Zürich den 3ten. Junius 1763.
Mein liebster Freund
Mein cousingermain, der sekelmeister, ist ihnen sehr verbunden, daß sie sich mit seinem Auftrag beladen wollen. Ich weis nicht warum er lieber will, daß ich das oberkeitliche schreiben in meinen Brief einschließe, als daß ich meinen Brief in den höhern von ihm versteke. Aber wenn sie ihm antworten; so dürfen sie wol die addresse an ihn machen und einen schönen schweren brief od. irgend ein gedruktes blatt für mich einschlißen.
Der große könig verdiente in dem schooß seines königreiches solche verständige Kenner der königlichen Tugenden wie unser Philocles und wie der professor von S. Gallen sind. Dieser hat den guten Einfall gehabt; der gekrönte philosophe sey das Bild unserer theologischen Begriffe von der Gottheit; nachdem er ganz ein rächer gewesen, so sey er ganz güte geworden, und zur uneingeschränkten Mittheilung dieser güte fehle ihm nichts als die Allmacht.
Unser Breitinger und Steinbrüchel haben [→]die Titel über welche sie Erklärungen verlangeten immer in ihren Händen und haben versprochen darauf zu denken. Ich hoffe aber nicht viel von ihnen; der erstere hat sich lieber arbeit gemacht den Antichrist in der Apocalypse zu mainteniren. Rousseaux Emile würde ihn zehnmal gefraget haben, à quoi cela est il bon? Ich habe an die geschichte der deutschen poesie gesinnet, und hier sende ich sie ihnen gedrukt. Aber sinnen sie hingegen an Marcus Brutus; Gellius ist uns mit dem Julius Cäsar zuvorgekommen, welches nicht hat geschehen sollen. Der Noah hat bald die vollkommenheit erreicht, die ich ihm geben kann; ich bin izt besorgt durch welche geschikten Copisten ich ihn könne abschreiben laßen. Ich habe zwey Exemplare mit lituren dergestalt befleket, daß der sezer Mühe hatte daraus klug zu werden; beyde doch von einerley worten. Bis ich fertig werde, haben sie Zeit ihre Geister zu sammeln und ihre Wirthschaft einzurichten. Meiner liebsten hat es ein herzliches vergnügen gemacht daß ihre liebsten töchter so gut versorget sind, und so augenscheinlich zunehmen. Wir freuen uns auch mit ihnen für ihren bedienten. Er hat seinen freunden hier nicht gnug ausdruken können, wie menschlich sie mit ihm umgehen und für ihn sorgen, sie haben gewiß sein Herz. Der Hans, der bey Junker Amtman Grebel ist und in Wielands Zeiten Wielanden ganz zugewandt war, läst ihn herzlich grüßen und hat große freude gehabt, als ich ihm gesagt, wie zufrieden sie mit ihm wären.
Rousseau hat dem magnifiquen Conseil de Geneve sein droit de Cité durch ein starkes schreiben aufgekündigt. Dieser hat es ihm abgenommen und zu enregistriren befohlen. Die burgerschaft aber prætendirt, daß er die sache für die generalität d. i. für die gemeinde habe bringen sollen, und beyde theile sind darüber unruhig. Rousseau sagt in seiner Abdication, er habe der stadt und der Regierung Ehre zu machen sich vielfältig bemühet, es sey ihm aber schlecht gelungen.
Die Gesellschaft der jungen patrioten, die in schinznach zusammen gekommen hat einen ansehnlichen Zuwachs bekommen. Es war auch ein catholischer priester darunter, der eine herzensfreude an dieser Vertraulichkeit hatte. Der alte algebraist Bernulli war auch da, und vor Entzükung ganz verjünget. Er sagte, daß er izt das erstemal die Empfindungen eines Eidsgenoßen fühlete. Der alte Hr. rathsherr Baltasar von Luzern schikte der societät ein politisches testament, in welchem er ihr die eidsgenößischen segnungen vermachet. Man hat ihn zum beständigen præsidenten erwählet, einzig ihm die Verehrung der Gesellschaft zu bezeugen weil seine jahre ihm nicht gestatten die zusammenkünfte zu besuchen. Ich bin auch nicht bey ihnen gewesen. Ich habe ihnen aber mein project von einem contubernio helvetico vortragen laßen. Sie haben aber nicht viel daraus gemachet. Leute von 16–20 jahren sollten in einer haushaltung beysammen leben, unter aufsehern die vertraulichkeit, sitten, republikanische sentimens und maximen unter ihnen pflanzen sollten. Die literatur wäre da das lezte, und müste der Arbeitsamkeit, den Handarbeiten die man da mit pflanzen, bauen, im wald und feld, vornähme, weichen.
Es müste ein tisch seyn, der nicht bezahlete, damit die unvermögenden Väter in popularen ständen ihre söhne in das Contubernium schicketen.
Die landleute von schwyz haben auf ihrer Mayenlandsgemeinde die von frankreich angetragene selische Capitulation zerrißen und mit steinen nach der Regierung geworfen. Wir von Zürch sehen sie mit günstigern Augen an; ich selbst halte sie für nicht viel mehr als ein mercantile, nachdem einmal festgestellt ist, daß eine Capitulation absolute betrachtet annehmlich und unverfänglich sey.
Unser Waser, Unterschreiber Lavater, Vögeli, rathshr. Kilchsperger sind in Trogen die schotten zu trinken, und izt will auch unser Hr. schuldheß Sulzer zu ihnen gehen. Das ist ein Hochzeitfest für unsern alten Doctor. Die Sorge für meine Liebste behält mich mehr zu hause als sorge für meine gesundheit, daß ich nicht zu ihnen fliege.
Man sagt, schmid von Arau der autor der Essais politiques habe aperturen, von ihrem könig gebraucht zu werden.
Wegelin hat von der verengerung der Regierung starke dinge geschrieben, die ihm Verdruß machen könnten, wenn man sie verstühnde.
Ich umarme Sie.
Bo.
p. s. Ihr Hans Jacob Huber hat seinem freund hier geschrieben daß man ihm etliche seiner bücher nach Berlin schiken sollte; sind es Bücher, die man dort nicht hat? Die fracht möchte durch die post zu theuer kommen. Wollen sie, daß selbige durch die kaufleute auf die herbstmesse geschikt werden?
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a.
Freymüthige Nachrichten, 4. Mai 1763, St. 18.