Mein Liebster Freund.
Unser Director verschaffet mir die Gelegenheit Ihnen einen Pak zuzufertigen. Sie nicht zu verlieren send ich Ihnen die Minnesinger. Ich wünschte, daß sie dieses Exemplar Hn von Bielefeld zustellen könnten. Ich stelle mir vor, daß er auf seinem ruhigen Landsize sie mit einiger aufmerksamkeit und geschmak lesen würde. Denn seine lettres familieres haben mir einen schönern Geist an Ihm erbliken lassen, als ich Ihn ohnedies gekannt hätte. Zugleich wäre mir recht angenehm, wenn sie ihm insinuiren könnten, daß ich eine gewiße, heftige, Begierde habe, des alten Minnesingers von Veldegg übersezung der Aeneis zu haben, welche in der Herzoglichen Sachsengothaischen Bibliothek liget, nämlich wenn er mir davon eine ächte Abschrifft zur Hand stellen könnte. Ich verlangete nur daß diese mir zur Einsicht überschikt und erlaubt würde, daß ich sie abschreiben liesse, worauf ich sie wieder zurük sendete. Ich vermesse mich nicht das Original selbst zu begehren; und bin schon zufrieden wenn Hr. von Bielefeld es im Augenschein nimmt und für sich selbst copieren läst. Dieses ist aber nur ein Einfall den ich Ihnen mein Freund zur überlegung gebe. Wenn er ihnen nicht anständig oder nicht practikabel dünket, so verwerfen sie ihn, und machen aus dem Exemplar was sie selbst gut finden.
Ich habe zwey stüke des Erinnerers beigelegt, die hier viel aufsehens gemacht haben. Sie sind auf speciale Fälle, die hier jedermann bekannt sind geschrieben. Und es ist uns selbst wunderbar, daß die Censores, die sonst so strenge sind, sie haben mitlaufen lassen.
Kaum erinnern Sie sich noch, daß in Wielands Abhandlung über den Noah, seite 364. Zwölf Verse stehn, die in der neuen auflage im eilften Gesang hätten eingerükt werden sollen, in Japhets Traum [→]nach der Zeile:
– – – die noch so unschuldig
Schwärmten, und einmal sollten die Erde mit jammer erfüllen
Auf dise sollte gefolget seyn:
Indem ließ sich ein paar von einer treufelnden Wolke balsamischen Stunde
Zu mir nieder und flattert' um mich sanft flüsternd. Mein Führer
Rief mir: O laß die beyden nicht unbemerket; der Eine
Mit dem Ernst in dem auge wird deines Vaters Errettung
Seine Flucht durch die ungebahnete Wüste der Wellen
Späten Geschlechten singen, die wenig davon sich erinnern.
Ihn wird die Muse sie lehren, die auf Elihu herabkam,
Die in die Arch' euch folgte, die Dankgesäng' euch zu lehren.
Was ihm die Muse des nachts entfaltet, die grossen Gedanken
Sagt er frühe dem andern, der vor der Geburt ihn schon liebet,
Überdenkt sie mit ihm, dem Sipha seines Weltalters,
Und er erstaunet wie sie zu seinen im Gleichlaut gestimmt sind.
Dann wird fortgefahren.
In dem Gefild ist die Quelle von seufzendem Murmeln p
Sie sehen leicht, mein wehrtester, daß diese leztern Zeilen nur Zween gelten können, Hessen von Neftenbach, für den sie erstlich gemacht worden, und dem ich den Noah in seinem Empfängniß und in dem stande des Embryons gezeiget hatte; hernach Ihnen der mir bey des Gedichtes Wiedergeburt socratische AccoucheursDienste gethan hat. Ich habe sie in die Noachide nicht eingetragen, weil ich, die Wahrheit zu bekennen fürchtete, zugleich Ihre und Hessens Bescheidenheit zu beleidigen, und mich selbst der nachrede als der eitelste Mensch auszusezen.
Sagen sie unserm Wegeli daß [→]sein Schuldheß als er nach Genf gegangen bey Rousseau gewesen, der ihm gesagt hat, [→]qu'il vaut mieux etre marchand de soye que marchand de pensées; que les grandes verités qui frappent si fort à present son imagination ne sont autre chose que des frivolités; que luymême auroit passé une vie heureuse et tranquille sil eut suivi sa destination qui etoit d'etre graveur. Sonst hat er ihm den Stand der Cultivateurs für den seligsten angepriesen. [→]Dans le pais d'esclavage, sagte J. Jaques, il faut etre artisan, dans le pais de liberté cultivateur. Er erzählte, daß in Italien eine Gesellschaft von etlichen Bauern wäre, deren erstes gesez ist daß keiner von ihnen sollte lesen können. [→]Quand on est Cultivateur, dit il encore, on peut mener une vie domestique et cela nourrit les sentimens du coeur. Als er ihm sagte daß er nach Genf ginge, sprach Rousseau mit seufzen: [→]Vous y trouverez beaucoup de luxe d'esprit.
Die Genfer haben wie einen Waffenstillstand gemacht, die regenten und die Citoyens.
Schwyz hat einen der wakersten männer, Hettlinger, des medailleurs neveu zu einem der ersten magistrate gemacht, und ihm noch ein paar brave männer zugegegeben. Woraus sie sehen, daß sie nicht von lauter passionen getrieben werden.
Evangelisch Glarus deliberirte bis abends um 5½ uhr ob sie Marti und Heer, die von Frankreich jeder eine Compagnie erhalten, die freye Werbung erlauben wollten; die Hände pro und contra waren ohngefähr gleich stark, man sprach die pluralität zur gunst der Hauptleute aus, darauf entstand lerm und schlägerey, die Herren begaben sich von dem Plaz, doch stillete der Landsstatthalter mit dem stab und mit kräftigem zuspruch. Jeder bezog seinen Posten wieder, und ward erkannt diese sache einzustellen; und zuerst eine doppelte Gesandtschaft zu den catholischen ständen und an den Ambassador zu schiken, die da fragen sollten, ob seit 1722 pensionen und Friedensgelder bezahlt, und wem sie zugestellt worden. Das Volke sprach sehr übel von Frankreich, und glaubt, daß diese gelder unterschlagen worden. Allein die reformirten stände wissen nichts von Friedensgeldern, die Frankreich seit dem ausgang des Bündnisses schuldig wäre. Man fürchtet, daß dieses nur der anfang eines Lärmes sey, der sich wie der Schwizerische ausbreiten möchte. Wir haben aber noch nicht die bestimmtesten nachrichten weil erst diese leztern Tage die Gemeinden gehalten worden.
Hiesige Mitglieder der Schinznacher Gesellschaft stehen in voller Bereitschaft gegen das Ende gegenwärtiger Woche nach Schinznach auf die jährliche Conferenz zu reisen. Die Versammlung wird von Bern, Solothurn, – sehr ansehnlich seyn. Meyer von Luzern præsidirt, von Basel kömmt auch der alte Bernulli; von Lausanne der Prinz Louis von Würteberg, der würklich in Bern ist, und da mit Ballen von der Republik unterhalten wird. Wenn dieses ihm vergnügen machet, so kenne ich den Mann nicht, der in den briefen an unsern Doctor erscheint. Mein Entwurf eines Contubernii Helvetici soll ein wichtiger Artikel der Deliberationen werden. Ich entdeke aber schon mehr Geschiklichkeit Schwierigkeiten zu machen, als aufzulösen. Man kan sich nicht vorstellen, daß catholische und reformirte jünglinge in einem Hause zusammen leben können, ohne daß die Verschiedenheit der Religion auf sie influire. Man glaubt daß kaum ein Vater die Orthodoxie seines sohnes so sehr in gefahr sezen werde. Andere wollten lieber ein gemeinhelvetisches Gymnasium für Wissenschaften.
Ich gehe nicht nach Schinznach, weil ich brausende Versammlungen nicht liebe, und weil die vornehmsten personen der Gesellschaft von Schinznach nach Zürich kommen werden.
Es fehlt wenig, daß hiesige Prediger sich nicht öffentlich entzweyen, weil einige etwas magisches aus dem Blut des Heilandes machen, und andern vor der Wundentheologie ekelt. Es fehlt diesen leztern an Herzhaften Führern; sie gehn nur defensive, und sind zu feig oder zu sanftmüthig zum angreifen. Unser Lavater hat einen heftigen trokenen husten, doch gehet er nach Schinznach, als ein Gast.
Hr. Chorherr Geßner hat gerad izt mit einem Frieselfieber sehr zu kämpfen. Wir sind um ihn besorgt gewesen.
Die Jgfr. Meisterin hat mir einen artigen und gütigen Brief geschrieben, den ich künftig beantworten will, wiewol sie selbst sich schon alles sagen kann, was ich ihr schreiben werde. Sie fürchtet mehr, daß sie Ihrem Vertrauen nicht entsprechen könne, als wir beyde. Sie hat dennoch so viel muth gefasset, als sie nöthig hat. Sie hat mir von ihrem kleinern Töchterchen eine artige Zärtlichkeit zugeschrieben, sie will mir gewiß auch einmal schreiben. Wenn die gelebt hätte, von der ich erwartet und geweissagt hatte, daß sie Blumen auf mein Grab streuen würde, so hätte ich izt manchen schönen brief von ihr.
Eh sie zur weisheit des vaters, zur liebe der mutter gewachsen,
Gieng sie von uns, und ihr hat die liebende mutter gefolget.
Eitele Hoffnung, sie würd auf mein Grab violen und rosen
Streuen und wenn ein Wandrer sie fragte, wen sie da beweinte,
Ihm antworten: Der sein gebein hier niedergelegt hat,
War ein anmuthiger dichter, er sang am schönsten die unschuld,
Sein Gesang war ein blühender Lenz des schuldlosen Herzens.
Ich denke, wenn sie diesen Pak empfangen, werden Ott und Escher aus Holland bey Ihnen angekommen seyn. Dann bitte ich Hn Ott beygelegten brief zu geben. Der Ott Hn. Otten sohn in der Schipfe, ist ein unflätiger mensch, und macht sich stinkend.
Ich sehe mit Verlangen der andern Helfte der Noachide entgegen, ich darf mir nicht schmeicheln, daß Hr. [→]Bürkli sie bringen werde, aber ich hoffe doch, daß Hr Ott sie mit sich nehmen könne. Ohne Zweifel schreib ich ihnen durch die Post, bevor sie diesen Pak empfangen. Unterdessen tausend Grüsse an unsern Wegeli.
Ich umarme sie, und in ihnen alle unsern dasigen Freunde.
Ihr ergebenster
Bodmer
Zürch den 14 May 1765.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.
Paket mit einem Exemplar von Bodmers Sammlung von Minnesingern Aus Dem Schwaebischen Zeitpuncte. – Zwei Stücke des Erinnerers.
Vermerk Sulzers am oberen Rand der ersten Seite: »14 May 65«.