Brief vom 7. Februar 1764, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 7. Februar 1764

Berl. den 7 Febr.

Mein theürester Freünd. Der Vorsaz, von dem ich Ihnen in meinem vorlezten Brief Eröffnung gethan habe, wird immer reiffer und ich fange an zuglauben, daß ich ihn künftigen Herbst oder doch das darauf folgende FrühJahr werde ins Werk richten können. Es werden sich aber ohne allen Zweifel Umstände dabey ereignen, die mir einen gewißen Beystand nöthig machen werden. Es geht kaum an, daß ich die izige Scene unangemeldet verlaße, und ich sehe Schwierigkeiten voraus, die mir zwahr nicht unrühmlich, aber doch sehr wiedrig seyn werden. Diese zu haben würde mir nichts geringeres, als ein Vorspruch von dortigem Stande nöthig seyn. Ich muß Ihnen demnach vorläuftig von dieser Sache Nachricht geben und Ihnen überlaßen, die Gemüther einiger ihrer Vornehmsten hierüber zu erforschen. Ihrer Klugheit überlaße ich die Art und weise, wie Sie es zu thun für gut finden. Vor der Hand müßen Sie meine Entschließung nur als muthmaßlich angeben, um zu sehen, ob man geneigt wäre mir die Schwierigkeiten überwinden zu helffen und auch sorgen, daß die Sache nicht ganz ruchtbar werde. So bald Sie etwas zuverläßiges erfahren, so bitte ich es mir wißen zu laßen.

Den Noah habe ich nun zu meinem größten Vergnügen in seiner Neüen Gestallt ganz gelesen und werde nun unverzüglich anstallt zum Druk deßelben machen. Füßli zeichnet Vignetten dazu. Ich finde nur noch eine einzige Erinnerung nöthig. Diese betrift das AngstGeschrey des Abbadona im anfang des 10 Ges. welches mich für die Umstände zu weitläuftig dünkt. Das Schreken, was den Leser nothwendig dabey überfällt scheinet mir durch die Länge seiner Rede wieder etwas geschwächt zu werden. Solche große und außerordentliche Anfälle auf den Leser müßen, wie ich glaube stark und kurz seyn, wenn sie die größte würkung thun sollen. Also überlegen Sie, ob darin noch etwas zu ändern wäre.

Der Titel gefällt mir auch nicht Recht. Nicht blos seiner Griechischen Endung halber, sondern weil die Noachiden in der mehrern Zahl schon im Gedichte in einer ganz andern Bedeütung vorkommen. Der erste Titel Noah, würde mir noch beßer Gefallen, und wenn dieser sollte geändert werden, so würde ich die Noachiden lieber sagen, als die Noachide. Doch diesem Kind, müßen Sie den Namen geben.

Vorgestern hatte ich die unvermuthete Freüde den Hrn. Lambert hier zu sehen. Er laßt sein Novum Organum in Leipzig druken. Unser Spalding empfiehlt sich Ihnen.

Ich umarme Sie von ganzem Herzen.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Anschrift

An Herrn Profeßor Bodmer in Zürich.

Vermerke und Zusätze

Siegelausriss. – Siegelreste.

Stellenkommentar

Füßli zeichnet Vignetten
Zu den Vignetten zu Bodmers Noachide vgl. Federmann Füssli 1927, S. 35. Einem Brief Füsslis vom 2. Februar 1764 zufolge lasen er und Sulzer die Noachide gemeinsam und tauschten sich auch über den Titel aus, wobei beide den Titel »Noah« und nicht »Noachide« favorisierten (Füssli Briefe 1942, S. 100).
AngstGeschrey des Abbadona
Vgl. J. J. Bodmer, Die Noachide, 1765, S. 269 f. Zur Figur des Abbadona vgl. Kommentar zu Brief letter-bs-1761-03-23.html.
hier zu sehen
Johann Heinrich Lambert hielt sich seit Ende Januar in Berlin auf und verbrachte dort seine letzten zwölf Lebensjahre. Vgl. auch Brief letter-sb-1764-05-08.html.
Novum Organum
J. H. Lambert, Neues Organon, 1764. Dabei handelt es sich um Lamberts Hauptwerk zur Logik.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann