren Einsichten nicht groß denken. Die unmöglichkeit möglich zu machen war in dem Entwurfe gesorget. Ich fürchte sie wolle sich in die publiken Geschäfte mischen, wenn sie die mit einem Finger anrührt, so mag es ihr Untergang seyn.
[→]Werdmüller hat uns sachen erzählt, die beyde doctore, der schuldheiß Sulzer, ich und andere guten leute ungern daran gehn zu glauben. Wir hoffen die Widerlegung von Ihnen od. anstatt der Widerlegung Sie selbst. Ihr schiksal soll uns Widerlegung oder bekenntniß seyn.
Die Noachide ist noch kaum zur helfte abgeschrieben. Sobald ich weiß daß sie da bleiben wo sie sind, so schike ich ihnen 6. oder 8. Gesänge. Zeigen sie die drukfehler im Cäsar Herrn Reich. Einige Nachricht von Marcus Brutus würde ihren Verfasser freuen. Der Cicero steht unter derselben Constellation; Phocion-Voegeli und Agathon-Wieland sind ihm zuvorgekommen.
Die Geschichte des Goldenen Kelches werden sie vermuthlich Hn. sekelmeister in der Zeit melden da diese Zeilen auf dem Wege zu ihnen seyn werden.
Unser Breitinger ist izt stiftsbauher und der Münsterthurm ist großentheils auf ihn gefallen. Arbeiten, die andere auch thun könnten, thut er vortrefflich; aber er könnte arbeiten, was kaum ein anderer kann, und thut es nicht.
Wenn Füßli nicht mehr bey ihnen ist, so eröffnen sie den brief an ihn, und behalten ihn.
Eine gedrukte vertheidigung des Escherischen Balls geht herum welche die Mine hat, daß sie von einem alten debauché geschrieben sey; vermuthlich von Hanß Heidegger, es sind sporcherie, doch hat sie plausores.
Ich umarme sie,
Br.
den 2ten Sept. 1763.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a.
Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »2 Sept. 63.«