Brief vom 21. Januar 1764, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 21. Januar 1764

Berlin den 21 Jenner 64.

Ihre Briefe, mein theürester Freünd, habe ich richtig bekommen, aber um den Noah schmachte ich noch. Man hat für gut gefunden um etliche Groschen Postgeld zuspahren ihn in eine Kiste Mit Kauffmansgütern, eine zu traurige Arche für ihn, einzusperren und diese ist noch nicht angekommen. Wir warten mit desto grösserer Ungeduld darauf, weil unser Füßli noch vor seinem Britannischen Zuge könnte Vignetten dazu zeichnen. Er wird mit erstem Frühling mit den besten Empfehlungs Schreiben dahin abgehen, ob gleich sich noch nichts gewißes für ihn hervorgethan hat. [→]Hr. Mitchell fürchtet, daß sein gar zu jugendliches Ansehen und seine beynahe kindische Stimme, eine Hinternis seyn werde, so gleich so unterzukommen, wie wir wünschten. Was wird es aber schaden, wenn er auch mit einer kleinen Condition anfängt? Er legt sich nun stark auf das Zeichnen, und dieses Talent wird ihm vielleicht noch am ersten aufhelffen. Sein Reise Geld ist bis auf 100 Rthlr. die auf die Reise nach Barth und wieder hieher drauf gegangen, noch alles beysammen, so daß er wenigstens noch für ein Jahr auskommen kan. In dieser Zeit wird er gewiß unterkommen.

Wir erwarten täglich unsern Spalding mit seinen Gästen hier. Er wird aber noch nicht hier bleiben, sondern kommt nur seine künftige Lage auszukundschaften. Vor ein paar Tagen ist der junge Schultheß vom Pflug von hier gereißt. Dem habe ich 31 Exempl. von den Gedichten der Karschin für sie mitgegeben. Den Füßli von dem Sie mir schreiben werde ich schweerlich unterbringen. Denn man macht hier aus der Gießerey eine Art Geheimnis, das man Fremden nicht gerne anvertraut. Doch hat man mich noch nicht ganz abgewiesen. Ich hoffe noch, ehe ich den Brief schließe die lezte Antwort hierüber zuerhalten.

Wenn Sie diesen Brief etwa in Gegenwart einiger Zeügen lesen, so bitte ich, das was folget, blos für Sie allein zu behalten.

[→]Alles, was ich seit einem halben Jahr versucht und unternommen habe, mir hier auf dem Lande einen ruhigen Siz zu verschaffen, ist eines theils zu waßer worden, andern theils aber auf etliche Jahre hinausgesezt. Es sind dabey Umstände vorgekommen, die ich geneigt bin, als einen Wink der Vorsehung zu nehmen, meine Augen nicht von meinem Vaterlande abzuziehen. Dazu kommt noch, daß ich eine nicht verächtliche Summe Geldes, die ich für verlohren Gehalten, wieder bekomme.

Diese Umstände haben mich auf eine ernstliche Überlegung geführt, davon der Schluß war, daß es wol möglich wäre mich aller Mittel zu entschlagen, meine eigenthümliche Einkünfte zu vermehren. Ich hoffe im Stande zu seyn, ein kleines Vermögen von wenigstens 18 tausend Gulden von hier wegzunehmen, und dieses so unterzubringen, daß die Einkünfte davon möchten hinlänglich seyn, mich mit meinen Kindern mit dem nothdürftigen zu versehen, wenn ich mich an einen Ort begäbe, wo ich Meister wäre mich so weit einzuschränken, als es nöthig wäre.

Ich habe wichtige Gründe, warum ich weder in meiner Vaterstatt noch nahe dabey wohnen möchte. Irgend eine angenehme Gegend an ihrem See, nicht alzu weit von der Statt, wäre das, was mir am angenehmsten scheint, wenn nur dort ein kleines aber artiges Ländliches Haus zu kauffen, oder zu miethen wäre.

Hierüber, mein theürester Freünd, bitte ich mir ihr Gutachten aus. Aber darum ersuche ich Sie, die ganze Sache, als ein Geheimnis zu verwahren. Es ist mir überaus wichtig, daß hier niemand etwas von dieser Sache erfahre, oder nur muthmaße, daß ich meine Augen wieder nach meinem Vaterlande richte. Und obgleich Zürich weit von Berlin ist, so habe ich doch erfahren, daß Hundert Meilen dem Gerüchte nicht mehr sind als die Länge einer Straße, und daß es laut wieder sagt, was man sich hundert Meilen davon ins Ohr geflüstert hat. Ich habe, um desto sicherer zuseyn, keinem von unsern Freünden in Winterthur mein Geheimnis anvertraut, und hoffe, daß Sie damit so umgehen werden, wie die Nothwendigkeit der Sache es erfodert. Wenn auch gleich dieser erste Gedanke zu einem festen Vorsaz erwachsen sollte, so müßte doch seine Ausführung bis auf künftiges Jahr verschoben werden. Sie dörffen sich demnach nicht übereilen, mir ihr Gutachten darüber zugeben.

Die dem Winter anhängende Unvermeidliche Zerstreüungen haben meine Arbeiten wieder etwas aufgehalten. Doch hoffe ich noch immer, dies Jahr mit einem Theil ans Licht zu treten. Daß seltsamste dabey ist dieses, daß das Werk durch den Fortgang der Arbeit immer kleiner wird. Dies läßt mich hoffen, daß ich den einzigen wahren Grundsäzen immer näher kome. Denn diese müßen nothwendig die kürzeste Theorie an die Hand geben. Jemehr ich unsern Künsten nachdenke, je mehr finde ich, unnüzes und freventliches (frivole) darin.

Ich umarme Sie mein theürester und mit Ihnen unsre Gemeinschaftliche Freünde, die ich herzlich grüße.

S.

Der Hr. Füßli kann kommen. Er wird im Gießhaus aufgenommen werden und kann bey dem Gießer auch logiren. Aber es müßte bald nach Ostern geschehen.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers am unteren Rand der letzten Seite »empf. den 3. febr. als mein Brief Adam an ihn abgehen wollte.«

Eigenhändige Korrekturen

etwas von dieser Sache erfahre
etwas von dieser Sache ⌈erfahre

Stellenkommentar

Vignetten dazu zeichnen
Zu J. H. Füsslis Zeichnungen für Bodmers Noachide siehe den Kommentar zu Brief letter-sb-1764-02-07.html und Tafel 25.
Hr. Mitchell fürchtet
Vgl. dazu auch Sulzer an Lavater, Berlin, 2. Januar 1764: »Hr. Füßli ist hier, als wäre er nicht in Berlin, weil er sehr selten aus seiner Stube kommt. Er übet sich fleißig im Zeichnen, und hat auch angefangen zu mahlen. Aber da er alle seine Talente und Studie auf einmal üben will, so fürchte ich, daß er keinem recht abwartet. Dies wird sich erst geben, wenn er einmal einen bestimmten Beruff hat. Es wäre vielleicht möglich gewesen, diesen hier zu finden; aber es scheinet daß er den Gedanken sich in England niederzulaßen, nicht aufgeben kann. Der englische Gesandte befürchtet, daß sein gar zu Jugendliches Ansehn und seine noch jugendlichere Sprache und Stimme, eine Hinternis seyn möchten, in so anzubringen, wie wir es wünschen. Indeßen wird man es an den besten Empfehlungs Schreiben nicht ermangeln laßen.« (ZB, FA Lav Ms 528.274).
Condition
Hier: »Anstellung, Posten, Gehalt«.
täglich unsern Spalding
Spalding traf laut Sulzers folgendem Brief vom 31. Januar 1763 am 29. Januar in Berlin ein.
Den Füßli von dem Sie mir schreiben
Vgl. Brief letter-bs-1763-12-15.html.
Alles, was ich seit einem halben Jahr
Zu den Plänen Sulzers, eine Siedlung im Oderbruch unweit Berlins anzulegen, siehe die Briefe letter-sb-1763-08-26.html, letter-sb-1763-10-02.html und letter-sb-1763-11-16.html.
das Werk
Sulzers Allgemeine Theorie.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann