Berl. den 16 Nov. 1763.
Nun mehr, mein theürer Freünd, haben sich meine Geister, nach der langen Zerstreüung wieder gesammelt, und Mitten unter den Zerstreüungen des großen Berlins lebe ich in der Einsamkeit, welche der Fortsezung meiner Arbeiten so nothwendig ist. Der lange Müßiggang des verwiechenen Sommers hat nach und nach eine starke und Anhaltende Lust zur Arbeit in mir hervorgebracht. Izo lebe ich den thätigsten Theil meines Lebens, und alle diese Thätigkeit ist ganz allein auf die Ausführung meines Critischen Werks gerichtet. Und dennoch erschreke ich über die Langsamkeit seines Wachsthums. Wenn man das Sprüchwort quod cito fit p gerade umkehren kann, so werde ich ein sehr lang daurendes Werk schreiben. Mit einigen besondern Theilen deßelben aber, bin ich so wenig zufrieden, daß ofte der Gedanken bey mir entsteht, alles liegen zu laßen. Zu weilen sehe ich sehr lebhaft ein, daß ich eine Last auf mich geladen, die meinen Schultern zu schweer ist, und mir mit einer gänzlichen Erschöpfung der Kräfte auf dem halben Weg drohet. Doch giebt es auch wieder Tage des Muthes, da mir die Last leichte wird.
Füßli ist seit vier Wochen bey mir und wird sich den Winter über zu seiner Reise nach England anschiken; denn er kann den Gedanken, dieses außerordentliche Land kennen zu lernen nicht fahren laßen. Sonst hätte ich ihm wol hier eine Gelegenheit verschaffen können, sich nieder zulaßen.
Ich hoffe, mein theürester Freünd, daß mein lezter Brief ihren Unmuth über meine Projekte etwas wird vermindert haben. Nach den ernsthaftesten Überlegungen finde ich dieses Land mit den vorzüglichsten Vortheilen versehen, meinen alten Tagen Ruhe anzubiethen. Nachdem ich alles ausgekundschaftet und überlegt habe, so fiel mein Entschluß endlich dahin aus, mir in schönen Gegenden der Neümark, welche izo durch königliche Veranstaltungen den Überschwemmungen der Warte und der Oder entrißen werden, ein kleines Landgut anzulegen, auf welchem ich und wenn es dem Schiksal so gefällt meine Kinder nach mir angenehm und gemächlich werden leben können. Das ganze künftige Jahr wird noch vorbey gehen, ehe der Anfang zu meiner Einrichtung kann gemacht werden, und diese Zeit gedenke ich zu vollendung meines Werks anzuwenden.
Ich habe mich nach geendigter Leipziger Meße vergeblich nach dem Neüen Noah umgesehen, den Sie mir zu schiken versprochen hatten. Sie müßen geglaubt haben, ich sey durch das viele hin und her reisen so verwildert, daß dergleichen Gegenstände nicht mehr für mich seyen. Ich beschweere Sie solche Gedanken, wenn Sie sie haben fahren zu laßen. Denn wenn ich jemals Ganz den Musen zu gehört habe so ist es izt, und wenn ich jemals in dem Reich des Geschmaks und der Wißenschaften nach einem Ruhm getrachtet habe, so ist es dieser; daß der erneüerte Noah der Welt durch mich soll geschenkt werden. Schließen Sie von meiner Nachläßigkeit in Ansehung ihres Brutus, nicht auf eine würkliche Trägheit. Wenn ich bey den Leipziger Buchführern in so gutem Credit stühnde als Gellius, so wär der Brutus zwey Jahr eher, als Cäsar in Leipzig erschienen. Warum Reich von Gellius etwas annihmt, das er von mir anzunehmen sich weigert, will ich nicht untersuchen. Nur dieses weiß ich, daß mir seine Verweigerung so empfindlich gewesen, daß ich mich hernach lange nicht habe entschließen können, an der Thür eines andern Bücher Krämers anzuklopfen. Izt hat sich hier [→]einer gezeiget, der Bücher von mir verlangt, und ich habe ihm den Brutus versprochen, der in wenig Tagen unter der Preße seyn wird.
Füßli übet sich stark im Zeichnen und er wird sich nun auch in der Radier Nadel üben. Es würde keiner beßer als er, den neüen Noah mit Zeichnungen ausziehren können. Wenn wir auch nur den Inhalt eines jeden Buchs vor der Hand da hätten, so könnte er immer diese Arbeit anfangen.
Es ist uns endlich gelungen unsern Spalding nach Berlin zu ziehen. Er ist [→]zum Oberconsistorial Rath, Probst und ersten Pfarrer der Luther. Kirchen in Berlin beruffen, und hat den Ruff angenommen. Er wird aber erst nach künftigen Ostern anziehen. Auf diese Weise haben unsre Freünde, die noch bey ihm sind, so viel Zeit ihn zu genießen, als sie verlangt hatten.
Melden Sie mir doch, ob der Hr. Sekelmeister Orell das Schreiben des Pr. v. Würtemberg, das ich an ihn geschikt, bekommen habe.
Wir haben izt eine Menge Türken hier, die uns Begriffe geben, welche wir niemals gehabt haben. Sie haben, so wol in ihrer Kleidung, als in ihrem Betragen etwas, dagegen uns die Abendländer in verschiedenen Betrachtungen klein vorkommen.
Ich höre, daß Sie einen politischen Cathechismus geschrieben haben. Sie werden mir ihn doch, ob ich gleich kein Republikaner mehr bin, nicht vor enthalten. Denn wie man mitten unter einer ungläubigen Welt doch gläubig seyn kann, so bin ich Mitten in der Monarchie ein Republicaner für mich.
Warum haben Sie mir verschwiegen, daß Sie meinen Collegen Merian gesprochen haben? Er ist mit über aus vortheilhaften Begriffen von ihrer Statt und mit großer Hochachtung für Sie insbesonder, nach Basel zurük gekommen.
Der ankommende Winter erneüert in mir die lebhafteste Vorstellung der glükseeligen Tage, die ich den vorigen Winter bey Ihnen zugebracht habe. Vielleicht kommen Sie noch einmal wieder. Denn wenn meine Projekte zur Erfüllung komen, so werde ich suchen eine kleine Colonie ehrlicher Schweizer hieher zu führen, und könnte wol selbst kommen sie abzuholen. Ich will hier enden um meine Phantasie diesen schönen Vorstellungen ganz zu überlaßen.
Ich umarme Sie von Herzen. Empfehlen Sie mich der werthen Fr. Profeßorin dem Chorhrn. und allen, die mir ein gutes Andenken gönnen.
Sulzer.
Die feinere Ausgabe der Karschischen Gedichte wird noch immer durch die Nachläßigkeit des Kupferstechers aufgehalten. In 3 Wochen, hat er versprochen, fertig zu seyn. Ich lege dem Brief von der Karschin, die Abschrift eines Briefes den sie neülich an Gottscheden geschrieben hat bey. Der Samler der Karschischen Gedichte ist Gleim.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.
Brief Karschs an Bodmer. – Eigenhändige Abschrift eines Briefes von Karsch an Gottsched.