Zürch den 23. März 1761.
Mein theuerster Freund
Der junge mensch, der Ihnen diese Zeilen übergeben wird, ist ein Zürcher und heißt Johannes Suter, sein längst verstorbener vater war pfarrer zu Neftenbach. Er hat würklich als Feldschärergesell unter dem General-Chirurgus Ihrer majestät, Billiger, in Thorgau ... dienste gethan. Darauf ist er nach haus gekommen seine familien sachen zu besorgen: Izt wünschet er sehr daß er seine chirurgischen studien in der Charité zu berlin fortsezen könnte. Wenn sie ihm dazu behüflich seyn können, daß er da aufgenommen wird, so thun sie nicht bloß mir sondern vornehmlich unserm H. Canonicus Geßner eine besondere gefälligkeit. Er hat diese tage einen anfall von fieber gehabt, der ihn im bette aufhält, darum hat er mich angelegentlich ersucht, daß ich sein fürsprecher in diser sache bey ihnen werden möchte. Sie sind für sich selbst so geneigt, jedermann, der etwas gutes thun oder lernen will, Vorschub zu thun, daß ich nicht nöthig finde, alle die schönen worte, die der wakere Hr. Geßner mir auf die Zunge gelegt hat, hier zu decliniren. Sie wissen wie höflich er von Natur ist, und sie haben dergleichen schon mehr gehört. Des seyn sie versichert, daß wir an Ihnen den aufrichtigsten Freund haben.
Wenn dieses Ihnen zukömmt werden sie wol den Brutus, den Arnold und die freymüthigen Nachrichten durch ihren Neveu empfangen haben. Meine drey trauerspiele Johanna Gray, friedrich, und Oedipus, haben auf diese messe nicht mögen fertig werden. Ich will auf eine gelegenheit lauern, daß ich sie Ihnen noch vor der herbstmesse schiken könne. Die Abschrift des Noah habe ich bis zum Eilften gesang gebracht. Wenn er aber gleich abgeschrieben ist so gedenke ich ihn auf einige monate in meinem pulte zu behalten; weil ich sehe daß er immer besser werden kann. Ich habe izt eine Feile, die ihm sehr wol thut. Ich brauche sie auch für meine andere gedichte. Es bleibt immer bey mir beschlossen, daß Sie, mein wehrtester, den Noah und die andern sachen sehen sollen, sobald ich meine, daß sie Ihr Urtheil ertragen mögen: dann will ich sie um ihren Rath bitten, was ich damit vornehmen solle.
Ich sende ihnen die bogen gegen den Magister, der in der bibliothek der schönen wissenschaften die Übersezung der Antigone angegriffen hat. Diese schrift ist grossentheils von unserm professor der griechischen sprache, er will sich aber nicht dazu bekennen. Ich wünschte daß der magister ein mann wäre, und einen Nahmen hätte. Ist er ein solch unwissendes kind, so hat er den gegner nicht verdient. Fragen sie doch nach, wie er heisse. Hr. professor Wegelin arbeitet auch an einer Antwort auf die unverschämten kritiken, die gegen seine gespräche des socrates gemacht worden. Wir wollen sehen, wie er seinen Ernst in Munterkeit und seine scientifik in Wiz verwandeln könne. Einige von unsern freunden sind mit diesen Controversen nicht sehr zufrieden. Sie meinen die Lessinge und Nicolai verdienen nichts als verachtung. [→]Les bons, sagen sie, ne tournent point les mechans en derision, mais les ecrasent de leurs mepris, et rien n'est moins plaisant et risible que l'indignation de la vertu. Le ridicule au contraire est l'arme favorite du vice. Sie wissen wie ich sonst über diesen punckt gedacht habe:
[→]Nulla ne projecto fræna injicienda furori?
Si cessant illi, palmæ melioris amore,
Quorum res agitur, saltem intercedat amicus p.
Der Brutus hat hier einen allgemeinen beyfall. In Bern hat man gefunden, daß einige reden zu lang für die Acteurs seyn; und daß zu viel Ernst und zu wenig handlung in dem stüke sey. Diese wollen, der poet solle sich nach dem parterre richten. Aber dann muß er nicht Brutus schreiben. Wir haben die Schwachheit wissen zu wollen, was die Lessinge vom Brutus urtheilen. Ohne Zweifel, daß des Brutus gedanken bloß, wenn man sie in einem freyen staat behauptet, gegründet sind; Aber daß sie ihre Gültigkeit verlieren, sobald sie in gewisse andere gegenden kommen. Ich fürchte sehr, ein Brutus habe kein gutes verhältniß zur deutschen denkungsart. Und in welches gericht würde wol der Marcus Brutus fallen? Ich bin seit wenigen tagen viel mit diesen tyranniciden umgegangen: sie wissen wie leicht ich einem poetischen anfall unterliege. Aber ich müste mehr Musse haben, als mir izt meine Überarbeitungen nicht lassen. Wenn ich dieses sujet abhandelte, wie klein würde Caesar werden; wie würde Brutus nicht über ihn hervorleuchten! Ich habe Hrn. Stadtschreiber Sulzer aufmuntern wollen, daß er uns disen Zweiten Brutus liefern sollte: Aber seine bescheidenheit verbirgt ihm seine kräfte. Werden Sie nicht sagen, ich mache es wie die verwelkten Ninons, die dann kupplerinnen werden?
Der Lycurgus Hrn. Wegelins liegt noch in meinem Pult und wartet da bis Heidegger ihn an das tageslicht fodert. Der verfass. hat würklich mit ihm geschlossen. Vergessen sie nicht sich zu erkundigen, wer doch der mann von dem unaufhörlichen wiz sey, der die denkwürdigkeiten des socrates geschrieben hat. Wie arm an geist sind die Xenophons gewesen, daß sie nicht auch so haben schreiben können. Young würde es gekonnt haben.
Unser freund, der Hr. diacon Waser hat auf einmal 2. theile von swiftischen sachen auf die Messe gesandt. Alles von Swift ist ihm wichtig, lieder aus lilleput, und Hexameter aus brobdigrak. Wir haben ihn bereden wollen, Buttlers Hudibras zu übersezen, weil wir Buttlern für Swift den ersten halten. [→]Er scheuet sich aber noch für dieser arbeit.
Izt sind Orell, Wolf, Heidegger und Geßner in eine buchhandlung associert. Sie haben unsern freund, Canon. Breitinger, sehr gebeten, daß er seine dichtkunst überarbeiten wolle. Er hat sich geneigt bezeigt, es zu thun. Er wird das werk vornehmlich mit Exempeln aus den gedichten bereichern, die seit 1740. herausgekommen. Zuvor hatten wir in Deutschland nichts; izt sind wir reich. Er liest zu diesem Ende auch den Batteux. Er wollte gern wissen, was für eine definition der poesie sie in ihrem Wörterbuch annehmen. Was unsere deutschen darüber glossieren, verwirret mehr als es aufheitert.
[→] Der Übersezer des Abels hat nun auch die Idyllen übersezt. Das werk ist schon gedrukt und wartet nur noch auf die Kupferplanches. [→]Hr. Huber schreibt mir, daß er diesen Sommer meinen Joseph und Zulika übersezen wolle. Wenn er darauf besteht, so will ich ihm einige Verbesserungen schiken. Er hat für einen Bayer viel geschmak, und mehr als wir uns von ganz Bayerland vermuthend gewesen waren. Aber seine mühesamen geschäfte eines deutschen sprachmeisters lassen ihm weder Tags noch nachts ruhe.
Der Abadona im Noah ist ohne Zweifel ein hors d'oeuvre, vornehmlich gegen dem Ende des X. gesangs. ich kan mich doch nicht entschliessen es zu verwerfen. Sind im Homer nicht auch dergleichen ob man gleich gesagt hat, daß man ehnder Hercules seine Keule als Homer nur einen vers nehmen könnte? Ich meine die horsdoeuvres von dieser art seyn anzusehen wie Homers weisse milch, und, schwarze Erde. Es sind grosse pleonasmi, und thun ihre poetischen dienste. Also möchte die Erzählung der Michal im I. Ges. für ihre umstände extra locum und zu blumigt seyn. – Hat Sipha der Mehetabel niemals zuvor die schöpfung erzählt; warum erst im paradise, im IV ges.? Am Ende des X. ges. sind die Verse:
Sezt sich dann wieder geraum in einem gefalteten blatte,
Wo er jahrhunderte durch in heimlichem grame vertrauert.
Aber das gefaltete blatt kann nicht jahrhunderte unverfaült geblieben seyn. Darum habe ich dises geändert. Jahrhunderte durch vertrauern, hat mir auch nicht gefallen. Dergleichen veränderungen habe ich vile gemachet.
Ich habe einige physicalische Zweifel.
Im VII. ges. „und der luftkreis, der um ihn herum sich wölbet ein Meer ist”, hat jemand diese meinung von dem Cometen gehabt?
Im VIII. gesang. Wenn der Comet von Norden gekommen, hat er im südlichen Hemisphærio zuerst würcken können?
Ist es wahr, daß die Erde die Athmosphäre des Cometen berühren könnte, nemlich mit ihrer Athmosphäre?
Kann der mond des Tages im Westen gesehen werden, da die sonne im Osten aufsteht? Kann er sichtbar seyn, indem sie durch Nebel verfinstert ist?
Das sind solche Dinge, auf die ich sie bitten will achtung zu geben, wenn ich ihnen den erneuerten Noah zeigen werde. Ich wollte gern in diesem stück der Natur getreuer seyn, als der poet des Messias es sich nicht vorgenommen hat.
Von dem wolklange schweige ich izt. In dem anhange zum 1. St. des 6ten bandes der bibliothek sind fünf Hexameter; hüten sie Sich diese unserm Chorhrn. auf die Rechnung zu schreiben. Er wird seine lebtag keinen Hexameter, so wenig als einen Alexandriner machen, wiewol er mit geringer mühe fünf so schlechte machen könnte. Ich würde sie so gegeben haben:
Wie der so einen drachen im waldigten berge gesehen hat,
Gählings auffährt, und ihm ein Zittern die Glieder durchwandelt;
Wie er zurück bebt, und blasse farbe die wangen bedecket,
Also entschlich aus furcht | vor den Menelausatriden
Also entschlich aus furcht | vor Atreus Sohn, Menelaus,
Unter die troischen schaaren der göttlichgebildete Paris.
Sie haben sehen können, daß im IX. stück der freym: nachrichten ein artikel ist, wo den Winterthurern vorgeworfen wird, daß sie unwissende sind, die das ursprungsjahr ihrer bibliothek nicht wissen. Der artikel ist von dem pfarrer Füßlin von Feldheim. Unser Rector hat eine gute antwort darauf gemachet, die in einem der folgenden stücke kommen soll. Also haben wir krieg. Wenn der Mann so vil Wiz hätte, wie Lessing, so hätte er gewiß Lessings Willen um behutsamen lesern solche fehler, die er selbst erschaffen würde als sünden deren scribenten, denen er nicht gut wäre, aufzuheften. Das ist Lessings Kunst; er kann machen daß der unschuldige für seine schalkhafte einfälle erröthen muß, weil er machen kann, daß man glaubt man lache über unsere fehler. Es ist ein bequemer Satz für dise ungetreuen, daß die Güte einer schrift eine andere sey, und eine andere die güte eines menschen, daß man bey einer gelegenheit ein schlimmer mann und bey einer andern ein guter Poet seyn könne; daß man für die sitten nicht so parteisch seyn, und demjenigen der sie mit wizigen gedanken, in ihrem wesen selbst, angegriffen hat, nicht gerne quartier geben sollte.
Verzeihen sie, mein wehrtester, daß ich mir dergestalt carriere Ubel nehme. Indem ich so an sie schreibe, dünkt es mich, als ob ich mit Ihnen scherzete, und dergleichen dinge dürfte ich doch ohne Übelstand zu ihnen plaudern. Nur noch eins: Wie gehet der briefwechsel mit dem grossen mann, und wo bleibt der Charakter der vortrefflichen Wilhelmine; ich erwarte diesen mit der ungeduld mit welcher ich fünf neue gesänge der Messiade erwarte. Ich erwarte auch die Ode auf die russische Canone, aber diese mit der grösten gemüthsruhe. Für ihren neveu sorgen sie nicht, daß wir nicht alles für ihn thun werden, was sich gehört. Ich habe ihm ein paar freunde verschaffet, die ihm für eine schaar dienen können.
Ich habe Hrn. Reich 3. dissertationen für Sie zugefertiget, 2. von Hagenbuch und eine von Gessner, die erstere mögen sie nebst meiner Empfehlung Hn Sack zustellen.
Unsere Justitiarii haben nicht wenige Gravamina, Hubertsburg, die Recroutenstellung, die waldungen, und izt die Suprematie in Neufchatel. In der that stehet in den articles generaux [→]que la Classe doit avoir le pouvoir de juger les ministres, de les deposer, de leur donner des successeurs, enfin de disposer sur tout ce qui concerne le sacré ministère. Die Neuburger sehn die suprematie als [→]inconciliable mit diesem Artikel an, als incompatible mit ihren helvetischen freiheiten, als zum despotisme führend, und sie sind entschlossen lieber alles daraufzusezen, als sich in diese subjectio sezen zu lassen. In den Artikeln ist auch verordnet, daß Bern der Richter in ihren streitigkeiten mit ihren herren seyn soll. Also wollen sie sich an diesen Richter wenden seine Judicatur anzurufen. Es muß einem fürsten schwerfallen, die divisibilität der partium Imperii mit seinen königlichen begriffen zu reimen. [→]Petitpierre meint es besser mit den verdammten als mit seiner vaterstadt, die er [→]en combustion sezet pour soutenir la non-Eternité des peines. Er hat keinen guten nahmen.
Adieu, mon cher amy. Aimez tousjours
Votre tres h. serv.
B...r.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b.
J. J. Steinbrüchel, Anhang zum ersten Stüke [...], 1761.