Datum: 2. Februar 1760
Ich habe mir schon seit vier Wochen vorgenommen, Ihnen, mein theürer Freünd, einen langen Brief zu schreiben, aber ich habe wahrlich keinen Muth dazu, und mein Kummer macht mir dergleichen Beschäftigung, die sonst die angenehmste war, jezo zur Last. Alle die schöne Hofnungen, die ich durch die Geburth eines Sohnes, bekommen habe sind mit seinem Tode verschwunden, und wer weiß, ob nicht dieses so wenig genoßene Kind, mich nicht noch der Mutter selbst beraubet! Sie hat sich seit vier Monaten noch nicht wieder zu ihrer vorigen Gesundheit erholen können, und ein alltägliches Fieber, das Sie seit vier Wochen hat, stellt mich an den Rand einer traurigen Finsternis für meine künftigen Tage. Urtheilen Sie hieraus, mein werthester Freünd, wie sehr mir alles zuwieder seyn muß. Die Hoffnung, daß der herannahende Frühling der so sehr werthen Kranken zuträglich seyn und ihr nach und nach die vorige Gesundheit wieder geben könnte erhält mich noch. Wie wol ich seit 6 Wochen auch eine merkliche Veränderung in meiner Gesundheit wahrnehme, da bald das Podagra, bald innerliche Zufälle mich anfallen. In einigen erträglichen Stunden denke ich jezo mehr als jemal an die Fortsezung meines Wörterbuchs; ich arbeite so, daß ich ihres Beyfalls zum Voraus gewiß bin. Aber auf die Art, wie ich die Sache anfange, geht die Arbeit sehr langsam fort; ich hoffe, daß mein Werk in dem Grad gut seyn soll, in welchem das Gottschedische lächerlich ist.
In unseren großen Angelegenheiten hat sich lange nichts erhebliches zugetragen. [→]Wir halten ganz Sachen, bis auf die Gegend von Dreßden nach Böhmen hin feste, und versammeln wieder eine so ansehnliche Macht von neüen Leüthen, daß die Armee mit dem ersten Frühling wieder so vollzählig, als sie jemal gewesen ist seyn wird.
Die leydige Historie von Maxen hat nicht die geringste üble Folge gehabt, als daß Daun hat an seinem Orte können stehen bleiben. An den Frieden glaubt man hier noch nicht.
Wir haben hier eine erstaunliche Kälte gehabt, und in Petersburg ist sie ganz unglaublich gewesen. Als man ihr noch mit künstlichen Mitteln zü Hülffe gekommen, hat man zum erstenmale das Queksilber steiff und in Form eines würklichen Metalls gesehen.
Leben Sie vergnügt, mein theürer Freünd, und grüßen Sie unsere Freünde von mir.
S.
den 2 Febr. 60.
Überlieferung
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen II 1807, S. 325 (Auszug).
Anschrift
à Monsieur Bodmer Professeur tres celèbre à Zurich.
Vermerke und Zusätze
Siegelreste.
Stellenkommentar
- mit seinem Tode
- Sulzers am 15. Oktober 1759 geborener Sohn Georg Wilhelm war am 2. Januar 1760 gestorben. Vgl. Denzler Die Sulzer von Winterthur 1933, Taf. 8, Nr. 858. Wilhelmine Sulzer starb am 16. März 1760 in Berlin. Nach dem Tod Wilhelmines blieben Sulzer seine drei Töchter Elisabetha Sophia Auguste (geb. 1753), Henrietta Wilhelmina (geb. 1755) und Maria Johanna Victoria (geb. 1757). Vgl. die Nachricht im Brief Sulzers an Künzli, Berlin, 18. März 1760 (nicht überliefert), von dem Waser eine Abschrift für Bodmer anfertigte (ZB, Ms Bodmer 5a): »Copia Schreibens Hrn Prof. Sulzers an Hrn Prov: K: in deßen Namen ich Ihnen wegen einer Aderlaße die ihn nicht selbst schreiben läßt, diese Trauerpost berichten soll. Wir leiden mit dem Leidenden. Waser. Mein liebster Freünd. Wie soll ich Ihnen sagen, daß ich der verlaßenste und betrübteste Mensch bin, der izo auf der Erde lebt? Meine theüerste Wilhelmine, die beste, die liebenswürdigste Frau, die beynahe den höchsten Gipfel der menschlichen Tugend erreicht hatte; Sie ist nicht mehr, und ich bin verlaßen, und in einen Abgrund gestürzt, in welchem ich kein Licht und keine Freüde mehr weit um mich sehe. O! mein theürer Freünd, was für ein Leiden ist es, von einer solchen Gattin, von einer solchen Freündin, von einer solchen Gehülfin getrennt zu werden! Sie hat seit dem Tod ihres Sohnes beständig gelegen, ist immer schwächer geworden, und vorgestern ist sie wie ein Licht dem die Nahrung fehlt ausgelöscht. Dieß ist alles, was ich izo Ihnen zu schreiben im Stande bin. Verkündigen Sie mein Unglük unsern Freünden, besonders unserm theüren Bodmer, der auch allemal der Innhalt der süßesten Unterredung war, die ich mit dieser izo verklärten Seele in den seeligsten Stunden meines Lebens gehabt habe. O! was für Tugend, und was für ein vollkommenes Muster aller Rechtschaffenheit, ist der Welt, besonders mir und meinen armen verlaßenen Kindern entzogen! Ich werde trachten der ersten Betäubung etwas auszuweichen, und mich nach Magdeburg begeben, wo ich bis gegen Ende des Aprills zu bleiben gedenke, wenn Sie mir schreiben, so addreßiren izo ihre Briefe an Hrn. Bachman. Gott erhalte Sie mein theürester Freünd. Sulzer den 18. März. 1760.«
- das Gottschedische
- J. C. Gottsched, Handlexicon, 1760.
- Wir halten ganz Sachsen
- Verschreibung Sulzers, gemeint ist Sachsen. Seit Anfang des Siebenjährigen Krieges stand Sachsen unter preußischer Besatzung. Nur Dresden wurde seit dem Sommer 1759 von Reichstruppen belagert, was zu einem erneuten Angriff der preußischen Armee und zur Schlacht in der Nähe des sächsischen Maxen führte. Dresden blieb jedoch weiterhin in österreichischen Händen.
- Die leydige Historie von Maxen
- Zum Gefecht von Maxen vgl. Brief letter-bs-1759-12-20.html.
- eine erstaunliche Kälte
- Von der außergewöhnlichen Kälte in Nordeuropa im Winter 1759/60 zeugen z. B. die zeitgenössischen Berichte von H. F. Delius, Bemerkung der Kälte in den Wintermonathen 1759. und 1760. in Jena, 1760, oder A. Hellant, Von der letztern ungewöhnlichen Kälte in Torne und der Lappmark, 1760.
Bearbeitung
Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann