Zürich den 11. Octob. 1762.
Ich habe einige tage von einem Rheumatisme viel gelitten. Dieser schöne Nachherbst ist nicht für mich so schön gewesen. Auch war mein Kopf nicht so gestellt daß ich hätte auf die Verschönerung der Noachide denken können. Ich hatte nicht geglaubt, daß die Einwendung gegen die ertränkte Welt so viel sagen wollte. Ich glaube sie ist vielmehr eines Weltweisen, als eines Gottesgelehrten. Es hat vor Gott nicht viel mehreres zu bedeuten, die welt durch einen schlag, oder in hundert jahren untergehen zu laßen; und jedes hundert jahr, oder noch in kürzerer zeit gehet eine welt unter. Doch eigentlich singe ich nicht die ertränkete Welt sondern die erhaltene. Mich dünkt sehr ungereimt zu sagen, daß der schöpfer die welt versäuft habe, der nachwelt ein beispiel seiner strafen zu geben. Das ist ein societätischer oberkeitlicher Begriff. – Ich meine doch daß die menschen nach der sündflut beßer seyn. Gewiß sind es die zwey ersten jahrtausende gewesen. Die propheten, die Apostel, die Märtirer sind nicht allein der Zahl nach sondern noch mehr durch die erhabenheit ihrer tugenden größer als die Väter der ersten welt, [→]von welcher der heilige scribent kaum mehr merkwürdiges als ihre nahmen gefunden hat. Mich dünkt Klopstocks ganze Messiade ist ein beweis, daß die Welt nach der sündflut mehr gute, intensive et extensive, gehabt hat. Es mögen ausdrüke im Noah seyn, die diesem zu widersprechen scheinen. Man muß aber auf die worte eines poeten nicht à summo rigore nehmen, unsere Alten haben dieses gegeben: einem auf das maul sizen. Ich will izt aber die Noachide ex professo in dem Gesichtspunkt betrachten, in welchem sie dieselbe gefasset haben. Die Nachricht hat mein Herz erquickt, daß wir auf Ostern fünf neue Messiaden bekommen sollen. Es wäre ein größeres Lob, wenn für Gleim Sulzer nicht begreifen könnte, wie rechtschaffene leute jemals etwas an Kl. haben aussezen können. Wir wollen zufrieden seyn wenn wir an dem mann von 36 jahren nicht auszusezen haben was wir an dem jüngling von 20. mißbilliget haben.
Izt wird Hr. von Arnimb bey ihnen gewesen seyn, ein liebenswürdigerer junger Herr. Ich bin sehr gut mit ihm ausgekommen. Ich gratulire zu den siegen des Prinz Heinrichs. Man muß nicht sagen daß ihm seine unternehmungen gerathen, er ordnet sie wie er sie haben will. Wir wollen sehen, wie die Gazettiers beaux esprits von Wien ihren geist foltern der Niederlage einen schönen Anstrich zu geben.
Ein leises Gerücht gehet der Marqui d'Entraigue habe an jeden Canton absonderlich geschrieben und [→]einen Brief von H. Choiseul an ihn beygelegt, zur beglaubigung wie lieb ihm die freundschaft der schweizer sey, alles aboutirt, daß er die Cantone bereden will eine Capitulation generale mit dem könig zu errichten. Er bittet jeden Canton, die sache geheim zu halten, mit keinem der Conföderirten sich darüber zu unterreden, und ihm die Antwort directe zuzuschiken. Ich sehe wol daß sie ihm folgen und einander secretieren werden, was doch einen wie den andern angehet. Basel soll schon als ein gehorsamer diener geantwortet haben. Ich fürchte auch wir verlieren das Gedächtniß deßen was mit der lezten Capitulation vorgegangen ist; ich wollte nicht gut davor stehn, daß wir nicht weiter geführt würden als wir wollen und wissen. Es kann Ihnen nicht entgehen was man von diser sache und der manier wie sie geführt wird, besorgen kann. Es wäre providential wenn der könig von Pr. einen antrag von gleicher natur und unter gleichen vorstellungen machete, er könnte noch stärkere sachen sagen; die vortheile mit den zöllen, das droit d'aubaine, sind keine sache, wovon die stände selbst großen oder nur einigen Nuzen zögen. Ein solcher Antrag eines Zweiten würde den ständen die augen des Verstandes eröffnen, die sie ohne dieses nicht eröffnen.
Hr. bürgermeister Leu hat mir beylage zustellen laßen; ich soll sie bitten daß sie ergänzen und verbeßern. Er preßirt, weil der Artikel in die preße soll.
Haben sie die Männer von W. tüchtig gefunden, die nüzlichen Einrichtungen, die sie für dieselben erfunden haben anzunehmen und zu ertragen: Ich habe neue proben, die mir beweisen, daß meine Züricher noch lange die kleine denkungsart, die das ganze vor den kleinen theilen nicht übersehen kann, behalten werden. Das particulare wird ihr maßstab bleiben und es wäre vergeblich, wenn man sich vornehmen wollte, kleinen leuten erhabene, bösen leuten gute geseze zu geben. Man würde auch bey guten gesezen die bösen leute vordringen sehen. Laßet uns zufrieden seyn, wenn wir selbst in hac fece Romuli gut bleiben können. Empfehlen sie mich unsern dasigen freunden von diesem Naturell.
Ihr eigenst. Bo.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a.
Von Bodmer fälschlicherweise auf den 11. Oktober 1762 datiert. Sein Brief antwortet auf Sulzers Schreiben vom 6. November und wird durch das vom 15. November beantwortet.
Entwurf eines biografischen Artikels über Sulzer von H. J. Leu.