Mein theuerster.
Gewiß hat die vorsehung eine besondere Absicht, daß sie ihnen solche schläge an so empfindlichem orte schlägt. Lasset uns auf ihre Wege achtung geben und ihrer leitung folgen. Dise betrachtung hinterhält mich, daß ich so laut mit Ihnen weine, als ich sonst thun könnte. Zudem habe ich in meinen Trauerspielen so viel und so sehr geklaget daß ich es satt seyn kann. Sie werden da gewiß auch für Sie geweinet finden. Ohne Zweifel haben sie bemerkt, daß ich wegen Ihres verlustes selbst Tröstungen nöthig habe, und darum haben sie mich mit diesem phænomenon der wunderbaren dichterinn zu zerstreuen gesucht. Ich bewundere ihre geschiklichkeiten und liebe ihr herz. Gewiß sind jene die frucht dises leztern. Sie empfindet wie sie soll, und der einfältige Ausdruck deßen giebt ihren Versen Würde. Fari potest quæ sentit. Ohne Zweifel werden sie ihr Empfehlen ihre gedanken aus der Erniedrigung, in welche sie der kleine gegenstand von gesundheiten und andern gelegenheiten stürzet zu erheben und sich einen würdigern zu wählen, den sie beständig im Auge behält, und alle ihre übrigen stunden, und ihre ganze lectur dazu anwendet. Sinnen sie nach ob nicht die Kindheit Jesu ein sujet wäre, das ihrer Empfindungsart anständig und dem sie gewachsen wäre. Sie hat mir ein sehr feines Compliment gemacht wegen des verlustes der seit bald 30. jahren noch in meinem herzen blutet. Sie wissen daß ich in etlichen stellen meiner gedichte geweinet habe, ungeachet ich die Regel des wolstands verletzte, der fodert daß man das publicum nicht mit seinen eigenen kleinen angelegenheiten unterhalten solle. Man hat mich auch deßwegen verspottet, aber sie mein freund empfinden gerade izt wie fühllos dise verspottung ist. Ohne Zweifel werden sie mir bald mehr von der poetin schiksal entdecken, sie verdient der Pamela Glück, aber sie kann bey einem erträglichen glücklich seyn. Es ist kein gutes zeichen für die leute, unter welchen sie 40. jahre gelebt hat, daß man sie nicht gekannt hat. Da sie izt meine gedichte liest, so geben sie acht ob es so allgemein sey, was nicht nur Lessing sondern Shaftsbury sagen, [→]that the wit of the best poet is not sufficient to reconcile us to the lives auf Moses, Josua, David. Ihre unverfälschte seele kann uns eine aufrichtige probe geben. Ich wollte doch daß sie den Noah zuerst in seiner widergebohrnen gestalt gesehen hätte. Er ist zwar der vorige; aber seine Züge haben izt die vollkommenheit des Mannes. Ich will ihr auf ihren angenehmen brief antworten, wenn ich mehr von ihr gesehen und gehört habe.
Wir haben hier auch ein moralisches Phænomenon, das uns der doctor Hirzel an einem bauer von Hermaschwyl bey Pfäffikon entdekt hat, der recht starke Züge von dem socratischen geist hat, den er zu seinen Feldgeschäften anwendet. Der doctor hat sein leben geschrieben, das exemplarischer und philosophischer ist als manches leben der grossen welt.
Iseli hat wieder einen politischen versuch publicirt, [→]er hält den Machiavell für einen bessern mann als den Montesquieu; [→]Klopstok hält er für einen verderber des geschmakes und wiewol er meinen nahmen schonet, so bezeichnet er mich doch genugsam. [→]Die Hexameter und die orientalische schreibart verdammt er d'un coup de plume. Nichtsdestoweniger hat er mir sein werck geschenkt und mich seiner vollkommensten hochachtung und Ergebenheit versichert. Ich schweige zu dem allen und überlasse ihn seinem gericht. Wieland ist ein Kleinreichstädtischer Politiker geworden. Die protestanten von Biberach zanken mit den Catholiken um Einkünfte von Bozen, die beyden theilen zulezt so viele Louisdors kosten. Izt ist er im begriff den ersten band seiner Übersezung von Shakespear in die orellische presse zu schiken.
Unser Breitinger überarbeitet seine dichtkunst, sie bekommt neue capitel von der Epopöe, dem Trauerspiel ... Er wünscht ihre definition der dichtkunst zu wissen.
Ich bin durch äusserliche umstände wieder in der gefahr in den Rath erwählt zu werden. Ein solches begegnis würd mich meiner Ruhe nehmen und meine alten tage verderben. Ich wäre, zwar in einem andern sinne, so verlassen, so verlegen, so verschlagen, als sie, mein freund, seyn mögen.
Der König kann sich in der Affaire von Neufchatel den ruhm eines gerechten erwerben, oder sich in den verdacht eines unterdrückers sezen. Die Rechte dises staats sind so offenbar, und so bestimmt als man fodern kan, und Neufchatel hat sich durch keine furchtsamen Considerationen hinterhalten lassen, sie in ihrer ganzen stärke zu publiciren. Sie verfechten sie mit Brutus muth; der König muß gewalt brauchen wenn er sie ihnen nehmen will. Ich denke, er war bisher nicht recht berichtet. Es kömmt fremden und königen gar schwer an, sich in unsere helvetischen Immunitäten zu richten.
Ein Italienischer Edelmann von Vicenza, Roselli, ist ex professo mit sonnetti und versi sciolti hierhergekommen sie druken zu lassen. Es sind lobgedichte auf den König, auf Prinz Heinrich, Prinz Ferdinand... Er wird einige Exemplar dem König schiken; wenn er vernimmt, daß er sie seines anblikes würdigt, wird er auf der post zu ihm reisen, ihm die hand dafür zu küssen und dann vergnügt sterben.
Ich muß Ihnen doch etliche stellen ausschreiben ut ex ungue hunc leonem:
[→]il volo abbassa Al aquila ch'invidia i non suoi regni. – Sparga in tanto la gentre a fingerasa Velate di pietá false radici Or che l'alta speranza é omni delosa. – o sommo duce, mio Ré, padre dell'arti, sacro Dell'Allemanna Libertá sostegno. – il giogo infranto Per lui vedrai forte lamagna ancora. – Giove l'auree bilance prese, Morte pose nell'una, Nell'altra la Fortuna. Inclinó il fatal giorno; i Prussi al suol posaro et Egli Austro-Russi all'ampio Ciel montare.
Wen er durch folgende Zeilen verstehe, kann ich nicht wissen:
[→]dal favor vostro piove virtú, che lume all'alme accresce. Io ben le só che ardito il Reinart vostro Cinsi d'Itala veste; Antonia a gara il fior libó di quel soave frutto.
Er scheint etwas von einem Reinhart übersezt zu haben. Gott wolle nicht, daß es der Reinhart sey, der den preis der Academie nicht gewonnen hat!
Das Epigramma auf Voltaire ist stark; Hagedorn hat auf einen papefiguier gesagt:
Er bliebe, was er ist, so dürr als Miltons Tod,
Und bosheit voll, wie Miltons sünde. p. 325 moralische ged. 1753.
Wägeli hat apologetica gegen Lessing für socrates geschriben, aber so verhalten, so bemühet, daß wir sie zurükebehalten wollen; es sind perlen vor schweine geworfen. – [→]Unser Waser sagt, das Reich der verbesserten sitten komme auch nicht daß man es erweken möge, und ein gläubiger scribent sey zufrieden wenn auch nur bey einem ein Keimgen aufgehet von s. ausgeworfenen samen. Der Kampf sey auch da gegen die fürstenthümer, gegen weltregenten d finsterniß diser zeit, die sagen wir sind wol wie wir izo sind. Sollen wir mit brutischen thaten zum gelächter werden? –
Wer wird dise weisheit zur thorheit machen können? Unser neuer Rector arbeitet in seinen Classen wie ein held, sie wissen schon, daß er nichts halb thut, nil egisse putans si quid p. Ich habe den H. stadtschr. Sulzer überreden wollen, daß er einen Marcus Brutus verfertigen könnt, seine bescheidenheit hat ihm aber nicht zugelassen mir es zu glauben.
Glauben Sie, daß man ohne die grosse Welt zu empören den Marcus Brutus als einen stoiker und einen tyrannentöder vorstellen könnte; würde man den verfasser nicht für einen schüler der Jesuiten ausschreyen, und würde nicht das Mitleiden für Cäsar die Hochachtung für Brutus ersticken?
Ich wünschte sehr den nahmen des magisters zu wissen, der in der bibliothek der schönen Wissenschaften den artikel gegen den deutschen Sophocles verfertiget hat, ingleichen den wizigen menschen der die denkwürdigkeiten des socrates geschrieben hat. Unser Waser hat in der vorrede vor dem fünften Swift ein wahres urtheil von Young gefällt, das aber kaum wird beyfall bekommen. Es wird indessen seyn, was es ist.
Widerstehen sie ihrem leide, mein freund, mit halb so viel stärcke, als Brutus gebraucht hat, seine söhne den gesezen aufzuopfern; und lieben beständig ihren aufrichtigen
freund und diener
B...r.
Unreif und gryn, O freund, hat der Engel des Todes den liebling
Deiner Seele gepflyckt; das leben der kyrzlich gebohrnen
Lag noch erst in der Knospe, kaum stachen die blumigten spitzen
Rœthend hervor: doch das auge das in die ferneste zeit sieht,
Sahe sie schon in der vollen reife des fruchtbaren Wachsthums.
Lasst uns den Retter singen der mit dem anblick zufrieden
Ihre tage der pryffung in diesem Leben des Todes
Milde verkyrzt und ihr in dem ersten Eingang des lebens
Zu dem hoehern, dem wahren, leben die pforte geöfnet,
Wo der wechsel nicht hinkœmmt, die bosheit nicht længer den schwung hat.
P. S. Ist ihnen Wilkis Epigoniad noch nicht vor das gesicht gekommen?
Wer ist der verfasser der andern Abhandlung vom Genie in der samml. vermischter schriften?
Wie heißt der Jude, Lessings Philosophus? und lebt der Jude, der medicus, noch? sind sie brüder?
Z. den 8. April 1761.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b.
Brief von Anna Louisa Karsch an Bodmer.
Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »8 Apr. 61.«