Brief vom 10. April 1763, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 10. April 1763

Mein theürester Freünd.

Ungeachtet ich seit 14 Tagen in Berlin bin, so habe ich doch den Augenblik noch nicht finden zu können Ihnen und den andern hinterlaßenen Freünden zu schreiben, was ich Ihnen gerne sagen wollte. Ich habe 12 Tage außer meinem Hause wohnen müßen und bin jezo, da ich wieder an meinem Pult schreibe noch in keiner Ordnung. Die Zeit vergeht mir mit Besuch geben und empfangen. Allem Ansehen nach werde ich künftig eine neüe Lebens art antreten müßen. Es wird mir von verschiedenen orten her gesagt, daß der König mir einige Vorschläge thun werde; aber niemand weiß zu sagen, worin sie bestehen. Vorgestern Abend hat er bey einem meiner Freünde nach mir gefragt und so von mir gesprochen, daß ich zufrieden seyn kan. Vielleicht kann ich Ihnen bald melden, was es ist. Es gehen große Verändrungen in dem Staat vor. Der König will die ganze Nation in eine andre Form gießen. Bis jezo aber ist er noch mit militar und Policey Sachen beschäftiget. Er arbeitet mit eben dem Eyfer an den Künsten des Friedens, als er im Krieg gearbeitet hat. Es thut mir leid, daß meine werthe Reise Gesellschaft zu einer Zeit nach Berlin gekommen, wo ich mich so wenig mit Ihnen abgeben kan. Ich kann sie nur auf Minuten sehen. Mit dem engl. Gesandten habe ich wegen des Hrn. F. gesprochen, er verspricht alle Hülffe und wird ehestens ihn kennen lernen. Ich werde mein möglichstes für ihn thun, darauf verlaßen sie sich. Schiken Sie diesen Brief an meine Freünde in Winterthur, denn es ist mir unmöglich heüte mehr zuschreiben. In 8 oder 10 Tagen werde ich jedem besonders schreiben. Meine Freünde und meine Kinder habe ich gesund und vergnügt wieder gefunden. Empfehlen Sie mich den Hrn. Canonicis Breitinger und Geßner Dr. Hirzel und seinem würdigen Bruder und allen Freünden.

Ich umarme Sie von Herzen,
Sulzer.

Berlin den 10 Aprill.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Anschrift

A Monsieur Bodmer très celebre Professeur à Zürich frco Nrnb.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers auf der Umschlagseite: »accepi d. 26. aprilis.« (Übers.: »empfangen den 26. April.«) – Siegel.

Stellenkommentar

der König mir einige Vorschläge thun werde
Friedrich II. wollte Sulzer dauerhaft in Berlin halten. Er schenkte ihm ein Grundstück in Moabit, erhöhte sein Gehalt bei der Akademie auf 300 Reichstaler und stattete ihn mit einer Außerordentlichen Pension von 1000 Reichstalern aus. Außerdem betraute er Sulzer in der Folgezeit mit der Gründung der neuen Ritterakademie (Académie de Nobles). Vgl. Briefe letter-sb-1764-02-22.html und letter-sb-1764-03-03.html.
bey einem meiner Freünde
Heinrich Adrian von Borcke (vgl. Hirzel Hirzel an Gleim über Sulzer den Weltweisen 1779, Bd. 2, S. 82 f.).
wegen des Hrn. F. gesprochen
Zur Reise J. H. Füsslis nach London, die der englische Botschafter Andrew Mitchell vermittelte, vgl. Federmann Füssli 1927, S. 27.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann