Mein theürer Freünd.
Sie werden mirs doch vergeben, wenn ich iezt selten und nur kurz schreibe. Beydes, Leib und Geist, sind nicht zum Schreiben aufgelegt. In meinem Geblüth scheint ein Fieber herum zu schleichen, welches einen diken Nebel um meine Augen verbreitet und seit 14 Tagen hat mich auch die süße Gabe des Schlaffes, sonst die einzige Erquikung meines einsamen Lebens, ziemlich verlaßen. Ich ertrage mein Elend zwahr mit Gelaßenheit, ohne Ungeduld und ohne Murren, aber es liegt dennoch schweer auf mir. Mein Garten ist meine größte Erquikung.
Haben Sie tausendfachen Dank für ihre Elektra, und noch mehr für den erhabenen Ulyßes. Unter die Thränen, die ich dabey vergoßen mischten sich viele, die der verstorbenen Freündin zugehören. Wie sehr würde sie sich über so fürtreffliche Stüke gefreüt haben! Ich habe in Magdeburg mein Leiden dadurch zu versüßen gesucht, daß ich das edle Leben und den erhabenen Charakter der theüren Freündin entworffen. Jezo bin ich daran [→]diese Schrifft für meine Freünde nebst ihrem Portrait abdruken zu laßen. Wollen Sie noch einige Blumen auf das Grabmal der Geliebten streüen, so schiken Sie mir dieselben bald.
Der Philotas, die Vorrede zu der Übersezung des Homers und besonders die Abhandlung in den freymüthigen Nachrichten von dem Zustand des Geschmaks, haben mich äußerst vergnügt. Ich hatte in verschiedenen Artikeln meines Wörterbuchs dieselben Wahrheiten sehr laut, aber nicht so gründlich geprediget, nun will ich alles verstärken. Im Ulyßes ist es mir etwas hart vorgekommen, daß ein falsches Orakel, zukünftige Dinge würklich vorhersagen kann. Ihren verbeßerten Noah erwarte ich mit großer Ungeduld. Aber ich vermahne Sie nicht allzu strenge zu seyn. Es sind nicht viel Dinge in dem Alten, die ich mißen möchte. Sezen Sie sich so viel nöthig über den Tadel der schlechtdenkenden und niedrig fühlenden deütschen Kunstrichter mit der Freymüthigkeit, die ihren Verdiensten und ihrem Alter anstehen hinaus. Wem kommt mit mehr Recht als Ihnen zu diesen Leüthen zu sagen Anch' io son' critico? Ich bin auf eine Zusamenkunft mit Klopstok in Magdeburg oder Halberstatt eingeladen, kann aber nicht dahin gehen.
Sehen Sie doch, wie Sie den Hrn. Bürgerm. Leü befriedigen. Es ist mir jezo unmöglich es zu thun. Tragen Sie es unserm Freünd Künzli auf. Aber sagen Sie ihm dabey, daß es mir höchst zuwieder seyn würde, wenn etwas anders, als bloß Historische Umstände herein kämen. Von diesen sind folgende die merkwürdigsten. Ich bin gebohren den 16 Oct. 1720. Von 1736 bis 39. habe ich in Zürich studirt, Ao. 39 bin ich, wie wol mit vielem Wiederspruch von Seiten des verstorbenen Canon. Hirzel ad Ministerium ordinirt worden. Während dieser Zeit hatte ich der Freündschaft des Hrn. Can. Geßners sehr viel zu danken. A 41 u. 42 bin ich Vicarius zu Maschwanden gewesen und bekam in dieser Zeit die Direction der Antiquitäten Gräberey zu Lunnern. Gegen Ende 43 bin ich nach Deütschland gereist und die Jahre 44 bis halb 47. habe ich in Magdeb. zugebracht. Während dieser Zeit sollte ich Hofmeister des iezigen Erbprinzen von Bernburg werden, aber ich fand keinen Geschmak daran. Von da wurd ich durch die Vermittlung des verstorb. Præs. v. Maupertuis an das Königl. Gymnasium als Prof. Mathes. beruffen, und 50 in die Acad. aufgenomen, und in eben diesem Jahre, habe ich nach einer in das Vaterland gemachten Reise mich verheyr. und habe jezo 3 Töchter am Leben.
Von meinen Schriften kann ich Ihnen keine genaue Nachricht geben, weil ich keine einzige davon in Händen habe. Das wird unser Freünd wol thun können. Und cui bono? Aber ich möchte doch gerne Ihro Gnaden nichts abschlagen, weil ich die größte Hochachtung für dieses Haupt des Staates habe.
Hr. Wieland hat mir ein paar mal geschrieben. Ich sollte seine Clementina der Pr. von Pr. übergeben. Vorläuftig hatte ich schon davon gesprochen, aber er hat sie mir entweder nicht geschikt, oder sie ist unterwegens verlohren gegangen. Laßen Sie ihn doch dieses wißen.
Leben Sie wol mein theürester Freünd und grüßen Sie alle unsre Freünde.
den 27 May.
Laßen Sie doch ihrem Nachbar Hrn. Escher wißen, daß ich seinen Brief in Magdeburg bekomen, seinen Boten aber nicht gesehen habe. Deswegen habe ich auf die aufgetragene Commission nicht bestellen können. Ich werde ihm bald antworten.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a.