Mein liebster, bester Sulzer.
[→]Schon ergab ich mich in das Reich der Todten zu gehen,
Dort bey den Seligen Gottes zu wohnen –
Den ersten November überfiel mich ein ungewöhnlicher schwindel der mich an den Rand des Lebens warf. Der ganze Monat war für mich der mühsamste und schwerfälligste. Wiewol ohne schmerzen, und oh! mein guter wie erträglich gegen Ihre Leiden! Ich stritt doch mit Ihnen, welcher von uns zuerst in die seligen Wohnungen gehen, und den andern, wenn er auch bald käme, empfangen sollte.
[→]Hat denn Gottes Verordnung zu mehr geschäften mich nöthig!
So stolz denk ich nicht.
Zu dem Übel kam ein anderes; eine schelmische Dienstmagd beraubte und betrog mich und hielt mich wie gefangen. Sie würden im september einen interessanten Brief von mir empfangen haben, wenn sie ihn nicht unterschlagen und das postgeld in die Tasche gestekt hätte. In denselben war ein Brief an meinen Wegelin eingeschlossen, und meine Rede von unserm Heidegger, die sie allererst izt empfangen.
In dem heftigsten schwindel hatt ich doch den kopf heiter daß ich richtig und in die ordnung denken konnte. Ich konnte die seltsamsten Entwürfe machen, die gewiß nimmer ausgeführt werden.
Urtheil über die Messiade, im jahr 1800.
Über die mesalliance der Töne u. der Wörter.
Die Ilias für die Abderiten.
Des Zoilus Censur der Ilias, in Stolberg Übersezung wahr und treffend.
Kurz vor meiner krankheit übersezte ich das Verzeichniß der schiffe in der zweiten Ilias, das in dem gedrukten Exemplar weggeblieben ist. Unser Füßli der römer oder Engelländer gab mir den Wink. O wie war der wakere mann in der seele gerührt, als ich ihm den Ausdruk von ihrer liebe zu ihm aus ihrem Briefe las. Er liebt mich, wie er wenige liebt. Gegen den Februar wird er wieder nach London gehen.
Ich gehe immer noch die Hand am stabe, [→]im sommer wandelt' ich noch, mit festen tritten an der Limmat und rief Breitingers Schatten, ich lese und schreibe wenig. Doch hab ich noch Wünsche und mehr Entwürfe. Ich möchte noch gern les memoires de Rousseau sur sa vie sehen. Ich habe anstalten gemacht, drey oder vier Epica, die in dem Kloster Santgallen ligen, von dem nahen untergang durch Abschriften zu entfernen. Hiesige Buchhandlung hat nicht wenig pamphlets über die altschwäbischen Dichter, über Homer, und über meine Gedichte im Verlag genommen.
Wieland hat sein gedächtniß wieder empfangen, welches er 20 jahre verlohren hatte, ich kan doch auf das Lob des Mannes nicht sehr stolz seyn, der [→]Hans Sachsen mit demselben XXX gelobt hat. Merian macht in Berlin eine ausnahme; die Nicolaische Bibliothek hat mich lange her in den staub geworfen. Lavater glaubt daß mein Homer neben Stolbergs bestehen könne. Des kleinen Cramerchen Fragmente von Klopstok machen mir durch des poeten Eislauf, durch die Erfindung der schrittschuhe, die ihm zugeschanzt wird, durch den sokratischen Wein, den er in Meilen getrunken, viel freude. Aber darf ich mich ohne bosheit darüber freuen?
Pfenninger hat einen Menschen von zerrüttetem Kopf zu Gaßnern geführt, der sich aber entschuldigte, weil ein zerrütteter kopf den Glauben an seine Exorcismes nicht habe p, könne er den Teufel nicht heraus beschwören.
Engel in Bern ist durch alterszufälle ganz niedergebeugt und noch mehr durch religiöse Zweifeln.
Füßli mein successor ist zu stolz noch dem Kostgänger der buchhändler, Gatrie, zu schreiben; auch Meister.
Partikularen haben unserm Heidegger einen buste aufgerichtet, der über 1000. kostet.
Hiesiger Stat ist aus einer grossen Verlegenheit gekommen, daß Bern mit uns das Gesuch der Catholischen Cantons, die Zurükgebung der Eroberungen von 1712 ausgeschlagen hat.
Der gute Lange in Laublingen hat mir sein denkmal auf Meier gesandt; vorm jahr sandt ich ihm einen Brief durch den Prediger Stosch, der ihm aber nicht zugekommen ist.
Solche Unterredungen wie Sie mit dem der Krone so würdigen philosoph genossen, sind mir versagt. Möge er so sieghaft mit dem degen seyn wie er mit der Feder ist! Mit welcher unverschämtheit sezet der kleine Cramerchen ihm seinen Klopstok an die seite!
Zeigen Sie die Rede auch meinem Wegelin.
Ich umarme sie unter tausend Küssen.
Ihr Bodmer.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 20.12. – A: ZB, Ms Bodmer 13b. – E: Zehnder-Stadlin 1875, 453–454.
J. J. Bodmer, Denkrede auf Johann Conrad Heidegger (Manuskript).
Vermerk Bodmers am unteren Rand der ersten Seite: »An Sulzer im December 1778«.