Datum: 27. April 1763
Zürich den 27 April 1763
Sie haben mir in zehn Zeilen sachen von dem weitlauftigsten Inhalt gesagt, ihre glükliche Ankunft in den Tumult des Triumphes Friederichs, und sie reden von Veranstaltungen so die Erwartung hoch aufsehen machen. Wir sind ganz Ohr, ganz Aufmerksamkeit. Ich habe unserm Füßli so viel geschrieben daß ich ihnen izt gar nichts schreibe. Haben sie die Güte einen umschlag um den brief an ihn zu machen. Er wird izt wol bey Spalding seyn.
Sie sind eben so gütig den auftrag, den Hn. sekelmeister Orell ihnen machet, auf sich zu nehmen und mir den Empfang des Pocals so dem Prinzen von Würtemberg gewidmet ist, zu berichten. Sie thun dadurch den löblichen Cantons eine Gefälligkeit. Sie haben sich in diesem schweren Geschäft nicht anderst zu rathen gewust.
Ich habe seit ihrer Abreise von Winterthur nicht einen Buchstaben von allen unsern Freunden daselbst, ungeachtet ich ihren Einschluß an unsern Rector mit einem freundschaftlichwehmütigen briefe begleitet habe. Diese herren munggen; (monkey) Vielweniger ist einem von ihnen der sinn daran gekommen, daß sie die Züricher besuchen wollen. Ich gedenke bald zu ihnen zu gehen, sie aus dieser lethargie aufzuweken. Meine liebste grüßet sie, sie wollte gern hören, wie ihre liebsten töchterchen den papa empfangen haben. Unser Chorherr, der Doctor, und alle unsere freunde grüßen sie.
Ich umarme sie.
Bo.
Den Augenblik empfang ich von unserm Rector einen brief, der gar nicht munggisch ist. Ich würd ihn ihnen zu lesen geben, wenn das Pack nicht schon voll wäre. Er ist ganz ecstatisch, ganz poetisch, von Sulzer, von Friedrich, von Rousseau.
Für Hr. Füßli hat Hr. Dr. noch ungefähr 20. neue duplonen worauf sie staat machen können. Aber sie sorgen ohne dises, daß er sein Geld nicht in Deutschland verbrauche, eh er nach Engelland kömmt denn die geldquelle fließt izt nicht länger.
Hr. Lavaters leute sind besorgt, daß er aus güte des herzens für Muker sich verbürgen möchte. Ich aber getraue ihm, daß er seinen Mann kennen lernt, eh er ihn für gut nimmt.
Als im begriff war zu versiegeln empfang ich ihr angenehmstes vom 10ten. Wir haben das recept eine Nation umzugießen auch nöthig.
Überlieferung
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a.
Einschluss und mit gleicher Sendung
Brief Bodmers an Johann Heinrich Füssli. – Brief des Seckelmeisters Hans Heinrich Orell an Sulzer.
Eigenhändige Korrekturen
- den Empfang des Pocals so dem Prinzen
-
des |den Empfang des Pocals so dem Prinzen|
Stellenkommentar
- unserm Füßli so viel geschrieben
- Vgl. Bodmer an J. H. Füssli, 17.--27. April 1763 (als Abschrift überliefert, ZB, FA Lav Ms 502.266). Der Brief an Füssli war unversiegelt im Brief an Sulzer eingeschlossen. Bei Bodmers ausführlichem Schreiben handelte es sich um die Antwort auf Füsslis Brief vom 30. März 1763. (Federmann Füssli 1927, S. 107). Vgl. auch Lavater an Bodmer, Barth, 10. Juni 1763 (ZB, Ms Bodmer 4.3): »Sie erlauben einem jeden von uns an ihrem wehrten Schreiben an unsern Füßli gleich viel Antheil zunehmen. Meine Freünde verlieren auch nichts dadurch, wenn ich mir nicht nur den dritten Theil, sondern den ganzen Brief so zu Nuz mache, als wenn er an mich allein geschrieben wäre. Sie haben uns alle gelehrte, moralische, politische Neüigkeiten auf eine solche Art mitgetheilt, wie wir es nur von dem Beßten Freünde, nur von unserm verehrungswürdigen Bodmer erwarten konnten. Sie können sich das Vergnügen nicht vorstellen, das Spalding mit uns empfand, da wir an einem angenehmen Abende mit horchender Aufmerksamkeit ihren Freündschaft u. Weisheitvollen Brief lasen.« Sowie Füsslis Nachtrag im selben Brief: »Ich überlaße zwar vor izt alle Beantwortung unserm Lavater, nur ein paar Worte von Sulzers Kindern seyn mir vergönnet. Es machen dieselben ihrem Vaterlande unter den Kindern eben so viel Ehre wie der Vater unter den Männern, bey dergleichen Erziehung werden Sie Sophien [...]«.
- den Empfang des Pocals so dem Prinzen
- Vgl. Brief letter-bs-1763-02-25.html.
- ihren Einschluß an unsern Rector
- Sulzer an Künzli, Berlin, wohl 29. März 1763 (vgl. Brief letter-sb-1763-03-29.html). Nicht überliefert.
- einem freundschaftlichwehmütigen briefe
- Bodmer an Künzli, Zürich, Mitte April 1763. Nicht überliefert.
- munggen; (monkey)
- Alemannisch: »brummen, murren«, auch »munggisch« für mürrisch (SI, Bd. 4, Sp. 332 f.). Die etymologische Verwandtschaft zum Englischen »monkey« ist nicht belegt.
- einen brief
- Künzli an Bodmer, Winterthur, 25. April 1763 (ZB, Ms 3a.2, Nr. 116). Die Passagen zu Sulzer und Friedrich lauten: »Mein Got! welch eine rührende Scene muß das gewesen seyn; Alle gemachte Illuminationen p Ramler Verse und dgl: kommen mir als Kindereyen für gegen die Sache selber, welche sie sollten vorstellen; Allte Greise häten sollen neben dem Wagen des Siegers mit entblösten grauen Häuptern hergehen, ganz gewiß häte man da ihre ganze Seele in ihren Augen voll Freüden-Thränen gesehen, und Friederich entzükt, Mütern und Kindern sollten ihn begleitet und ein schluchzendes Vivat zugerufen haben, Säuglinge häten es gelallet, und mit ihren kleinen Händen auf ihren Vater gewiesen. Die Männer häten gestaunet, stillschweigend dankten Sie Got und segneten ihren Erreter; entfehrntern Eltern häten den Liebling der Menschen, ihren Kindern vor sich in der Höhe haltend gezeiget. Gewiß das war ein Tag, den der Her gemacht hat. Der wird entweihet, wenn Menschen Wiz ihn groß machen will. Nur Seelen in sich gekehret mögen den feiren, und nur das was in uns ist, Got und Friederich loben. Sie kennen unsern Sulzer wie seine ganze Seele lauter Empfindung des Schönen und des Großen wie muß ihm da zu Muth gewesen seyn! Er kan malen, er kan Seelen malen, aber nur just seine nicht: das gehört inte die großen Dinge, von denen man mit Worten keinen Begrif kann beybringen. Wie oft waren unsere Seelen, mein theüerster Freünd! um Friederich und die gerechte Sache bekümmert. Nun hat uns der Herr auf die Weite gestellt: Der Herr hat durch Friederich Wunder gewirket: Die Nachwelt wird sie lesen, und sie als eine Erfindung des grösten Dichters ansehen, oder sie glauben eine zwote Erscheinung
der einer Gotheit im Fleisch, zu einer leiblichen Erlösung der Menschen. Wäre meine Seele dichterisch gestimmet, so wären ihre besten Gedanken, seit Friederich den Thron bestiegen, ein Lobgesang Friederichs.« - für Muker
- Vorwiegend in Süddeutschland verbreitete Bezeichnung für »heimtückischer Mensch, Leisetreter, scheinheiliger Frömmler« (DWB, Bd. 12, Sp. 2614).
Bearbeitung
Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann