Berlin den 2. Octob. 63.
Endlich, mein theürester Freünd, habe ich mich, nach einer langen Ruhe, die auch ein Müßiggang zu nennen wäre, wieder in meinem Cabinet und bey meiner Arbeit eingefunden. Diese ist mir izo, was die Speise einem Verhungerten, und was das Land einem Seefahrer ist, der eben von einer weiten Reise in dem Hafen angelanget ist. Es soll mich nun von allen den Dingen, die ich in meiner Gewalt habe, nichts mehr abhalten den ganzen Winter den Musen zu wiedmen. Die Noachiden, nebst allen Künsten, sollen meine einzige Gesellschaft seyn, und ihr Brutus soll unter diesen nicht länger allein seyn. Es war mir in der That unmöglich, bis izo die bereits angefangenen Zusäze, die ich mit ihrer Erlaubnis hier und da einzuschalten schon vor anderthalb Jahren angefangen habe, fortzusezen.
Unsern Füßli erwarte ich stündlich hier. Weil sich in England noch nichts gewißes für ihn gefunden hat, so habe ich ihm den Rath gegeben, den Winter über bey mir zu seyn. Doch werde ich seiner Neigung, wenn Sie stärker für die Brittannier seyn sollte, nichts in den Weg legen und ihn mit guten Empfehlungsschreiben versehen, reisen laßen. Auch seine andern Freünde hoffe ich noch diesen Winter hier zu sehen, wenn Spalding unsre Erwartung nicht täuscht. Er hat würklich die Königliche Vocation nach Berlin zum Probst und Consistorialrath in seiner Gewalt und es steht blos bey ihm der erste Geistliche seiner Kirche in Berlin zuwerden. Wir erwarten seine Antwort stündlich.
Die Beschreibung der 14 Tage, die Sie in meiner Vaterstatt zu gebracht haben, haben mich sehr lüstern gemacht. Warum habe ich denn dieses Glükes nicht können theilhaftig werden? Doch will ich nicht klagen. Denn auch ich habe mein gutes genoßen. Denn diese 3 lezten Monate habe ich in der Gesellschaft des besten Mannes und der würdigsten Frauen, die unter dem deütschen Himmel wohnen, liebliche Tage gehabt, welche durch die Annehmlichkeiten des Landes, durch die Nachbarschaft der Ostsee, durch den Anblik des Helden von Colberg und durch das große Schauspiel von der Wiederherstellung eines halbverwüsteten Landes, noch reizender geworden.
Bey meiner Wiederkunft habe ich ganz Berlin in einer Verwirrung angetroffen die kaum in dem Kriege ärger gewesen ist. Die unerhörten Banqueroute sezen viele tausend Menschen in Gefahr fast um ihr ganzes Vermögen zu kommen. Fast alle Handlung ist erstikt. Dazu kommt noch die Verwirrung wegen des neüen Geldes und die bisherige Unmöglichkeit diejenigen, welche etwas verkauffen zu zwingen mit den Preisen nach dem Maaße herunter zugehen, nach welchem das izige Geld beßer ist, als das vorhergehende. Bey diesen Umständen ist es ein großes Glük für mich, daß ich bey den Banquerouten nichts weiter verliehre, als daß Sie mich hindern über mein Capital zu disponiren, bey dem Mißvergnügen des Volks aber, daß ich in meinem Cabinet mich beschäftigen und die Verwirrung nicht mit ansehen därff.
Von den Projekten, davon mein lezter Brief Sie unterrichtet hat, ist noch keines zu seiner Reiffe gekommen, und auch dieses ist mir izt vortheilhaft für die Ruhe des Winters. Noch sagt man mir, daß der König mir ein Ansehenliches Amt aufbehalten habe. Es gründet sich aber alles auf einige zufällige Reden, die an der Tafel vorgefallen sind, und ich bleibe bey dem Entschluß ein Landman zu werden, wo nicht sehr wichtige Abhaltungen mich hier feste machen. An die Einrichtung der Academie ist man noch nicht gekommen. D'Alembert ist wieder weg gereiset, ohne daß ich ihn gesehen habe. Er kam eben da ich wegreiste und reißte weg ehe ich wieder kam. Die meisten Leüthe, die mit ihm umgegangen, sind mit ihm zufrieden. Voltaire hat wieder einen neüen Anfall auf die Offenbahrung gethan durch seinen Catechisme de l'honnete-homme, aber mit alten, wie wol neü geschliffenen Waffen. [→]Die Karschin hat zu dem König kommen müßen und hat Beyfall gefunden, sie ist mit Versprechung eines Gnadengehalts wieder hergekommen. Ihre Gedichte sind nun zwahr gedrukt, aber der Kupferstecher, der die Vignettes in der Arbeit hat liegt krank.
Wenn ihre Staaten noch im Stande sind, sich zum wahren patriotismo zu erheben, so ist ihnen die Kaltsinnigkeit des großen Königs eher nuzlich, als schädlich. Aber ich fürchte, daß man den alten Patriotismus mit den neüen Sitten verbinden wolle, zwey ganz einander entgegen stehende Dinge. Nur die Einfalt und Unwißenheit kann daran denken beyde zu verbinden. Wie leicht ist es nicht so wol aus der Theorie, als aus der Erfahrung die Unmöglichkeit dieser Sache einzusehen? Ich halte jedes Land für tödtlich krank, wo man es für nothwendig hält groß zu scheinen um groß zu seyn.
Mich befremdet es nicht sehr, daß die Gesellschaft in Schinznacht das Contubernium helveticum nicht so angesehen haben, wie wir. So viel Leüthe zusamen, und an einem Orte, wo die Sinnen so sehr zerstreüt werden, wo alles, was um sie ist, noch so neü erscheint, ist keiner tieffen Überlegung fähig. Ich hoffe noch immer, daß der Vorschlag wird Beyfall finden, wenn er den Gliedern der Gesellschaft erst einzeln wird zur Überlegung nach Hause geschikt werden.
Ich laße es dahin gestellt seyn, wie weit Sie den Außagen des Werdmüllers Glauben beymeßen sollen. Vielleicht hat er Ihnen Sachen erzält, die er auf den Coffée Häusern gehört hat und die man in der That häuffig hört. Auf dem ganzen Land herum sieht man aber Dinge, die alles wieder mit andern Farben und in einem andern Licht vorstellen. Worauf soll nun das Urtheil sich gründen. Ich für mich selbst sehe Licht und Finsternis neben einander. Einmal blendet mich jenes und einandermal führt mich diese auf wege, wo ich keinen Ausgang sehe. Bey diesen Umständen kann ich ohne Mühe von mir selbst erhalten, was so sehr wenig Menschen können: mein Urtheil über Dinge, die ich nicht ganz übersehen kann, zurükzuhalten. Nach vielem Hin und her wanken, steht die Wage bey mir vollkommen im Gleichgewichte, und ich erwarte den Ausschlag durch Entwiklung vieler Dinge die noch nicht fertig geworden.
Es geht unserm Breitinger, wie es mir ofte gegangen. Wenn ein Hinternis aus dem Weg gehoben worden, so kommt ein anderes und man ist niemal das, was man seyn möchte oder seyn sollte. Bey mir herrscht izt die ernstlichste Entschließung, daß zu werden, was ich nach meiner Kenntnis seyn soll. Dieser Winter soll es entscheiden, ob ich zu meinem Zwek kommen werde oder nicht.
Ich umarme Sie und durch Sie Breitingern. Leben Sie wol.
S.
Gerade da mein Brief abgehen soll erhalte ich noch ihr leztes durch Hrn. Schultheß. Es thut mir leid, daß Ihnen meine Projekte mißfallen. Vielleicht würden Sie vortheilhafter davon denken, wenn ich Ihnen die ganze Beschaffenheit der Umstände vorlegen könnte.
Mein bisgen Vermögen weiß ich nicht sicherer u. auch nicht vortheilhafter, als auf Ankauffung eines Stüks Landes anzulegen. Dieses geht hier mit merklichem Vortheil an, aber in meinem Vaterland nicht, weil dort dergleichen Grundstüke, für das, was sie einbringen weit zu theüer sind. Ich habe genug unter Menschen in Städten gelebt um ohne allen Zweifel zu erkennen, daß keine Gesellschaft oft die beste Gesellschaft ist. Wäre ich reich genug in völliger Unabhänglichkeit und mit den Gemächlichkeiten, deren ich gewohnt bin, in der Schweiz zu leben, so würde ich mein Vaterland allen andern vorziehen. Würde ich aber ein kleines Haus mit etwas weniges an Land um daßelbe kauffen, das Übrige von meiner Baarschaft in der Schweiz auf Zinsen legen, so würde ich zu kümmerlich auskommen. Hier kann ich reichlich leben. Dies ist der Haupt Inhalt der Vorstellungen, die mich auf den Ihnen eröffneten Schluß gebracht haben. Indeßen wird erst das künftige Jahr meine Projekte zur Reiffe bringen.
Wenn nicht unvermeidliche Umstände es hindern, so wird mein Wörterbuch noch diesen Winter unter die Preße kommen. Die Hinterniße, die Klopstok dies Jahr gehabt hat, kenne ich nicht. Eine neüe, für ihn nicht nach Wunsch ausgefallene Liebesgeschicht, hat ihm die Lust zur Arbeit benommen. Er hat indeßen 2 Biblische Tragedien verfertiget. Das was ich davon gesehen habe ist seiner würdig.
Bey dem allgemeinen Vorurtheil, daß die Handlung den Staaten aufhelffe, würden andre Gründe und insbesonder meine Grundsäze von der Glükseeligkeit eines Staats, große Ungereimtsheiten scheinen. Ich habe schon seit vielen Jahren den Plan eines mächtigen aber dabey Armen Staates entworffen, mit dem ich mich vermuthlich lächerlich machen würde. Daß unser [→]Philosoph von Trogen selbst sich hinreißen läßt, beweist die Schwäche der Gründe, gegen das Gefühl.
Den barometrischen Brief von Füßli habe ich erhalten und werde ihn beantworten, sobald ich Muße dazu haben werde. Die Entdekung in Wien, wovon Hr. Br. mir Nachricht giebt ist sehr merkwürdig, wenn es nur gewiß ist, daß man die Schlüßel zu den Noten findet.
Rousseau hat dem Mylord Marshall versprochen ihm nach Schottland zu folgen. Ich wünsche dem ehrlichen Wägeli das Vergnügen ihn noch zusehen. Noch habe ich von s. Dialoguen nichts gelesen. Die Materien sind fürtrefflich.
Ich erwarte unsern Füßli stündlich. Seyen Sie seinethalber außer Sorge. Es wird gut seyn, wenn er noch einige Monate hier bleibt. Vielleicht findet er hier sein Etablissement sicherer, als in England.
Adieu.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.
Herrn Profeßor Bodmer in Zürich.
Siegelreste. – Blatt an Siegelstellen abgeschnitten.
Vermerk Sulzers auf dem Umschlag: »von den alten irischen Rhapsodien finden sie vieles in dem Journal Etranger übersezt. Weiter weiß ich nichts davon.« – Vermerk Bodmers darunter: »Findal und Temora von Makpherson aus dem Gallischen oder Ierischen übersezt.«