Brief vom 26. Januar 1750, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 26. Januar 1750

Mein werthester Herr und Freünd.

Ich antworte Ihnen ohne Verzug auf ihr leztes vom 14 Decemb. welches ich erst vorgestern bekommen habe. Sie werden nun die Exempl. des I und II Gesanges durch Hrn. Kitt bekommen haben. Weil ich nicht wußte, ob er zu Pferd oder im Wagen reißte, so dürffte ich ihn mit nicht mehr, als 6 Exempl. beschweeren, die übrigen werde mit Gelegenheit nachschiken. Es sind in diesem Werkgen noch ein paar Drukfehler, die mich ärgern, meine Correctur aber kam zu späthe hin. Diese 2 Ges. werden hier von den meisten sehr wol aufgenommen. Es hat aber noch keiner ne conjectando quidem den Verfaßer errathen. Jederman findt die allzu lebhaft geschilderten postdiluvianischen Sitten etwas anstößig, am allermeisten aber der Hr. v. Kleist, den der I Gesang sehr ofte zum Weinen gebracht. Er hielte das Werk anfänglich für Klopstoks Arbeit. Hr. Sak vertheidiget die neüern Sitten einigermaßen, er glaubt aber es wäre schöner gewesen, wenn sie mehr antediluvianischen Geschmak hätten, ohne im Wesen anders zu seyn.

Weil das Paket noch nicht angekommen, so kommen die Zusäze zu späthe. Weil sie aber vom III Ges. nur wenig haben druken laßen, so könnte man diesen mit den Zusäzen noch zu der Leipziger Auflage nachdruken. Därff ich dieses thun? Nun will ich Ihnen meine Meinung über ihre Fragen sagen.

Sie sagen, ich laße die Erdax noch aufrecht stehen. Dieses ist mir unverständlich. Es kann 2 Bedeütungen haben. 1. Daß die Erdaxe dem plano der Eccliptic perpendicular sey und 2. daß sie in diesem plano selbst liege. Im ersten Fall ist die Eccliptic nichts anders, als der Æquator, und dann sind an allen orten der Erde die Tage den Nächten gleich und keine äbänderung der Jahreszeiten, diese werden sie wol bey behalten müßen. Den die II Hypothesis hat mehr Schwierigkeit. Die Sone würde uns im Nordpol aufgehen, sie würde aber erst nach einem halben Jahr im Südpol untergehen, und mittlerweile würde doch eine seltsame verschiedenheit der Tage und Nächte seyn. Z. E. im Anfange würden wir Tage von etlichen Wochen, nach 6 Monaten aber Tage von 12 Stunden haben.

Ich habe Ihnen schon in meinem Vorigen gemeldet, daß der Komet sehr viel schwierigkeiten machen wird. Es gehet gänzlich nicht an, daß er die Erde berühre. Denn sonst müßte er nothwendig mit ihr in einen Klumpen gehen und noch jezo mit ihr vereiniget seyn. Er kann nicht einmal ihr sehr nahe kommen, ohne ihr Planet oder Satelles zu werden, und ich getraute mir kaum ihn infra regionem lunorem kommen zu laßen. Wenn er ihr so nahe kömmt, als der Mond ihr ist, so wird er vermuthlich ihr Mond werden. Dies ist die I Schwierigkeit. 2. Man kann beweisen, daß der Schweiff des Cometen keine wäßrige Dünste hat, denn wenn diese Materie nur so dichte wäre, als unsre Lufft, so müßte der Schweiff in einer großen Entfernung uns, als ein dunkeler Körper vorkommen. Die Wolken sind es uns schon, da sie nur eine Meile hoch sind, wären sie in regione lunari, so würden sie ganz dicht und fest scheinen. Nun sind die Schweiffe der Kometen so subtil, daß man gar die Sternen dadurch sehen kann. Ihre Materie ist etherisch. Also können sie nach physicalischer Wahrscheinl. dem Schweiff kein Waßer zuschreiben. Hingegen kömt ihnen die Athmospher des Cometen zustatten, diese ist voll wäßriger Dünste und erstrekt sich ofte viel 100 Meilen weit von dem Kern des Cometen. Der Komet kann der Erde so nahekommen, daß seine Atmospher, unsrer Erde Waßer überläßt. Die Größe können Sie endlich annehmen, wie Sie wollen, ingl. die Farbe und den scheinbaren Diametrum. Aber ehe sie nicht sagen, zu welcher Jahreszeit er erschienen, kann man nicht sagen, von welchen Gestirnen er hergekommen. Sein Lauff wird, wenn er der Erde am nächsten ist sehr langsam seyn, weil die Krafft der Erde, die Krafft der Sonne hindert. Ich will versuchen, ob ich ein System ausfinden kann, da der Comet seine Verrichtung nach astronom. Wahrscheinl. thut. Allein dies läßt sich nicht so geschwind herschreiben. Machen sie sich indeßen das Systema des Buffons zu Nuze. Er sezt, daß in den alten Zeiten mehr Waßer auf der oberfläche der Erde gewesen. Daß Asia Land gewesen, da Europa und Affrica noch unter Waßer gestanden. Ein Komet der im Vollmond der Erde am nächsten gekommen, kann eine sehr große Fluth durch vermehrung des Fluxus und refluxus verursacht haben. Wenn sie auch sezen, daß in der Tieffe der Erde große Waßer Behältniße gewesen, u. daß die Erde dort eingesunken, so können sie das unterirdische Waßer mit heftiger Gewallt ausbrechen lassen. Allein alles dieses verursachet zwahr große, aber nur kurz anhaltende Überschwemmungen. Mich dünkt das beste wäre, daß sie mir einen Entwurff ihres Systema schikten, den ich suchen wollte auszufüllen. Die widerkauende Thiere können nichts hartes eßen, weil ihnen die Zähne es zu beißen mangeln. Sie können aber erweichtes Korn und Gersten eßen. Die Vögel, die nur von Insekten leben, als z. E. die Schwalbe werden sich schwerlich mit andern Speisen behelffen können. Wenigstens müßen sie nicht hart seyn. Ihre Schnäbel können nichts hartes aufbeißen. Bedienen sie sich auch der Meinung unsers Dr. Heinius, der sagt, daß nicht nur 8 personen in der Arche gewesen, weil die Schrifft der Domestiken nicht zu erwähnen pflegt. Sie können also solches annehmen, so viel sie wollen, ohne der Schrifft zu wiedersprechen.

Die Gothischen Falten würden mir nicht anstößig seyn, wenn nur das Wort gothisch in parentesi angebracht würde mit der Anzeige, daß man in den folgenden Zeiten sie so genennt habe.

Ich warte mit Ungeduld auf die unschuldige Liebe, darin ich mir ein rechts Paradies von Lust vorstelle. Hingegen erschreke ich jezo schon über die geopferten Menschen. Ich bin zu blöde solche Bilder zu lesen. Ich wollte was darum geben, daß ich die Stelle im Meßias, wo der Beseßene seinen Sohn zerschmettert niemalen gelesen hätte; und das röcheln der 49 sterbenden Brüder macht mich zittern.

Suppius hat durch seine Gedichte seinen Ruhm bey mir sehr verringert. Es ist gar zu viel schlechtes darin.

Was halten Sie von unsrer Zeitung? Können wir auf ihren Beytrag hoffen? Hr. Ramler wird seine ganze Critik darin anbringen.

Hr. Schultheiß hat den Museus in Verse übersezt und ist bald damit fertig. Er hat der Reise wegen an Klopstok geschrieben. Sie melden mir nichts mehr von der franz. Übersezung des Meßias, die ich dem Hrn. v. Maupertuis schon versprochen habe. Ich verharre

Ihr ergebenster Dr. S.

Berl. den 26 Jan. 50.

Können wir sagen von wem wir die unschuldige Liebe bekommen haben?

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – E: Körte 1804, S. 122–127 (Auszug).

Eigenhändige Korrekturen

denn wenn
denn sonstwenn

Stellenkommentar

der Hr. v. Kleist
Kleist an Gleim, 22. Januar 1750: »Der Verfasser bringt z. E. darin eine Satire auf die Franzosen und die Parisische Bluthochzeit an. Sollten Sie dieses wol in einem ernsthaften Heldengedichte suchen?« (Sauer (Hrsg.) Briefe von Kleist 1880, S. 163). Kleist an Hirzel, 4. November 1750: »Sie werden vermutlich schon wissen, was mir Herr Sulzer vor einen Spaß mit dem Noah gemacht. Er schickte ihn mir und meldete, daß man den Verfasser nicht wüßte und bat um mein Urtheil. Mir fiel zwar gleich, als ich etwas darin gelesen, Herr Bodmer ein; aber wie ich zu wenig argwöhnisch bin und nicht sah, was Herr Sulzer für Ursachen haben sollte, dieses zu cachiren, widerlegte ich mir es selber [...]. Ich schrieb also Herrn Sulzer meine Meinung ganz frey [...]; indeß stünde mir doch Verschiedenes nicht an, z. B. daß Gott nicht gewußt, was auf der Erde geschähe, und Noah Befehl ertheile, ihm Bericht davon abzustatten, – die Satire auf die lebenden Nationen, die Parisische Bluthochzeit u.s.w.« (ebd. S. 179 f.).
Den
Verschreibung Sulzers, gemeint ist »denn«.
infra regionem lunorem
Übers.: »in den Bereich des Mondes«.
Systema des Buffons
Georges-Louis Le Clerc de Buffon hatte 1749 in seiner Histoire naturelle, génerale et particulière (dt. Übers. 1750) in dem Teil Preuves de la théorie de la terre seine Gedanken zur Entstehung der Erde ausgeführt. Buffon ging davon aus, dass die Erde durch einen Zusammenstoß der Sonne mit einem Kometen entstanden sei. Vgl. Schechner Comets 1999, S. 198–202. In den Critischen Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit findet sich sowohl eine Rezension von Buffons Histoire Naturelle (Nr. 2, Januar 1750, S. 13–15) als auch von der deutschen Übersetzung (Nr. 51, 18. Dezember 1750, S. 496), die vermutlich beide von Sulzer verfasst wurden.
Meinung unsers Dr. Heinius
Johann Philipp Heinius, in Halle an der Saale zum Lehrer der Heils- und Kirchengeschichte ausgebildet, war seit 1729 Rektor des Joachimsthalschen Gymnasiums, wo Sulzer einem Stunden- und Lehrplan aus dem Jahr 1762 zufolge auch Astronomie unterrichtete (vgl. BLHA, Rep. 39).
Stelle im Meßias
F. G. Klopstock, Messias, 1749, 2. Ges., S. 48 f. und [J. J. Bodmer], Noah, 1750, 1. Ges., S. 43. Das »Röcheln« der Brüder Mirzas findet auch in Ramlers und Gleims Rezension des Noah eine besondere Erwähnung.
Museus in Verse übersezt
Johann Georg Schulthess' allerdings scheinbar erst 1766 publizierte Übersetzung von Musaios' Hero und Leander.
an Klopstok geschrieben
Nicht überliefert. Vgl. Klopstocks Brief an Schulthess vom 12. April 1750, in dem er sich für die »zween freundschaftlichen Briefe« bedankt und zugleich dafür entschuldigt, dass er diese erst »izt beantworte«. (Klopstock Briefe 1979, Bd. 1, S. 71 f.).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann