Mein Herr und Werthester Freund.
Mein Brief an sie vom 12 Augst: den sie mit disem empfangen, war schon im vorrath auf die Messe fertig, als ich den ihrigen vom 6. August erhielt. Ich kan wol heimweisen, warum mein brief vom 15. März ihnen so späte gelifert worden: Ich hatte ihn einem passagier anvertrauet.
Der Mädchenfreund macht mir mit seinen Versprechungen und der guten Art womit er das Werk angreift, den mund immer wässeriger. Die Allegorie vom Winter empfiehlt sich durch ihre neuigkeit, und die Ausführung stimmt mit der Erfindung überein. Hr. Canon. Breitinger hat ihn bewundert; Wir redeten davon, und von den andern Manuscripten, die sie Hn. Waser geschikt, vil mit einander und mit Hn. Mart. Künzlin, der auf ein paar Tage hier gewesen. Vermuthlich können sie auch etwas artiges aus Musäus Hero und Leander für Ihre Mädchen zurichten. Da etliche junge Menschen allhier von Hn Dr. Hirzels Alter und Bekanntschaft Gedanken haben bliken lassen, einen Spectator zu schreiben, habe ich ihnen den Charakter des Fröhlichen empfolen. Die meisten deutsche Spectateurs sind eine gemeine, trokene, wortreiche Morale: der Fröhliche sollte vielmehr historisch seyn, und in tausend umstände des lebens gesezt werden, in welchen er seinem Charakter gemäß handelte, und redete; zum Exempel, seine fröhliche Empfindung über sein Seyn, als er das erste mal betrachtungen über Seyn und nicht seyn angestelt; seine fröhlichen Empfindungen über die Spile der unschuldigen Kindheit; als er das erste mal die Sonne aufsteigen gesehen; als er das erste mal durch ein Microscopium geschauet; als er zum ersten mal von der schönheit der Mädchen gerührt worden; als er im Plato gelesen; als ein Donnerwetter entstanden; als er ein bräutigam geworden; als ihm eine liebste abtrünnig worden, die einen verdienstlosen Menschen heurathete; als ihm ein Freund starb; als er zuerst einen begriff bekommen, daß er unsterblich wäre. Wenn der Hr. Dr. Hirzel nach hause kömmt wird er ohne zweifel auch Antheil an disem Spectatorischen Vornehmen haben wollen. Haben Sie die Gütigkeit, und erklären sich gegen ihn über den charakter des Fröhlichen, den ich vorgeschlagen habe.
Weil Sie auf den Cimon etwas zu halten scheinen, so habe ihn noch einmal durchgegangen. Meine gröste Sorge ist, daß Cimon überaus einfältig, natürlich im höchsten grade, und doch nicht dumm oder anstößig denken und reden soll. Ich sehe wol daß er in disen stüken verbessert werden kan. Weil sie so viel Antheil an dem schiksal der Ismenen nehmen, so habe auch für sie gesorget. Daher sind die Vermehrungen entstanden, welche ich hierbey übersende. Ich habe zugleich gelegenheit gehabt, Cimons Charakter noch in etlichen Umständgen zu zeigen, oder doch jemand geschiktern darauf zu leiten, wie man ihn genauer ausführen könnte. Hr. Gleim hat ganz recht, da er mir schreibt, Cimon könne nicht vil hässliches sagen, das den damen gefallen könnte. Gewisse dinge läse man gern, aber man mögte sie nicht sehen. Das sind die klippen, die man hier vermeiden oder vorbeyschiessen muß. Es sind die Verdienste desto grösser, wer dise schwärigkeiten überwinden könnte.
Mir sollte leid seyn, wenn Hr. Hagedorn an dem Buch ohne Titel viel Antheil hätte. Ich glaube, in hiesigen freymüthigen Nachrichten habe man sich mit Rechte an disem Einfall geärgert. Daß eben dises Buch in einem andern Artikel der Nachrichten gelobt worden, kömmt daher, daß die Nachrichten eine collection aus verschiedenen fremden Zeitungen sind, welchen hier und dar etliche neue Artikel hinzugefüget werden. Der Collector ist der Verleger selbst, Bibliopola tryphon.
Ich übergebe dem jüngern Hr. Hirzel mit diesen briefen eine Anzahl Dunciaden, selbige an meine dasigen Freunde zu vertheilen. Ich wollte gerne, wenn man mir dazu mit genugsamen Nachrichten behülflich wäre, den Einfall in dem Briefe des Übersezers an seine freunde, die Obotriten, gewissermassen weitertreiben, zwar nicht, daß ich die Nahmen der deutschen Schöpse in den Text sezen wollte; ich wollte dises nur in den Noten thun, und zugleich die Übereinstimmung zwischen dem deutschen und dem Englischen stümper anzeigen.
Es hat nicht viel gefehlt, so hätte ich in besagtem Briefe des Übersezers an die Obotriten, einen paragraphen beygefüget, in welchem ich ihn hätte rühmen lassen daß die feinde der dummheit, die besten köpfe, in Deutschland von dem Glüke eben so strenge verfolget und unterdrükt sind, als die in England; dann hätte ich die Verse im III. B. 407 und folgende mit deutschen Nahmen ausgefüllet:
Da Günther in das Grab mit Kummer fährt;
Gleim unbefödert lebt, mit tausend gönnern;
Da Liscow, Deutschlands Swift, verurtheilt ist,
Sarmatische Staatsschriften aufzusetzen,
Und Bodmer, Miltons Grösse zu beweisen,
Und Erlenbach mit Trillern sich zu raufen,
Und Schmied‡, sein Lebenlang zu übersezen;
‡der Übersezer von Tindal, und Kantemir
Ich hatte auch im Kopfe die zeile einzutragen:
Da Sulzer eine Kanzel dreymal fehlet,
oder poetischer, und zugleich der Wahrheit gemässer:
Da eine Kanzel Sulzern dreimal fehlet.
Ich ließ es aber aus der betrachtung anstehen, daß die tausend gönner Hn Gleims sich daran ärgern möchten, und daß Ew. HochE. villeicht die Catheder, die sie zum drittenmal sollicitiren, erhalten würden. Ich wünschte mir kein andres, kein prächtigers, denkmal von Hr. von Hagedorn, als eines von diser Art. Eine ganze Ode oder dergleichen würde mich nur beschweren. Ich kan endlich wol heimweisen, warum Herr von Hagedorn meiner, oder seiner freundschaft gegen mir, in seinen Oden nicht erwähnet hat; Ich bin eben kein Sujet für ein solches lustiges Lied, wie seine Oden sind. Aber was etwas natürlicher, als daß er in dem Liede auf Anakreon Hn Gleims hätte gedenken sollen! Denn ich will nicht hoffen, daß er in eben demselben ihn gemeint habe:
Doch höhnet nicht die Gottheit,
Auch nicht der Gottheit diener –
Ich bin froh, daß ihr nach Berlin kommet, vornehmlich weil ihr so näher zu Hn Gleim kommet. Daß In Shaftsburis Sittenlehrer die poetischen Stellen in Versen geschrieben seyn, habe ich aus einem paar Citationen geschlossen, die ich in Popens IV. Buch der Duncias gefunden habe. Daselbst ist die stelle pag. 86. nach Hn Spaldings übersezung: Morgen wenn die sonne, mit ihren ersten strahlen p. und pag. 183. O herrliche Natur, die du vollkommen schön und über alles gütig bist – – in Englischen Versen angeführt.
To morrow, when the eastern sun
With his first beams adorns the front – – –
– – o glorious nature!
Supremely fair and sovereignly good! – –
Ich kan sie versichern, daß Hr. Diacon Waser noch lebt.
E dorme et mangia, e beve, e veste panni
Ich habe vor 14 tagen alle dise functionen des lebens mit ihm verrichtet, als ich mit Hn assessor Heidegger mich acht Tage in Winterthur aufgehalten. Wir hatten den Assessor, den professor, den politicus, den bürger, den pfarrer p. daheim gelassen, und den blossen menschen oder freund mit uns genommen. Hr Künzli war der vierte von der Coterie; Hr stadtschreiber Sulzer war auch öfters bey uns. Es war ein Vergnügen, wie sie haben, wenn sie bey Gleim, Kleist, Naumann sizen. Sie sollten bey uns gewesen seyn. Ihre Abwesenheit von uns, und unsre von Ihnen wäre nicht besser als der bittre tod, wenn wir nicht in Briefen auferstühnden, und lebeten.
Ich lebe mit voller freundschaft und Ergebenheit
Ihr beständiger
J. Jac. Bodmer
Zürich den 13 September 1747.
H: GhH, Hs. A 319. – E: Körte 1804, S. 67–71.
Der Brief ist vermutlich nach dem 12. August und vor dem 13. September 1747 und somit unmittelbar vor der Nachricht von Sulzers Anstellung als Professor für Mathematik am Joachimsthalschen Gymnasium enstanden. Warum Bodmer das Schreiben auf den 13. September datiert hat, ist unklar. Ein anderer Adressat als Sulzer ist wegen der Anrede- und Grußformel sowie aufgrund des persönlichen Kontextes und Inhaltes auszuschließen. Im Brief vom 1. Oktober 1747 bedankt sich Sulzer zudem für mehrere »Briefe« Bodmers. Vgl. Brief letter-sb-1747-10-01.html.
Vermerk einer unbekannten Schreiberhand auf der ersten Seite: »an Hn. Prof. Sulzer«.