Mein theürer Freünd.
Ich wollte mich eben hinsezen um so wol Ihnen als andern Freünden in ihrer Gegend zu schreiben, als ich ihren Brief oder vielmehr das Zedelchen erhielt, das Sie dem Schreiben des Hrn. Sekelmeister Orells und dem Brief an unsern Füßli bey gelegt haben. Jenem werde ich auf sein Höfliches Schreiben antworten, so bald als ich das Goldene Geschenk, das ich besorgen soll werde bekommen haben, damit ich zugleich den richtigen Empfang deßelben melden könne. Es wird sich sehr gut schiken daß ich es selbst werde übergeben können. Denn ich reise in 3 Wochen mit dem Grafen von Borke nach Pommern in die Gegend Treptow, wo der Prinz von Würtemberg sich aufhält. Sagen Sie also dem Hrn. Sekelmeister, dem Sie mich bestens empfehlen werden, daß ich das Schreiben erwarte, welches das Geschenk begleiten soll und alsdenn für die richtige Besorgung deßelben stehen werde. Unsre Freünde sind seit 8 Tagen nach Barth abgegangen und werden nun bey ihrem Spalding seyn. Füßli ist mit gegangen. Ich hätte ihn zwahr lieber hier behalten, aber da ich selbst hier nicht bleibe, so war es beßer daß er dorthin ginge. Ich habe ihn zu dem engl. Gesandten gebracht, der ihn suchen wird in England unterzubringen. Er will versuchen ihm, ehe er die Reise unternimt, eine gewiße Condition zu verschaffen: Es fehlt ihm noch verschiedenes in der Lebensart; ich habe Lavater alles entdekt, was ich hierüber denke und er hat auf sich genommen, ihm nach und nach zusagen, was ihm dienen kann. Auch wegen einer guten Wirthschaft habe ich mit ihm geredet. Von den für ihn in Händen habenden Geldern habe ich noch nichts, als die Reisekosten ausgegeben; denn er fand nicht nöthig Geld mit sich nach Barth zunehmen. Dort hat er in der That keine Gelegenheit etwas auszugeben, und die Besorgung der Verwandten des Hrn. Lavaters scheint mir ohne Grund. Ich hoffe, daß alles gut gehen werde.
Der Friede hat noch wenig Vergnügen unter die hiesige Nation gebracht. Man hatte in den ersten drey Monaten Goldene Zeiten erwartet, die nicht gekommen sind, und sie konnten nicht kommen, weil jeder diese Zeiten nach seinem besondern Geschmak gebildet haben wollte. So lange der Regent nicht unmögliche Dinge möglich macht, und jeden insbesonder, so wie er es wünscht befriediget, so lange hält man ihn für keinen guten Regenten. Seine erste Veranstaltung war, das Landvolk von der Tyranney zu befreyen, welche der Offizier bey Gelegenheit der Recroutirungen, über daßelbe ausgeübt hatte. Jederman schrie darüber und nun schreyt jederman, daß er hart mit den Leüthen verfahre, die mit Aufopferung ihres Lebens, ihm seine Staaten erhalten haben. Er hat dem Landvolk das währendem Krieg ihm geraubte Vieh wieder gegeben, oder Geld zum Ankauff auszahlen laßen; aber dies ist nur aus Eigennuz, weil ohne dieses das Volk die Abgaben nicht leisten könnte. Er hat bey der großen Theürung seine Magazine aufgethan, wo der Scheffel korn, der sonst 6 . gegolten für 1 1⁄6 . verkauft wird, und die Leüthe sagen, daß er es thun müßen, weil sein Korn sonst verfaulet wäre. Er hat alle vom Land als ein Darlehen aufgenommene Geldsummen wieder bezalt, das Agio daraufgelegt, daß der Werth des alten Gelds herauskomme, und alle Intreßen bis auf den Tag des Zurükgebens bey gelegt. Aber dies ist eine Ungerechtigkeit: er hat warten sollen bis jeder sein Geld wieder hätte unterbringen können. Er hat den Aufwand für seine Tafel eingeschränkt, aber dies soll aus Geiz geschehen. Er hat 500 Fäßer Ungarischen Wein, welcher währendem Krieg etwas sauer geworden, den Armen geschenkt, daß sie von dem Weineßig brauern, das Geld davor nehmen sollen, aber er hätte es nicht gethan, wenn er nicht sauer wäre. Bey einem starken Mangel an Fleisch hat er befohlen, daß seine jäger Wildprät in die Städte liefern sollen, welches dreymal wolfeiler ist, als Rindfleisch; aber durch diese üble Anstallten ruinirt er seine Jagden, die Perle in der Crone eines Fürsten. Auf diese Weise, mein Freünd, wird Friedrich von seinem Volke belohnet. Dieses, und daß eine Menge Böse wichter seine Wolthaten erst mit ihren Fäusten vermindern oder besudeln, muß diesen Fürsten nothwendig von seinem Volke, das seiner nicht werth ist immer mehr abwenden. Bald ekelt mir unter solchen Leüthen zu leben. Neülich habe ich noch einen gerechten angetroffen. In einer großen Gesellschaft von Offizieren wurd der Monarch wegen der Einschränkung der Vortheile des Kriegstandes übel gemißhandelt. Ein alter Hauptman, der lange Stillgeschwiegen hatte erhob endlich seine Stimme und sagte. Meine Herren! ich diene dem König so wie ihr und finde daß er mir dafür mein ehrliches Brod schafft. Daß er mir aber so viel geben soll, daß ich, wie andre, noch drey oder vier Huren unterhalten könne, kann ich nicht verlangen. Hierauf erfolgte ein allgemeines Stillschweigen. Der König hat sich verlauten laßen, daß er eine allgemeine Verändrung in dem Schulwesen und den Universitäten vornehmen wolle. Aber dieses wird vermuthlich ausgesezt bleiben, bis er mit Bereisung seiner Provinzen fertig geworden. Jezo sollen alle Königliche Domainen Güter gegen einen Canon an solche Bauren, die aus andern Ländern herziehen, erblich überlaßen werden.
In meinen privat Umständen hat sich noch nichts Veränderliches zugetragen. Ich werde den Sommer damit zubringen, daß ich erst für ein paar Monate nach Pommern und denn nach Magdeburg gehen werde, wo ich die lezte Hand an den ersten Theil meines Wörterbuchs legen werde. Vergeßen Sie nicht, daß ich Ihnen die Titel meiner Artikel in der Absicht überschikt habe, von Ihnen und unserm Breitinger wichtige Anmerkungen darüber zu erhalten. Sie schreiben mir nichts mehr vom Noah? Meine Kinder habe ich vergnügt, und seit einem Jahr um viel gebeßert gefunden. Ich werde sie noch ein Jahr und vielleicht noch länger in den guten Händen laßen, darin sie jezo sind. Der Bediente, den die Fr. Profeßorin mir verschaft hat, ist ein rechtschaffener Mensch und weit der beste von allen, die ich jemals gehabt habe.
Heüte schreibe ich zum erstenmal an unsern Freünd in Trogen. Ich bin bis auf diesen Tag in solcher Zerstreüung, daß mir immer dünkt ich sey noch auf der Reise, so daß es mir sauer wird an dem Schreibtisch zu sizen. Ich merke aber, daß die Geister sich allmählig wieder sammeln. Sagen Sie dieses meinen Freünden um mein Stillschweigen zu entschuldigen. Es ist keinem Menschen weniger gegeben, als mir, in der Zersträuung sich zu sammeln um Briefe zu schreiben.
Der König hat auch seine Cadetten Schule besucht, an welcher Ramler als Lehrer steht. Der Monarch hat jeden Lehrer insbesonder um seine Methode gefragt und von allen hat ihm Ramler am wenigsten gefallen. Vermuthlich hat er in der Wendung der Ode geantwortet. Denn der K. hat nichts von seinen Antworten verstehen können. Die Karschin verläßt nach und nach ihre alte Freünde und hält sich an ihre Schmeichler. Ich befürchte sehr, daß sie sich ihrem alten Nichts wieder stark nähert. Sie nimt auch von mir keinen Rath mehr an. In 14 Tagen wird nun endlich der Anfang mit dem Druk ihrer Gedichte gemacht werden. Was sie seit der Wiederkunft des Königs bey verschiedenen Gelegenheiten gemacht hat, ist zum theil schwach zum theil ausschweiffend.
Es geht dem Rousseau mit seinen ZeitVerwandten, wie einem gewißen Monarchen mit seinen Unterthanen. Er ist zu groß für sie. Vor einigen Tagen kam [→] Formey zu mir und klagte, wie ein rechter Häuchler, über die neüen Fallstrike die Rousseau in seinem Brief an Beaumont der Religion gelegt. Ich antwortete ihm im Zorn darauf, daß ich wünschte alle, die sich zu vertheidigern der Religion aufwerffen, möchten so aufrichtig seyn, wie dieser Kezer.
Adieu. Lesen Sie diesen Brief niemandem, als Vertrauten Freünden. Für Breitingern ist er so wol geschrieben, als für Sie.
den 10 May.
Ich erfahre so eben, daß der Prinz von Würtemberg binnen 14 Tagen hier seyn wird. Mithin wäre es sehr leichte die Commission auszurichten, wenn nur das Schreiben hier wäre.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.
Brief Sulzers an Laurenz Zellweger vom 10. Mai 1763.
Vermerk Bodmers am oberen Rand der ersten Seite: »63.«