Mein Herr und werthester Freünd.
Ich lebe seit zwey Monaten, da ich von Magdeburg weg bin so vollkommen sinnlich, daß mein Geist das Denken fast vergeßen hat. Ich mache diesen Eingang deßwegen, damit ich eine Entschuldigung habe, wenn ich weder ordentlich, noch wizig schreibe, noch Gedanken in meinen Brief an bringe.
Ihre Briefe haben mir viel Vergnügen gemacht, und es hat mich insonderheit gefreüt, daß Sie der erste unter meinen Schweizerischen Freünden sind, der mir Glük gewünscht hat. Ich war eben in Potsdam und saß bei Kleist und Hirzeln, da die zwey reisende ankamen, die uns so viel angenehme Sachen mit gebracht haben. Da es mir jezo schlechter Dings unmöglich ist, ihre Briefe ordentlich zu beantworten, so will ich nur die fürnehmsten Artikel berühren.
Ich bezeüge ihnen den Aufrichtigsten Dank für die Beurtheilung meiner Msten: Ich bin vollkommen damit zufrieden, um soviel mehr, da Hr. Gleims Anmerkungen über die Gespräche mit den ihrigen in den meisten Stüken übereinkommen, und auch von Hr. Spalding bestätiget werden. Also soll alles danach geändert werden. Wenn ich nur den franz. Brief von Mr. Formey wieder heraus bekomme, so soll auch dieser nach ihrem Gutdünken gemacht werden, um so mehr, da jezo die deütschen Musen, sich an dem hiesigen Hofe wenigstens unter den Damen anfangen sehen zulaßen. Es giebt insonderheit an der Königl. Fr. Mutter Hofe Damen von großem Geist, die jezo anfangen deütsche Schrifften zulesen. Ich habe Hrn. Gleim aufgemuntert eine Samlung der Auserlesensten geistreichen deütschen Original Stüke zu machen die allein dem Gebrauch solcher Damen gewiedmet wäre. Der Vorschlag gefällt ihm, aber ich sehe noch keine Anstallten zur Ausführung. Der gute Man kann nichts arbeiten bis er einmal versorget ist. Wir haben große Hoffnung, daß der Prinz Ferdinand des Königs jüngster Bruder ihn den künfftigen Monat zu seinem Secretair nehmen wird.
An dem Mädchenfreünd werde ich als denn mit Hrn. Gleim gemeinschafftlich arbeiten. Es soll nichts gedrukt werden, als was uns über das mittelmäßige hinaus zu seyn scheinet. Hr. Lange wird wenig dazu beytragen. Ses productions sont pour la pluspart fort mal digerées.
Hr. Gleim macht jezo eine gewiße Art Oden in Anacreontischem Metro, mit Anakreontischen Auszierungen, die aber ganz philosophisch sind. Ich werde ihn aufmuntern ihnen ein paar zu schiken.
Ich halte es vor eine besondere Ehre in Versen öffentlich von ihnen genennt zu werden, und ich bin hierin vollkommen ihrer Meinung, daß diese Art des Denkmals eines Freündes beßer ist, als eine ganze Ode. Über die Ode von Hrn. v. Hagedorn Anacreon genennt wäre viel zu sagen. Es ist kein Zweifel mehr übrig, daß sie nicht auf Hr. Gl. gerichtet ist. Er hat selbst einen weitläufftigen Commentarium darüber in einem Brief an Hrn. Gl. geschrieben, bey deßen Durchlesung ich meinen eigenen Augen kaum getraut habe. Wenn der Verfaßer ihn aus Herzensgrund geschrieben hat, so halte ich für möglich, daß er noch den wunderbaren Schritt thut, den der Hr. v. Múralt gethan hat.
Sie würden mir ein großes Vergnügen gemacht haben, wenn sie mir die Theorie des Sentim. agreables geschikt hätten. Ich habe ihm schon vergeblich hier nach gefragt. Der Verfaßer nennt sich de Poilly und hat, so viel ich weiß schon A. 37 oder 38 diese Schrifft herausgegeben, daß also die Genever Ed. nur ein Nachdruk ist. Was das englische Werk betrifft, deßen Sie Erwähnung thun, so habe ich Gelegenheit es aus Engelland kommen zu laßen. Vor 6 Wochen hielte ich mich 8 Tage in Braunschweig auf, da ich denn das Vergnügen gehabt Hrn. Gärtner kennen zu lernen. Er ist in seinem Umgange überaus angenehm und liebenswürdig. Er hofft künfftiges Jahr, den Anlas zu haben Sie in Zürich zu besuchen, wenn er mit seinen zwey Grafen nach Geneve reisen wird. Er hat sich erbothen mit an dem Mädchenfr. zu arbeiten. Ich habe an allen diesen Hrn. die an den Bremischen Beyträgen arbeiten gemerkt, daß sie sich, so viel als möglich ist hüten von Hrn. Lange und seinen Oden zu sprechen, wenn sie wißen, daß sie mit Hr. Langens Freünden zu thun haben.
Ich habe bis jezo weder die Duncias noch den gemißhandelten Opiz lesen können. Aber der Einfall die deütsche Dunces in den Noten neben den englischen zu sezen, gefällt mir ungemein; Ich glaube daß wir ihnen von hier ein duzend und auch einen Curl angeben könnten.
Ich sprach vorgestern in der Versaml. der Acad. der Wißenschafften von ihrem Codice von Minnensingern. Man sagte mir, daß der zweyte Theil, der ehemals zu dem Parisischen gehört hat, auf der hiesigen Königl. Bibliothek wäre. Ich gieng gestern mit Hrn. M. dahin, aber der Bibliothec., der ein Archidunce ist, konnte uns nicht genugsame Erklärung geben, er versprach mir aber den Catal. Mstor. zu communiciren. Sie werden in Leipzig wol einen Verleger dazu finden. Hier schwerlich. Wenn sie sich noch nicht speciel erkundiget haben, so will ich dem Director der Weidemannischen Handl. davon schreiben, der mein guter Bekannter ist.
Ich habe mein Amt noch nicht angetreten, und bin noch immer als ein Frömder hier, meine Sachen sind noch in Magdeburg. Es hat meinetwegen viele Practiquen gegeben. Es war nicht genug, daß der König mich zweymal schrifftlich zum Profeßor erkläret, er hat es nur gegen den Hrn. v. Maupertuis gethan, und ein gewißer Staatsminister, der Director des Collegii Joach. ist, wollte von dem Hrn. v. Maup. keine Ordre annehmen. Ich war in Potsdam um bey dem König eine stricte Ordre an bemeldten Minister auszuwürken. Der König sagte, daß er sie würklich gegeben habe. Indeßen ist dieser Minister jezo abwesend und ich muß seine Zurükkunfft abwarten.
Meine Beförderung macht auch dem Hrn. v. Maupertuis Ehre. Denn es war ein Rival, der von Prinzen und Ministris portirt war. Keiner aber getraute sich dem König, auf die Vorstellung des Hrn. v. Maup. gegen Vorstellungen zu thun. Mein Antecessor ist von dem König zum Gouverneur des jungen Prinzen v. Preüßen erkläret worden.
Der junge Hr. Landolt, den ich noch hier angetroffen, ist nun verreißt. Ungeachtet sein Hr. Vater von keinem Mentor was hören wollen, so kann ich ihnen versichern, daß ein solcher nicht unnöthig gewesen wäre. Wenn viele solcher jungen Hrn. nach Berlin kämen, so würde man hier eine sehr schlechte Meinung von der Züricherischen Jugend bekommen. Ich will nicht sagen, daß er hier liederlich gewesen, aber er hat sich durch seinen Hochmuth und seine Anterepublicanische principia, die er überall wie en cathedra angebracht recht verhaßt gemacht. Die Bürger einer freyen Republic, sind für ihn nur Canaillen, (das ist seine favorit expression) aber die Schmeichler großer Potentaten, diese sind seine Helden. Wenn sie viele solcher jungen Hern, haben, so wird es in 20 Jahren übel um ihre Republic aussehen. Der Hr. Dr. Hirzel wird ihnen mehrers hievon sagen können.
Ich gebe ihnen diese Nachricht aus keinem andern Grund, als weil ich hoffe, daß sie zu seiner Beßerung beytragen können, und aus wahrer patriotischer Gesinnung gegen meine Landsleüte. Der Hr. Dr. Hirzel hingegen hat sich überall beliebt gemacht.
Mich dünkt, daß sie ihren jungen Gelehrten keinen beßern Charakter, als den fröhlichen hätten aufgeben können. Es ist aber eben der, den sich der jüngling in Leipzig gegeben, an welcher Wochenschrifft, Hr. Ebert und Comp. arbeiten. Ich besorge nur, daß er für Leüte, die noch nicht Erfahrung genug haben zu schweer ist. Mich dünkt daß ein junger Mensch viel geschikter wäre den Charakter des Verdrießlichen zu souteniren. Wer immer mit Grund will fröhlich seyn, muß meines Erachtens, erst fast alle Grade der Ernsthafftigkeit mit nachdenken durch gewandert haben. Es ist eine meiner favorit Maximes, um aufgewekt zu seyn, muß man durch die Ernsthafftigkeit gegangen seyn.
Es ist mir sehr lieb, daß Sie den Cimon noch als ihr eigen Kind lieben. Jezo arbeitet Hr. Nauman daran ihn in Verse zubringen, und ihm werde ich ihre Zusäze geben.
Ich bitte mich dem Hrn. Canon. Breitinger bestens zu empfehlen. Ich hoffe, daß wir uns der Duncias und des gemißhandelten Opizens wegen auf künfftige Ostermeße einiger maaßen außer Schuld werden sezen können. Jezo wüßte ich ihnen nichts neües zu schiken.
Ich verharre
E. Hochedl. &
JGSulzer.
Berlin den 1 Octob. 47.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen I 1807, S. 347 f. (Auszug).
à Monsieur Bodmer, Le Professeur tres célebre à Zurich.
Vermerk Bodmers am linken Rand der vierten Seite zu »ein gewißer Staatsminister«: »Marsal« (gemeint ist wohl Samuel von Marschall, 1683–1749) und mit Verweis auf »Mein Antecessor«: »Gugeli«. – Vermerk Bodmers am linken unteren Rand der letzten Seite: »placider Cimon«. – Siegelausriss. – Siegelreste.