den 23 August 60.
Ihr Brief vom 9 Aug. ist zu gleicher Zeit mit dem Siegesgeschrey aus Schlesien bey mir angekommen. Die öffentliche Angelegenheiten scheinen sich allmählig zu einer merklichen Beßerung anzulaßen. Der König hat in Schlesien den Gen. Laudohn, der weit über 50 t. Man stark war so geschlagen, wie die franz. zu Roßbach. Das ganze Corps ist weit aus einander gesprengt, viele tausend gefangen und die sämtliche Artillerie erobert. Wenige Tage hernach hat der General Hülsen in Sachsen einen beträchtlichen Sieg über die ReichsArmee erhalten, und der Prinz Heinrich macht sich den Rußen von Tage zu Tage furchtbarer. Hier haben wir noch immer den ganzen Sommer durch ruhig gelebt. Ich habe mich durch einige kleine Reisen auf das Land zu ermuntern gesucht. Aber deßen ungeachtet herrscht in meinem Gemüthe eine Oedigkeit, die mir die Tage zu Wochen und die Wochen zu Jahren macht. Es kommt mir ofte vor, daß ich auf einem fremden Planeten herumirre, so sehr scheinet das Band zerrißen, das mich an diese Welt fest geheftet hatte!
Die Zerstreüung hilft mir wenig, weil ich das Leere in meinem Zustand desto lebhafter fühle, wenn ich wieder allein bin, hingegen scheinet die Einsamkeit meines Hauses mich in die ruhigste Faßung zu sezen. Sie thun mir aber unrecht, wenn Sie glauben, daß etwas Übermäßiges in meiner Leidenschaft sey. Es wäre viel mehr eine große Leichtsinnigkeit, wenn ich einen so großen, so ganz unersezlichen Verlust, weniger fühlte. Sie werden die, die ich verlohren habe aus dem Andenken, das ich ihr gestiftet habe näher kennen lernen. Ich war ihr und meinen Kindern dieses Andenken schuldig. Es ist der Spiegel nach deßen Bild sich meine Töchter bilden sollen, und ich werde ihre Erziehung nicht beßer enden können, als wenn ich ihnen dieses Bild nach seiner Schönheit und in seiner Harmonischen Gestallt vorzeige. Hätten Sie die verstorbene Freündin gekennt, so würde es Ihnen nicht an Feüer fehlen, ihr ein Andenken zustiften.
Bald wird es Ihnen mit den deütschen Dichtern gehen wie mir. Ich lebe unter ihnen und nahe um sie, aber bald kenne ich sie nicht mehr. Sie sind mir ein Volk von fremden Sitten, die fremde Gesezze und fremde Götter haben. Desto mehr aber beschäftige ich mich mit ihnen, so ofte ich an meinem Critischen Werk arbeite, wo ich so wol die Dichtkunst als die übrige schöne Künste in einem Gesichtspunkt darstelle, der der gerade an dem andern Ende deßen steht, in welchem die wizigen Köpfe sie sehen. Ob ich aber damit mehr ausrichten werde, als Sie ausgerichtet haben, daran zweifle ich. Die Wahrheit und der gute Geschmak, der größten theils nichts anders, als Wahrheit ist, scheinen mir einem blinden Schiksal unterworffen zu seyn. Auch so gar der abentheuerliche Charakter des Philotas hat in den Briefen über die Literatur seinen Vertheidiger gefunden. So bald ich so was sehe, so höre ich auf zu disputiren. Ich wundre mich nicht darüber, daß Wiel. sich vor der Peitsche fürchtet. Er verdient sie bisweilen. Noch habe ich keine Nachricht von seiner Clementina, die ich der Prinz. von Preüßen in seinem Nahmen habe überreichen sollen, und dazu ich schon die Anmeldung besorgt hatte. Dies ist ein sehr unbesonnenes Verfahren von ihm. Machen Sie sich auf Gl. keine Rechnung mehr. Er kann keinen Tadel vertragen, und ich kenne keinen Menschen auf der Welt der so viel Hize des Temperaments mit so viel Eigenliebe verbindet als er.
Seit dem ich ihren Brief erhalten habe ich Nicol. gesprochen, und aus seinen Reden geurtheilt, daß Fridr. von Toggenb. ihm nicht muß zu Gesichte gekommen seyn. Es gefällt mir sehr, das ihre Jugend sich mit Trauerspielen abgiebt. Ich erwarte würklich die Beßerung des Geschmaks blos von Mittag her. Dr. Zimmermans zweyte Auflage des National Stolzes hat mir wegen der Diction große Freüde gemacht. Ich habe über das Beywort süß das Nic. dem Verfaßer der Fabeln angehängt eben so lachen müßen, als über manches andre, das er mit eben der Richtigkeit anbringt --. Ich gestehe, daß ich in Youngs Gedanken über die Origin. mehr gefunden habe, als Sie, aber seine Schreibart ist mir auch zu blumigt.
Wenn ihre Frauen dem Dichter von Sans-Souci abgeneigt sind, so sagen Sie ihnen, daß wir unter dem Gesezgeber und Heerführer den Dichter und den Philosophen aus dem Gesicht verliehren. [→]Si plura nitent, non paucis offendar maculis. Und dennoch kommt es uns gut zustatten, daß dieser Mann kein großer Freünd der Geistlichen ist. Denn wenigstens können wir an den unsrigen bemerken, daß sie gerne mit regieren wollten; und vielleicht verstehen sie es nicht. Den Rathgeb habe ich noch nicht entdeken können, so bald ich etwas erfahre, so berichte ich es Ihnen gewiß. Es ist ofte schweer ein Bataillon auszufinden, geschweige einen einzeln Man davon.
Ich hoffe doch, daß der Undank der Welt, ihnen die fernere Sorge für den Noah und seine Brüder nicht verleiden werde. Es sey Ihnen genug, das Schiksal Homers und Miltons zu haben. Auch Leibnizen und Wolfen geht es nicht beßer. Diese Männer müßen izt dem Kind Crusius weichen, aber ihre Zeit wird wieder kommen. Es herrscht würklich in Deutschland noch weit mehr Barbarey, als ich vor 10 Jahren geglaubt habe. Meine neüen Landsleüte machen mir die alten immer werther, und ich wollte ohne Mühe den Beweis führen, daß dies Land Friedrichs nicht werth ist. Wenn ich Sie noch einmal (wie ich hoffe) in diesem irdischen Leben sehe, so will ich Ihnen diesen Beweis ins Ohr sagen. Ich habe mir vorgenommen [→]mit einem der besten Männer von Berlin nach meinem alten Vaterland zu reisen, wenn die Ruhe in Deutschland wird hergestellt seyn.
Ich hatte mir ernstlich vorgesezt an unsern neüen Hrn. Rector zu schreiben. Aber ein alter werther Freünd, der Geh. Rath Germershausen, den ich Ihnen schon ehedem bekannt gemacht besucht mich so eben, daß ich nicht einmal dies Blatt voll schreiben kann.
Unsre gute Nachrichten werden von Tage zu Tage beßer. Das Laudohnische Corps, das 70 t. Man soll stark gewesen seyn soll gänzlich zerstreüt seyn, und Daun soll Anstalten machen wieder nach Böhmen zu gehen. Der Pr. Heinrich soll die Rußische Avant Garde zerstreüt haben.
Leben Sie wol mein theürer Freünd, empfehlen Sie mich allen unsern Freünden besonders dem Philocles und Kunzli dem ich die künftige Woche gewiß schreiben werde.
Ich bin von Herzen der ihrige.
S.
den 23 Augusti.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen II 1807, S. 326 (Auszug).