den 15. VII.b. 1778.
Vor 4. Monaten ergriff ich die feder und begann: Noch ein paar worte mit Sulzer, eh wir beyde die Zunge verlieren. Mehr nicht; die furcht überfiel mich daß ich wol an einen todten schriebe. Izt hab' ich des liebsten mannes wort daß er lebet, und ihm erzähl ich. –
Die Muse hat dem abgelebten Alten nichts nervigtes, nichts lebenvolles gebohren; nur ephemere pamphlete.
Anekdoten von den altschwäbischen Epiken.
Denkmal, Samuel König gestiftet.
Apologetische Charakter Labans, Esaus, Dinas.
(gegen Hessens Geschichte der Patriarchen.)
Das poetische klima. (Ich dichte daß jedes von meinen zehn Epiken einen besondern Autor habe, ich vervielfaltige mich in zehen, und diese laß ich von einem Mecenas auf sein Landhaus einladen; sie besprechen sich von ihren Gedichten, charakterisieren sie; erbauen ein Homerion; empfangen und geben Geschenke der Gastfreundschaft.) –
Gerad izt schwärmt mir eine launigte bosheit im Kopfe. – Ich habe in dem Herkulane des Zoilus ψογος entdeket, den heftigsten Tadel der Ilias. Das Unglük ist daß er den besten Grund hat, denn es ist Stolbergs Ilias, die censurirt wird. Ich nehme an daß sie die urschrift sey. Ein andrer sollte den Einfall gehabt haben.
Ich denke wol daß Sie in disen pamphlets den alten jüngling erbliketen; dem sey so: nur nicht das alte kind.
Möcht ich die blühende Kraft noch haben, die damals ich hatte,
Als die Triller und wir im felde gegen einander
Lagen!
Lebt Triller noch, und wie gebehrdet er sich zu der gegenwärtigen literatur? Er hat jüngst noch gelebt.
Ich muste in dem Convent der stadtbibliothek als unterpräsident von dem liebsten Bürgerm. Heidegger reden, ich konnte es nicht ohne daß ich ihn in seinem schönsten Lichte zeigete. Sie glauben nicht mit welchem beyfall ich gehört ward; mit welchem recht weiß ich nicht, denn ich habe bessere dinge geschrieben, die wenig Sensation erwekt haben. Ich habe den druk der Rede abgelehnet noise zu vermeiden. Dr. Hirzels panegyrique hat das urtheil bekommen daß das Ende davon das beste sey.
Mich befremdet nicht weniger daß mein Homer allgemeinen beifall hat. Wieland ist damit ungemein zufrieden. Der seltsame Mensch hat das gedächtniß wieder empfangen das er 25. jahre verloren hatte. Er hat in seinem Merkur sich des Wohllebens erinnert, das er in Zürch genoß, Breitingers, Hessen, Bodmers sich erinnert. –
Darf ich hoffen, wenn mein Homer gelesen wird, daß man etwas von seinem einfachen Schönen in meinen patriarchiaden und provenzaliaden erbliken werde? Lavater glaubt selbst daß mein Homer auf Einem Gesimse neben Stolbergs stehen könne.
Die Hize dieses sommers gestattete mir selten an dem Gestade der Limmat zu wandeln; wenn es geschah, rief ich Breitingers Schatten umsonst. Steinbrüchel ersezt mir nur 1⁄5 von ihm; Hottinger, Füßli, Bürkli, Meister zusammen kaum 1⁄5. Meister hat über die Einbildungskraft im poetischen styl metaphysicirt.
Lessings Ausfälle auf das Evangelium haben die hiesigen Spaldinge in schreken gesezt. Wir halten Tobler, der zur Ehre der Bibel, und Hessen der das leben Jesu geschrieben, in ihrem gewissen verbunden die Apologetik zu machen. Die Empfindler hier halten dises für eine arbeit von 2–3. bogen. Pfenninger und Compagnie haben ein periodisches Werk in der arbeit. In den ersten Fascikeln ist bombastische Theologie.
Partikularen haben unserm grossen Heidegger einen buste giessen lassen, der über fl. 1000. kostet. Sie wissen daß des bürgerm. Orellen Vater mein Oncle maternell war. Der bürgerm. Landolt hat resignirt nachdem er in der Regimentsbesazung dieses sommers ausgestellt worden. Der Landolt der an seinen Plaz gekommen, war thresorier. Wir haben eine neue Regierung, die nicht die Heideggerische ist. Wir wären sehr in Verlegenheit gekommen, wenn Bern mit uns nicht eingestimmt hätte das Gesuch der fünf Cath. Orte abzuschlagen. Sie sezten alle in dem Krieg von 1712 nicht begriffene Orte in bewegung die beyden Stände anzuhalten daß sie die Eroberungen zurükgäben. Sie sagten daß sie uns ohne dises kein gut Herz haben könnten; wir beraubten sie des Erbgutes das ihre Vorältern mit dem schwerdt gewonnen haben. Argumente, die nur ihnen dienen sollen, Appenzell nicht, Savoien nicht, Habspurg nicht.
Dr. Hirzel erhielt die Rathsherrstelle des neuen bürgerm. In meinem Leben hat kein Rathshr. dise würde mit seinem Wonnegefühl erhalten. Ich war ein schlechter patriot daß ich sie vormals, mit dem Eifer von mir abgelehnet mit welchem andere sie suchen.
Wird man nicht sagen daß Lessing und Schmettau die dreistigkeit gegen das Evangelium zu schreiben von Eberhard, Teller p. gelernt haben? Lessing nimmt uns das Evangelium; die Empfindler nehmen uns die Vernunft. Er die Zweite offenbarung, diese die Erste.
Gleim hat mir entbieten lassen daß ich ihm lieb sey, und daß er im künftigen jahr nach Zürch kommen wolle. Soll ich, kann ich ihn erwarten? Mauvillon kömmt nicht weil der Landgraf ihm eine Hauptmannstelle gegeben. –
Der gute pastor Lange in Laublingen hat mir sein leben des professor Meyers gesandt, mit einem brief der zwanzig mal mehr wehrt ist.
Der brief, den ich ihm vorm jahr sandte, kam ihm nicht zu; und so erhielt er die freude nicht, die ich ihm zudachte.
Es fehlt nur an mir daß ich nicht in neuen briefwechsel komme. Ein doctor Anton in Görliz hat Anekdote der Minnesinger von mir verlangt und empfangen. Ich habe sein wort daß er Veldegs Eneas herausgeben werde. Büsche in Hamburg hat mir seine kleinen Werkgen geschikt; und liebt mich. [→]Schmitt, ein professor in Ligniz, verspricht mir seinen Paris im Elysium, und seinen Adonai; zwey Epiques. Denis will meinen Conradin, meine Hedwig von Gleichen und meinen Cygnus wider auflegen. Wäre ich in den jahren der Gottschedischen Händel, so möcht ich leicht eine neue Revolution bewürken; freilich, wenn ich meine partey mit Emmethaler-Käse und mit gedörrten Zürcher Zungen stärkete.
Der Meister in Paris, des Kämmerers sohn, macht meine rede über den bürgerm. Heidegger französisch, den negatifs in Geneve zu gefallen, derer warmer, eifriger schüzer der verstorbene war.
Klopstok hat mir seine schrift über die deutsche Rechtschreibung geschikt, das minütieuseste Ding, ganz Zesianisch: er ist maximus in minimis.
Die gute Frau Marie Barbel, meines liebsten Felix Hessen Wittwe, hat Ihren treuen Johann mir helfen beweinen. Wie sehr hab' auch ich einen solchen diener nöthig. Doch besorgt meine Frau mit ihrem dunkeln gesicht immer noch meine Wirthschaft untadelhaft.
Wir arbeiten, Ihren künftigen Neveu Jkr. Escher zum Prediger in Knonau zu machen. Wissen sie daß ihr cousin der Rothgerber Brunner in den Rath der 200. gekommen. Es wird gut seyn wenn seine finances dabey gewinnen.
Ich habe veranstaltet daß meines Verlegers Factor in Leipzig Ihnen zwey Exemplare von Homer zufertigen wird. Geben sie das andere meinem liebsten Wägelin. Ihm zeigen sie auch das so genannte Eloge Heideggers.
Ich habe dem Leibarzt Zimmermann etwas weniges von Anecdoten zu Hallers leben gesandt.
Die Madle. Bondeli ist nach langem Schmachten und Krankheiten gestorben.
Der Kaiser wird dem philosophischen könig freilich Mühe aber mehr mühe nicht als Lessing den Semlern machet. Der Eine wird mit politischer, militarer – der andere mit theologischer den sieg erhalten.
Zeigen sie die Rede immer auch Müllern und zuerst Wägeli.
Sulzer in Wülflingen lebet und bauert.
Ich umarme sie, und da sie noch unter den lebenden sind, umarme ich mehr als luft. Ich habe sie auch in dem deutschen Musäo gehabt.
Bo.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 20.12. Der Brief und die Einschlüsse sind vermutlich nicht abgeschickt worden (vgl. Brief letter-bs-1778-12-00.html). – A: ZB, Ms Bodmer 13b.
J. J. Bodmer, Denkrede auf Johann Conrad Heidegger (Manuskript). – Brief an Jacob Wegelin.