Brief vom 18. April 1761, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 18. April 1761

Auch heüte muß ich Ihnen nur einen kurzen Brief schreiben, mein theürer Freünd, ob ich mir gleich vorgenommen hatte, weitläuftig zu seyn. Ich weiß ofte nicht, wie es möglich ist, daß man so wenig in einem Tag thun kann. Ich schike Ihnen hiebey das Andenken, das mein Herz meiner verstorbenen Freündin schuldig war. Sie werden daraus die Große meines Verlustes kennen lernen, und wol begreifen warum alle Munterkeit und Freüde von mir gewiechen ist.

Ich werde von Tage zu Tage ernsthafter und für die Gesellschaft untüchtiger und kann aus dem Nebel, der mich überall umgiebt nicht heraus kommen. Vielleicht gelingt mir dieses, wenn ich den Vorsaz ausführen kann, den ich seit kurzem entworffen und darin ich von meinen hiesigen Freünden sehr gestärkt werde. Wenn wir werden Friede haben, so will ich meine beyde Kinder nach der Schweiz bringen und sie bis sie ganz erzogen sind dort laßen. Helffen Sie mir in Zürich oder in Neufchatel, oder wo sie sonst meinen eine gute Pension für sie aussuchen. Die Kinder haben Anlagen ihrer Mutter ähnlich zuwerden, und verdienen an rechtschaffene Leüte zu kommen. Gott gebe, daß ich sie Ihren leiblichen Augen noch vorstellen könne.

Geben Sie das Ehrengedächtnis nicht aus den Händen; ich habe nur sehr wenige Exemplare für meine Freünde abdruken laßen, weil ich es nicht für das Publicum geschrieben habe. Einlage an Hrn. Zimmerman bitte durch die Post bestellen zu laßen. Leben Sie so wol und so lange, als ich es Ihnen wünsche.

Sulzer

den 18 Aprill.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Zwei Exemplare von Sulzer Ehrengedächtniß der Frauen Catherine Wilhelmine Sulzer gebohrner Keusenhof 1761, davon eines für Johann Georg Zimmermann.

Stellenkommentar

für meine Freünde
Vgl. auch Sulzers Brief an Künzli vom selben Tag: »Ich schike ihnen hiebei einige Abdrüke einer Schrifft, durch welche Sie u. meine übrige Freünde erkennen werden, wie groß der Verlust ist, den ich das vorige Jahr erliten habe. Ich kan Ihnen diesmal nicht mehr als 4. Exemplar schiken, deren Austheilung ich ihrem gutdünken überlaße, wenn Sie nur ein einiges davon an einen meiner Brüder zustellen. Ich habe für heute nicht mehr fertig bekommen können, sonst häte ich noch ein Paar beigelegt. Überhaupt aber habe ich nicht mehr als 50. Stük abdrüken laßen. Deßwegen Sie das ihrige nicht müßen von der Hand kommen laßen, weil ich ihnen sonst schwerlich ein anderes geben könnte.« (ZB, Ms Bodmer 5a, Abschrift von der Hand Künzlis).
nicht für das Publicum geschrieben
Sulzers Ehrengedächtniß wurde erst nach seinem Tod für ein breiteres Publikum veröffentlicht in der Zeitschrift Neujahrsgeschenk fürs Frauenzimmer auf das Jahr 1780 und in Vermischte Philosophische Schriften, Bd. 2, 1781, S. 125–144.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann