Wir haben in Winterthur die tage des goldenen Weltalters, welche sie vor 18. Monaten zu uns gebracht haben getheilt von schmerz und freude, wiederholet. Lavater und Felix Heß waren bey uns, aber Waser war verreist, sich von der Furcht daß er pfarrer Frieß werden muste, zu erholen. Unsere lieben Männer Hr. Schuldheiß und Hr. Rector haben bisweilen Civilcontroversen mit einander, die sie nicht haben sollten. Der erstere hat mir nicht vertraut was er aus ihnen wollte gemachet haben wenn die Königliche Macht sie uns gegönnet hätte. Er hat seine geheimnisse. Jeder von ihren Freunden in W. würde Sie gerne nach seiner Neigung versorget haben wollen. Wir haben in der Rükreise das vergnügen gehabt dem Hr. amtmann von Husen zu begegnen.
Unser Chorherr hat beyden Rectorn von W. dem politischen und dem scholastischen, Wege zeigen wollen, wie sie zween professores, einen in der Theologie, den andern in der philosophie aufstellen könnten. Der leztere sollte ein politicus seyn, und niemand müste den Zugang zu dem stadtschreiberamt haben, der nicht ein paar jahre dieses professorat bedienet hätte; und dise Anwartschaft müste seine Belohnung seyn.
Das Trauerspiel Salomo hat ein strenges Gericht ausstehn müssen. Gradation in Salomos Verwirrung finden zu wollen, ist so viel, sagte man, als cum ratione insanire velle. Wir bekamen gleich damals den Artikel, in welchem das stük so übertrieben gelobt wird. Man kann auf diese art alles loben. Indessen blieb uns das Gute darinnen nicht verborgen. Klop. ist immer in kleinen Schönheiten groß, aber diese sind oft am unrechten Ort; [→]zum Ex. da Chalkol von der Opferung der Knaben kömmt, und Darda ihn fraget, was er neues von dem Ölberge brächte, sagt er: Lieblich weht die morgenluft auf ihm. – Unser Wegelin denkt ganz vortheilhaft von diesem Werk. Er hat ein Gespräche zwischen Salomo und Chalkol gemacht, in welchem er glaubt Salomos trübsinnige gemüthsfassung durch alle grade durchgehen lassen zu haben; er will da einen moralischen und psychologischen Zusammenhang gefunden haben, ohne daß er dem poeten etwas gelehnet habe. Aber er hat uns nur die macht der prædilection verrathen.
Nachdem diese dinge in etlichen Sessionen [→]in welchen auch die Jgfr. Regel ihr Richteramt führete, abgehandelt waren, hatte einer von uns die Kühnheit ein neues trauerspiel von demselben Sujet zu lesen. Salomo ist da nur ein Weibischer Mann, der seinen Königinnen erlaubt den Göttern, die er selbst für undinge hält, Altäre zu bauen; er selbst hat die gefälligkeit in ihre Haine zu gehen. Aber ihn vor Jerusalem stinkend zu machen nimmt Moloch seine Gestalt an; indem Chamos ihn in den Armen einer Königin einschläfert, opfert der falsche Salomo auf die bitte einer andern Königin die Knaben. Er denket und handelt wie bey Klopstok der wahre.
That ich Klopstok nicht unrecht, da ich ihn schwach genug hielt den Tod des ersten Erschaffenen für eine Beleidigung aufzunehmen, wieviel mehr würde der neue Salomo ihn aus der Fassung sezen? Breitinger und Künzli wollen bemerkt haben, daß Kl. die Geschicklichkeit nicht habe seinen personen starke moralische Gründe oder nur sophismen in den mund zu legen. Es ist ein kleines lob daß unsere Dichter in der ausarbeitung groß seyn, die oft so ängstlich ist daß das werk durchbrochner arbeit ähnlich wird. Mich mögen die Weisen dafür züchtigen, daß ich meinen personen die gesezte sinnesart gebe, welche an den Höfen und bey der artigen Welt Chimären sind. Ein poet muß eben so viel stärke haben, das mißfallen dieser leute zu verachten als ein wahrer Tugendhafter. Das elende urtheil, das Gleim von der Heloise gefällt hat, bedeutet nichts Gutes für die Werke die er mit Entzükung gelobet hat.
Das angenehmste, das mir in Winterthur begegnete, war der Empfang ihres liebsten Schreibens vom 21. Jul. Wie viel bin ich ihnen schuldig daß sie sich der verlassenen Noachide annehmen, und mit solchem Nachdruk? Ich muß glauben daß sie einiges verdienst habe, weil sie sich mit ihr so gern bemühen. Ich erwarte alle posttage daß der König sie in den nöthigen Beharrungsstand gesezt habe; mich tröstet indessen, daß sie in ihrem GasthofsLeben ihr Werk so weit gebracht haben, daß sie darüber weg sehen. Ich hatte keine Hoffnung daß Füßli die Zeichnungen schiken würde; es ist eine Anzeige daß er nicht so distrahirt ist wie wir glaubten; er muß in guter laune seyn, wenn er arbeiten soll. Ich sehe daß ich ihm nicht gleichgültig bin, indem mir überaus lieb ist, daß er der Noachide disen schmuk gegeben hat. Er wird uns nicht schreiben wollen bis er uns mit angenehmen Nachrichten erfreuen kann.
Ich habe nicht gefunden daß die Frau Collyer Geßners Abel mehr mißhandelt habe, als Dacier oder Pope Homers Ilias. Aber Geßner und Homer sind sehr mißhandelt. Warum schreit man so daß die Messiade mißhandelt worden, und litt so geduldig daß die Ilias und die Odyssee verkleidet wurden?
Ein gerücht gehet daß der grosse Haller wider nach Göttingen gehen werde.
Breitinger will eine Excursion nach St. Blasi machen, wo gelehrte patres sind mit welchen er briefe wechselt. Der pater Gerbert hat seltene Entdekungen von der Musik der Alten gemacht; Sie haben uns von einem manuscript des Pindarus mit musicalischen Noten gesagt, das in der Königl. Bibliothek liegt; Wenn sie sich darüber in einigen Zeilen erklären wollten, so könnten wir dem wakern Pater damit eine Freude machen.
Vorigen sonntag haben Lavat. und Heß vor den Hhn. Examinatores rationem peregrinationis abgeleget. Sie machten von Hn Spaldings denkungsart und predigten einen Charakter, der mit dem Charakter unserer Antistitum sehr absticht. Sie gaben auch Krugold geradezu für einen Christen. –
Der von poesie und Ernst abgefallene Wieland läst in Ulm Contes drücken, in reimen, in welchen er die Hexameter abschwört. In einem derselben, Juno und Ganymed betitelt machet er tanquam ex professo Socrates und Plato lächerlich. Er übertrift Crebillon an unmoralität. Soll ich mich schämen, daß ich so zärtliche Freundschaft für ihn gehabt? Soll ich, wie Darda, aus freundschaft sein Elend nicht glauben, nicht sehen und nicht hören?
Für die Jgfr. Meisterin wollen so viel möglich ist, sorgen. Von dem Frieß hab ich kein Wort gewust. Izt hör ich daß er unerbittliche blutsverwandten hat.
Lavater hat Füßli von sachen, die ihn sehr interessiren nur halbe Neuheiten geschrieben, er glaubt, daß er ihm damit den mund eröffnen könne.
Der Füßli, der bey Winkelman gewesen, der gegen Eschers Ball geschrieben, hält sich vortrefflich. Leben sie munter, mein theuerster, und geniessen Spaldings für uns.
Bo.
den 11. August. 1764.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a.
Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »11 Aug 64.«