Seit dem ich durch unsre Meßleüte ihren Homer bekommen habe, mein theürester, wofür ich Ihnen meinen herzlichen Dank abstatte, habe ich jeden Posttag mir vorgenommen Ihnen zu schreiben und Ihnen meine Freüde über diese Erscheinung zu bezeügen; aber – der Geist ist willig und das Fleisch ist schwach --. Das Schreiben wird mir nicht nur, als eine Bemühung des Körpers, sehr sauer, sondern auch der immerwährende Druk mancherley Beschwerden hemmt fast alle Würksamkeit des Geistes. Ein Gedanken flieht den andern, wie Haller sagt, und auch die Worte mich auszudrüken scheinen vor meiner Feder zu fliehen. Neüe Zufälle haben mich zwahr nicht betroffen; aber es scheinet, daß es mir an Kräfften fehle, die alten zu ertragen. Ich muß eine sehr zähe Natur haben, wenn ich diesen Winter überleben soll; und, geschieht es, so wird mir doch das Leben sehr sauer werden.
Aber – was soll ich Sie mit Klagen unterhalten? Ich wollte Ihnen nur sagen, warum ich nicht eher auf ihren lezten Brief geantwortet habe.
Es giebt doch noch Leüte hier, die jedem deütschen Dichter mit ihrem Homer Troz bieten. Unter diesen ist mein College Merian, ein guter Richter, der schlechterdings behauptet, Homer könne nicht beßer übersezt werden, als es durch Sie geschehen.
Aber ich muß, ehe ich zu müde werde, von der Hauptsache, warum ich heüte Ihnen schreibe, sprechen. Mein alter Freünd Reich, liegt mir an, ihm jemanden anzuzeigen, der für seine deütsche Übersezung der allgemeinen WeltHistorie des Guttrie und Gray, die Helvetische Geschichte in einem besondern Band ausarbeite. Mir fiel gleich dabey ihr Nachfolger im Amte, Füßli ein, und izt wünsche ich, daß Sie ihm die Sache antragen und ihn dazu aufmuntern. Sollte er sich dazu nicht verstehen, so würde ich Sie bitten mir einen andern dazu vorzuschlagen. Ich würde Ihnen diese Mühe nicht zumuthen, wenn ich dächte, daß es würklich eine Mühe für Sie wäre. Aber ich denke, entweder Füßli, oder einer seiner Freünde, wird gelegentlich zu Ihnen kommen und dann können Sie ihm den Antrag thun und, falls auch Ihnen das Schreiben sollte schweer fallen, mir den Erfolg durch Hrn. Escher oder einen andern ihrer jüngeren Freünde, melden.
Ich vernehme, daß der englische, oder römische Füßli nun wieder in Zürich ist. Ich würde bey aller meiner Schwachheit schon eine Reise von etlichen Meilen, um dieses Original wieder zusehen. Ich kann kaum hoffen, daß er sich meiner noch erinnere.
Haben Sie Dank mein theürester, für die Mühe, die Sie sich gegeben haben, meinem Neveu par alliance Escher zu einer guten Pfarre zu verhelffen. Izt hat mein einziger noch lebende Bruder das Vergnügen seine Söhne und Töchter, sieben an Zahl, versorgt zu sehen.
Was Sie mir von meinem neüen XXX sagen XXX
Wenn Sie noch die Staatsschrifften lesen, die der izige Krieg in Deütschland veranlaßet, so werden Sie bald durch eine weitläuffige Schrifft von unserm Hofe in Verwunderung gesezt werden so wol über die Gewaltthätigkeiten, als über die politischen Ränke, wodurch der Wiener Hof sich in Besiz fremder Güter gesezt hat. Wenn wir so gewiß wären den Feind mit dem Degen so nachdrüklich zu schlagen, als es mit der Feder würklich geschieht, so würde sich dieser Krieg nach unserm Wunsch endigen. Wie sehr verdiente unser alte Held nach einem ehrenvollen Frieden, noch einige Ruhe zu genießen!
Wie wol es mir nicht an gutem Willen fehlet mit Ihnen noch über manche Dinge zu schwazen, so fehlt es mir an Krafft. Ich bin genöthiget meiner stark aufgeschwollenen Beine halber mich in einer halb liegenden Stellung zuhalten, die das Schreiben bey nahe unmöglich und Höchst mühesam macht. Hr. Wegelin wird Ihnen, wie er sagt auch bald schreiben. Ich umarme Sie von ganzem Herzen.
JGSulzer
den 17 Nov. 78.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.