den 20. April 1765
Mein theuerster Freund.
Hr. Escher vom seiden Hoff, dessen Hr Vater sel. viele Briefe und pake von mir den Hhn. König, Mascov, Hagedorn – nach Leipzig getragen, beladet sich mit derselben Güte dieser Bogen. Ich erwarte, daß Hr. Bürkli oder Hr. Pelisson mir etwas von ihnen bringen werde, das eine bedächtigere Antwort erfoderte: Izt nehme ich mir nicht mehr vor, als mit Ihnen zu plaudern, wie wir an der Spree oder an der Limmat plaudern würden, wenn wir an einem dieser Flüsse beysammen sässen. Aber bald wird unser Wegelin von Angesicht zu Angesicht mit ihnen schwazen; Er hat eine unbeschreibliche freude, daß er in die gesellschaft Sulzers und Lamberts kommen soll, und Sie haben gewiß an ihm den dritten Mann, der an diese Stelle gehört. Wie fürchte ich daß auch Rousseau genöthigt werde, zu Ihnen zu flüchten. Die venerable Compagnie du Consistoire de Môtiers will von ihm eine Confession de foi haben, wie ihr System sie fodert: Da Er ein solches nicht geben kann, so muß er erwarten, daß man ihn als einen unglaubigen ausstossen werde. Man sagt würklich, daß es schon geschehen sey. Er hat von dem König schuz begehren wollen, aber es scheint, daß der Clerus sich darüber weg seze. Und wir wissen, daß die Religion diser Priester wie der Catholischen zween Gesezgeber, zwey Haupter, zwey Vaterlande hat. Ich halte es für providential wenn Rousseau in das land kömmt, wo Su. La. We. Spa. leben. Machen sie denn aus ihm ihren Schaffner in der Meyerey, die sie anlegen. Alle Winkel der Erde sind ihm verschlossen, Holland und Engelland ausgenommen, denen er ohne Zweifel Brandenburg vorziehet.
Er hat den 14 Mars einen Brief an den professor de Felice publicirt, wo er sagt: qu'il n'a pas fait l'ouvrage des princes, qu'il doute même qu'il existe; mais qu'il comprend aisement de quelle fabrique vient cette invention. Vermuthlich hat er Volt. im Verdacht.
Vernés pasteur de Celigny, Genevois, hat vier Briefe an J. J. Rousseau mit dessen Antworten druken lassen. Er klagt sich daß [→]Rousseau in Paris die Sentimens des Citoyens habe nachdruken lassen, mit einem brief an den verleger du Chêne, wo er sagt: que l'auteur en est Vernés, qu'il l'a d'abord reconnu à son style pastoral. Vernés declarirt, qu'il n'a aucune part à cette infame brochure. Rousseau antwortet ausdrüklich, que non obstant le desaveu il attribue l'ecrit desavoüé à Vernés seul.
Unter der Aufschrift Berne le 12. Mars siehet man eine Brochure, le preservatif, die an bosheit die Sentimens des Citoyens noch übertrift. [→]On y accuse Rousseau de vouloir detruire toute morale, toute legislation, tout culte, et jusqu'à la Religion naturelle. On dit que R. fait regarder l'homme, comme un animal fait pour vivre, isolé et sauvage, qui est parfait lorsqu'il est abruti, et qui est depravé quand il est soumis aux loix.
Ich muß fürchten, wenn der Verleumder meinen Italus sehen würde, wie ich gegen die Erbauung einer Stadt alles sage, was R. gesagt hat, daß ich mit ihm in dasselbe Gericht fallen würde. [→]Ohne Zweifel würde Bielefeld eben so wenig damit zufrieden seyn, der 33. und 34ste von seinen Lettr. Famil. widerlegen Rousseau, ehe Rousseau noch geschrieben hatte.
Die Representanten von Geneve publiciren eine Quantitet Brochures, wo oft gute gedanken stehn, zum Exempel in der lettre d'un solitaire: Ceux qui considerent les plaintes des Represantans comme des puerilités, ne sont point susceptibles de cette idée delicate attachée au mot de liberté. Ce qui ne paroitra pas aux yeux de l'indifferent qu'une infraction legere, est d'une consequence trés-grave dans l'esprit du veritable republicain; c'est le sujet de ses meditations les plus profondes.
Der procureur general Tronchin hat en deux parties lettres populaires gedrukt, où l'on examine la reponse aux lettres de la campagne. Die Reponse aux lettres de la campagne ist von De Luc einem Orfeuvre von starker Vernunft. Tronchin erklärt die geseze vornehmlich aus der Übung.
Es scheint der Conseil de vintcinq fürchte allen gehorsam zu verlieren, wenn er nicht ungemeistert fehlen darf. Und der Conseil general möchte gern wieder zurüknehmen, was die Mediation Lautrecs und der beyder stände ihm genommen haben. Einige sagen, der Resident habe den Representanten gesagt, sie sollen ein Ende machen, sein König könne nicht länger gleichgültig zusehen. Andere sagen, der älteste Syndic, Turretin, neige sich stark auf die seite der Citoyens. Und man gebe in dem rath der CC. einander dementis.
[→]In dem Canton Schwyz folget eine Landsgemeinde auf die andere. Viele von der Regierung sind abgesezt, einige aller Ämter unfähig erklärt, selbst ihre Kinder bis auf 50 jahre. Man hat andere mit starken Geldstrafen beleget. Der Landamman Reding ist an den Wunden die man ihm an der Landsgemeinde geschlagen hat, wieder genesen, und hier gewesen, die Gelder, die er erlegen muß, aufzunehmen; wir haben aber nicht sicherheit genug dafür gefunden. Der prälat von St. Gallen hat sie ihm vorstreken wollen; aber die landsgemeinde hat ihm verboten, seine güter ausser landes zu hypothequiren. Man hat auf der offenen Landsgemeinde gerufen, der bund von 1715 sey eine sündliche Frucht des unnöthigen und ungerechten Krieges von 1712. Sie mein freund wissen daß diser Bund den König zum arbitre zwischen den Cantons machet, daß er ihm den durchmarsch durch die Cantons giebt, und daß er ihm 16000. mann levées eingesteht. Welches alles die Schwyzer für abbrüchig der freiheit ansehen. Izt will die landsgemeinde auch mit der Abtey Einsiedeln abrechnen, deren schuzherren sie sind. Die Waldleute von Einsiedeln haben harte beschwerden, die ihnen gegen ihre alten Rechte aufgeladen worden.
Bern hat gedanken gehabt, daß die stände den Schwyzern in einem Manifest Vorstellungen machen sollten: vornehmlich, damit sie nicht Entschliessungen fasseten, welche der König für beleidigend aufnehmen könnte. Hier hat man für besser gefunden zu schweigen. Und was könnte man ihnen für Vorwürfe machen, die sie nicht mit eben so guten beantworten könnten?
Ich denke doch ein starker politischer kopf, von der besten Art, könnte sich diser bewegungen bedienen, dem landmann über sein wahres Interesse, Pensionen, Kriegesdienste, Regierung, Oeconomie betreffend, die Augen zu öffnen. Denn es ist izt eine Zeit da man gern sehen will. Aber erstlich, wo ist diser Kopf? Hernach, wer wird es wagen zu schreiben, wenn man von dem Stand nicht den Auftrag hat? Was mich in der Regierung des landes Schwyz in höchstem Grad ärgert ist dieses, daß sie ihre Unterthanen in der Mark und noch mehr von Uznach wie Hunde halten. Wenn ein Hausvater stirbt so nimmt der landvogt den Leibfall à rigore; wenn alles vermögen in einer Kuhe besteht so nimmt er sie zuvor weg, die Wittwe und 5. 6. unerzogene Kinder mögen ihn auf den Knien bitten, ihnen diesen einzigen Unterhalt zu schenken, der landvogt hält sich zu diser unbarmherzigkeit berechtigt, weil er sein Amt hat kaufen müssen, und die landsgemeinde den Preis dafür ihm willkürlich bestimmt hat. Diese seite der Schwyzer könnte nicht schwarzer seyn; und das sind die leute, die sich selbst regieren sollten!
Die schönen Geister der franzosen greifen sich sehr an, den freyern Nationen zu beweisen, daß ein franzose auch Freiheit und Vaterland hat. Ich habe den Siege de Calais tragedie par de Belloi gelesen. Das ist das erste Sujet aus der Historie des Königreiches, das ein Poet auf die Bühne gebracht hat. Der Applausus war ungemein. Der König hat den Verfasser königlich beschenkt. Calais hat ihm ein monument bey seinen Helden aufgerichtet, und die trouppe der Comödianten von Paris berufen, das stük in jener stadt zu spielen, man wolle sie zahlen, wie sie verlangten. Die großmüthigen Acteurs haben nur einen schauplaz verlangt. Doch ist eine unzeitige Liebe in dem verzweifeltsten Zustand der Action. Auch bin ich von den Zeilen nicht erbaut:
[→]La patrie à mes yeux coutoit aussi des pleurs:
Mais quoi! C'est en son chef, en moi qu'elle reside,
Non dans l'obscur ramas de ce peuple perfide.
Eben so wenig gefällt mir:
[→]L'Etat et le monarque, à nos yeux confondus,
N'ont jamais divisé nos coeurs et nos tributs.
Du Belloy rühmt sich daß er der erste in Frankreich wäre, der ein politisches Trauerspiel geschrieben. Er scheint von Montesquieux Cardinal de Lorraine nichts gewust zu haben. Ich fürchte es werde noch lang währen bis ein guter deutscher Kopf ein Sujet aus der deutschen Historie ausarbeitet, und ich habe die Hoffnung gänzlich verlohren, daß ein solches den Beyfall unsers parterre haben würde. Für meine politischen stüke aus der römischen Historie verlange ich diesen parterre nicht, weil ich das unmögliche nicht verlange.
Was sagten sie zu dem vierten Heinrich, dem Kaiser, könnte man aus der verrätherischen handlung, da der König Heinrich, sein sohn, ihn gefangen nimmt, und der Krone beraubt nicht ein starkes stük herausziehn, wo man zeigete, daß der Bischof, der sich rühmt die Macht des Himmels empfangen zu haben, die Befehle der Hölle vollstreket?
Du Belloy hatte zuerst den Themistocles in der Denkungsart der Griechen verfasset; aber mit dem unglücklichsten Successe, es war des pfeifens und des zischens kein Ende. Die franzosen wollen leidenschaften nicht sentimens haben. Und die deutschen? Thorheiten!
Tobler, der Pfarrer von Ermatingen, hat Tomsons Freiheit, Burg der Trägheit, Alfred – übersezt, sehr luxuriant, er erlaubt sich jedes schweizerische Wort bis [→]zum schlechtesten, z. B. güttern; er giebt der Bedeutung gern eine neue bestimmung, z. Ex. mannbarkeit für männlichkeit; er ist in Versezungen bis zum Ekel überflüssig. Und doch hat sein stylus etwas geßnerischtönendes. Er hat die Kühnheit gehabt, die Weinlese zu dichten, und unter Tomsons stücke zu sezen, der diesen theil des Herbstes nicht hat, weil ihn Engelland nicht hat. Und es ist ihm wolgelungen ausgenommen daß er [→]uti Æmilium circa ludum faber imus, et ungues
Exprimit et molleis imitatur voce capillos.
Der Hudibras unsers Wasers ist auf die Messe gegangen, aber in dead of Night, wie Conterbande. Das manuscript ist noch immer bey den Censorib. Man arbeitet durch Freunde und Magen, [→]daß Hr. Antistes den beyden Theologis erlaube von seinem Urtheil der Verwerfung abzugehen, und die obscene, der Kirche und dem Predigamte nachtheilige Arbeit mitlaufen zu lassen. Die Vorrede ist von unserm Vögeli, und ziemlich gesalzen.
Die Hhn von Luzern haben grossen Geldmangel, sie legen izt verschiedene seltsame Abgaben auf ihre leute, die darüber sehr mißvergnügt sind. Es scheint der Göttliche Meyer habe von seinem Einfluß verlohren, oder er selbst denke allzu aristocratisch. Wenn unsere herren ihn den Göttlichen Meyer nennen, wie Lavater und Füßli ihn in dem Grebelischen Geschäfte genannt hatten, so ist es nur Verspottung.
Zween Glarner haben von den unavouirten Compagnien Schweizer in Frankreich von dem König empfangen; dieselben wollten sie auf der nächsten Landsgemeinde gern avouiren lassen. Man sieht zuvor daß daher Zank und unruhe entstehn werden.
Die landsgemeinden sollten doch wissen, daß es allezeit inconvenient ist, daß das Volk, ob es gleich der souverain ist, selbst über seine beleidigungen richte.
Hr. Köpernek, ein woldenkender Edelmann ist bey mir gewesen.
Leben sie so ruhig, wiewol beschäftiget, als es Ihnen wünschet
Ihr Ergebenst. Dr.
Meine Liebste vernimmt mit viel vergnügen, daß die Jgfr. Meist.. und die Töchterchen sich so gut zusammen schiken.
Wir erwarten alle tage Bürkli und Pelisson. Sie haben Ihnen doch etwas für mich zugestellt.
Das gespräch zwischen Tiberius und Cl. Tacitus steket noch in Ottos Presse in Lindau.
Unser Director Schuldheß ist seit 14 tagen in Bern.
Der alte Hr. von Haller hat in den wirtschaftlichen Abhandlungen von Bern ein Urtheil von dem deutschen Hexameter gefällt, welches mehr impotentiam animi zeiget, als Critik. Es gränzet an die Fatuität.
Hr von Bielefeld war ein liebenswürdiger mann, und gewiß ein bel Esprit. Ich wünschte, daß er noch unter den lebendigen wäre. Wenn sie mir sagen können, daß es seiner Wittwe und seinen Kindern wol gehet, so werden sie mir die angenehmste nachricht geben.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.