Brief vom 26. August 1763, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Datum: 26. August 1763

Laßehn unweit Colberg
den 26. Aug. 63.

Sie sehen, mein theürester Freünd, aus dem Namen des Orts woher ich Ihnen schreibe, daß ich noch immer auf der Wanderschaft begriffen bin. Ich hatte schon seit langer Zeit dem Generalen Grafen von Borke, der in Berlin in meinem Hause wohnet versprochen, ihn auf seine Güter zu begleiten, so bald er vom König würde Erlaubnis haben, dahin zu gehen. Da dieses den verwiechenen Monat geschehen, so mußte ich Wort halten und die Reise mit machen. Kurz vorher hatte ich meine Stelle am Gymnasio niedergelegt, und es kam mir nicht unschiklich, die drey Monate, die ich auf dem Lande zubringen wollte auf die Überdenkung meiner künftigen Lebensart anzuwenden.

Auf der Herreise ging ich über Schwedt, wo die Herzogin von Würtemberg sich gegenwärtig aufhält um endlich die mir von dem Hrn. Sekelmeister Orell aufgetragene Verrichtung auszuführen. Izo reise ich seit 7 Wochen mit meinen Hrn. Wirth hier im Lande herum. Dieses hat mir Gelegenheit verschaffet den alten verehrungswürdigen Vertheidiger der Statt Colberg, den Obristen v. Heyden kennen zu lernen, die übel zerschoßene Statt und alle rußische und preüßische Verschanzungen um dieselbe herum in Augenschein zu nehmen. Währender Reise haben wir verschiedene Dörffer oder Stellen der Dörffer angetroffen, wo man kaum noch Spuhren der ehemaligen Wohnungen sieht. Verschiedene derselben werden nun von Colonisten wieder aufgebaut. Auf diese Weise haben wir auf ein mal das doppelte Schauspiel von der Verheerung und von der angehenden Bevölkerung eines Landes vor Augen gehabt. Der König spannt außerordentliche Kräfte an, das Land bald, nicht nur in den vorigen, sondern in einen noch weit beßern Stand zu sezen. Er hat eine unglaubliche Menge Viehes aufkauffen, Geträyde heranfahren und viele tausend Familien in Pohlen anwerben laßen um das Land wieder zu bevölkern. Und weil es diesen Gegenden an Holz fehlt, so werden ganze Wälder zu Schiffe hieher gebracht. Damit der Landman zum Fleis angehalten werde, will der Regent alle Knechtschaft und Leibeigenschaft der Bauren aufheben. Jeder Soldat der heyrathen will bekommt seinen Abschied; und den Bauren und Herren, denen es noch an Knechten fehlt, werden von den Königl. Commißarien solche zugeführt. Dies sind die Gegenstände, die mich seit zwey Monaten beschäftigen. Gegenwärtig halten wir uns an der Seeküste in einem dem Grafen zugehörigen überaus angenehmen Dorffe auf, das nach Appenzeller Art gebaut ist. Die Häuser sind auf eine ganze Meile weges zerstreüt; das Land ist fürnehmlich an Weiden und schönen Wiesen reich. Die See, welche an unsern Garten anspühlet giebt uns einen unglaublichen Überfluß der besten Fische, und wir sehen täglich reich beladene Schiffe nach Osten und Westen vor unsern Fenstern vorbey seegeln, die wir mit unsern Seheröhren so lange begleiten, bis sie uns der Horizont aus dem Gesicht enzieht.

Mitlerweile überlege ich meine künftige Lebensart. Meine Neigung so wol, als der Vortheil von einem mittelmäßigen Vermögen bequämlich zu leben, entscheidet die Überlegung für das Landleben. Ich habe verschiedene Projekte hierüber. Das beste scheinet mir die Anlegung einer kleinen Colonie zu seyn, weil dieses mit einer Bedienung in der Hauptstatt bestehen könnte. Es werden längst der Oder, zwischen Cüstrin und Stettin wieder viel Ländereyen ausgetruknet. Diese werden in sehr fruchtbare Plänen verwandelt die der König zu Erblehen denen giebt, die Colonien da anlegen. Vor 20 Jahren ist schon einmal ein solches Werk ausgeführt worden, und die, welche damals Colonien angelegt haben, sind reich dabey geworden. Die izige Gegend ist von den schönsten im Lande und nur 6, 7 u. 8 Meilen von Berlin entfernt. Ich habe würklich einen Menschen abgeschikt, der mir ein gutes Stük Landes aussuchen soll, welches ich bey unsrer Zurükreise besehen könnte. Alsdenn werde ich einen Schluß darüber faßen. Im Fall dieses Projekt zu seiner Ausführung komt, so werde ich suchen ohngefehr 12 Familien aus verschiedenen Orten der Schweiz anzuwerben. Ich kann jeder 20 bis 25 Morgen des besten Aker und Wiesenlandes geben, und für Erb und eigenthümlich verschreiben. Dafür würden sie mir jährlich ohngefehr 2 Rthlr.. für den Morgen bezahlen, außer dem aber von allen Abgaben, von Contributionen, Zehenden und wie sie sonst Namen haben frey seyn. Diejenige, welche etwas vermögen hätten ihre Häuser aufzubauen und ihr Vieh anzukauffen, wozu für jede Haushaltung ohngefehr 500 Gulden. nöthig wären, würden sich auf ihre Umkosten anbauen, den andern würde ich diese Summe vorschießen. Für mich selbst würde ich einen großen Hof übrig behalten, der der Profit von meiner Entreprise wäre. Schreiben Sie mir, ob Sie glauben, daß ich so viel Leüthe aus der Schweiz bekommen würde. Allenfalls müßte man lauter junge Kerls und Mädchen nehmen, die zu Hause nichts zuerwarten haben und die sich miteinander verheyrathen würden.

Übrigens habe ich wegen einer Bedienung in der Statt, der einzigen, die mir anstühnde und wo ich mit Nuzen für das Publicum etwas thun könnte meine Vorschläge einem Freünd, der immer um den König ist, (dem Marquis d’Argens) übergeben, der mir versprochen hat, sie bey guter Gelegenheit Sr. Maj. vorzulegen. Weil man mir drohet, daß der König mir eine andre, die mir, wegen zu viel Arbeit nicht anstehen würde, zugedacht hätte, so habe ich positiv in meinem Aufsaz gesagt, daß ich keine andre Stelle, als die ich vorgeschlagen habe, annehmen würde; damit wollte ich mir die Verlegenheit erspahren, etwas auszuschlagen, das mir vom König könnte angetragen werden. Bey dem allem aber behalte ich meinen Plaz bey der Academie und die Anwartschaft auf eine Pension dabey. Ich hoffe, daß in ein paar Monaten sich alles näher entwikeln werde.

Mit unserm Füßli gehen die Sachen nicht so, wie ich gewünscht und gehoft habe. Der Englische Gesandte wollte durchaus nicht rathen ihn auf ein ungewißes nach England zu schiken. Er sagte, daß 10 gegen eines zu wetten sey, daß er übel dabey fahren würde. Er versprach also dahin zuschreiben um eine Condition für ihn zu suchen. Bis jezo habe ich hievon nichts zuverläßiges gehört. Izt schreibe ich ihm, er soll auf den 1 October trachten in Berlin zu seyn. Dort werde ich ihn so lange bey mir behalten, bis wir seinethalber etwas zuverläßiges entschließen können. Nach der lezten Remesse von Hrn. Dr. Hirzel habe ich nun noch 250 Rthlr.. oder 420 Gulden nach ihrem Geld für ihn im Vorrath und werde alles thun, daß er sich damit auf einen festen Fuß sezen könne.

Meine travaux litteraires verspahre ich auf künftigen Winter, da ich mich in mein Cabinet einschließen und das Versäumte nachzuholen gedenke. Ich hoffe, daß der neüe Noah mir dabey Gesellschaft leisten soll.

Empfehlen Sie mich der Fr. Profeßorin, dem Hrn. C. Breitinger und andern Freünden bestens. Dem Hrn. Dr. Hirzel und dem Hrn. Stattschreiber machen Sie mit Gelegenheit meine Entschuldigung, daß ich Ihnen noch nicht geschrieben habe. Meine Vagabonde Lebensart macht mich dazu ganz untüchtig. Künftigen Winter will ich alles nach holen. Auch Hr. Füßli beym Feüer Mörsel hat mir geschrieben dem ich izo unmöglich antworten kann. Den Philokles versichern Sie meiner Hochachtung und zärtlichen Freündschaft.

Man schreibt mir aus Berlin, daß die Karschin eine Audienz beym König gehabt, die sehr angenehm gewesen. Ich erwarte darüber von ihr selbst Nachricht.

Leben Sie gesund und vergnügt mein theürester Freünd. Ich bin mit der zärtlichsten Ergebenheit der Ihrige

S.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Eigenhändige Korrekturen

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Stellenkommentar

seine Güter
Heinrich Adrian Graf von Borcke besaß ein Gut im Dorf Lassehne in Pommern an der Ostsee. Zudem besaß Sulzers Freund ein Gut in Stargordt, wo er sich der Land- und Forstwirtschaft widmete. Borcke publizierte 1778 eine für die agrarökonomischen Tendenzen und Entwicklungen seiner Zeit wichtige Schrift mit dem Titel Beschreibung der Stargordtischen Wirthschaft in Hinterpommern.
meine Stelle am Gymnasio niedergelegt
Vgl. Kommentar zu Brief letter-sb-1762-05-30.html sowie Sulzers Schreiben vom 6. Juni 1763 an den Direktor des Joachimsthalsches Gymnasium, in welchem er darum bittet, ihn von seinem »Amt gänzlich zu dispensiren und mir eine förmliche Dimißion von demselben Hocgeneigt zu accordiren«. (GStA, Rep. 60, Nr. 28).
die Herzogin von Würtemberg
Die Gattin des Herzogs von Württemberg war Elisabeth Friederike Sophie von Brandenburg-Bayreuth. Hier meint Sulzer jedoch die spätere Herzogin, Friederike Dorothea Sophia von Brandenburg-Schwedt, Ehefrau von Friedrich Eugen von Württemberg, für den der Pokal bestimmt war (siehe Kommentar zu Brief letter-bs-1763-02-25.html).
Vertheidiger der Statt Colberg
Vgl. Brief letter-sb-1761-02-10.html.
von Colonisten wieder aufgebaut
Zur (Re-)Kolonisation des ländlichen Raums unter Friedrich II. vgl. Aschoff Kolonisation 1985. Auch die Ansiedlung von Schweizer Kolonisten (vornehmlich aus Neuchâtel) hatte eine längere Tradition in Preußen und ging bereits auf Projekte unter Friedrich Wilhelm I. zurück (vgl. Tobler Schweizer-Kolonisten in Ostpreussen 1896).
nach Appenzeller Art gebaut
Nicht ermittelt.
Entreprise
Übers.: »Unternehmung«.
meinem Aufsaz
Entsprechende Handschrift Sulzers nicht ermittelt.
Der Englische Gesandte
Andrew Mitchell.
Condition
Übers. hier: »Anstellung, Posten, Gehalt«.
Remesse
Übers.: »Wechsel, Wertpapier«.
travaux litteraires
Übers.: »literarische Arbeiten«. Sulzer bezieht sich auf die Verfassung der Artikel seiner Allgemeinen Theorie.
der neüe Noah
Bodmers Noachide.
dem Hrn. Stattschreiber
Salomon Hirzel, Bruder von Hans Caspar Hirzel und seit 1762 Stadtschreiber von Zürich.
geschrieben
Johann Rudolf Füssli (1709–1793), gen. zum Feuermörser, Maler und Kunstschriftsteller. 1763 erschien von ihm ein Allgemeines Künstler-Lexicon.
eine Audienz beym König
Bei der Audienz am 11. August 1763 im Schloss Sanssouci sprach Friedrich II. der Karschin ein Haus und eine Pension zu. Das Versprechen hielt er jedoch nicht. Vgl. Gleim an Uz, Halberstadt, 4. September 1763: »Die Frau Karschin hat mir von ihrem Glück Nachricht gegeben. Der König hat sie sich vorstellen laßen, und eine lange Unterredung mit ihr gehabt, die sie mir ganz erzählt; sie hat sich ein kleines Hauß in Charlottenburg gewünschet, der König hat erforschet, welches es sey, und es ihr gekaufet und geschencket, 200 Rth. pension und freyes Holz soll sie dazu haben, sie hat die Ausfertigung dieser Gnadenbezeigungen an dem Tage erwartet, an dem sie mir schreibt. Müßen wir uns nicht schämen, wir männlichen Dichter, daß wir nichts gemacht haben, daß einer solchen Königlichen Aufmercksamkeit würdig gewesen ist?« (Schüddekopf (Hrsg.) Briefwechsel zwischen Gleim und Uz 1899, S. 342).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann