Mein werthester Herr und Freund.
Izt ist Hr. provisor wider bey hause, wolbehalten, und kaum weniger bewandert als jener, qui multorum mores hominum – Sein Nahmen wird billig unter seinen Mitbürgern groß und berühmt, denn
– – [→]wer wollte, wie er, aus eigner bewegung
Alle die gürtel der weitverbreiteten Erde durchwandeln?
Oder weil dise anderhalb verse nach Ramlers anmerkung eben nicht viel sagen
Τις δ᾿αν ἑκων τοσσον δε διαδραμοι αλμυρον ὑδωρ
Ασπετον
Odyss. V. 100
Indessen ist er noch so fern von uns, daß wir nur in briefen einander vernehmen können. Er hat mir den Noah mit den randglossen geschikt. Ich glaube gern der mehrere theil dieser glossen sey Ramlern abgenommen, und ich weiß niemand der in unsern tagen geschikter wäre in des alten thracischen Zoilus Art zu urtheilen; es ist nur schade, daß er deutschland nicht durch öfentliche schriften diesen Criticus wieder herstellt.
Hr. Wielands Abhandlung vom Noah wird destoweniger schaden thun, weil sie in kleiner anzahl in Deutschland geschikt worden, und die wenigen Exemplare von noch wenigern gelesen werden. Ich sehe wol daß die Ramler, die es am meisten nöthig hätten, den Commentar so wenig lesen, als den Text. Ohne Zweifel schadet dem werke seine länge; aber wäre es kurz so schadete die kürze noch mehr. Denn welcher kleine verstand könnte so kurze aussprüche fassen?
Ich wäre sehr unbescheiden wenn ich foderte, daß Deutschland mehr auf den Noah hielte. Man hat unter uns nicht mehr geschmak in unsern tagen, als man in Engelland in Miltons tagen gehabt hat, der Noah ist nicht das paradies, und das paradies hat noch lange nach Miltons tod kein aufsehen gemacht, auch bey Dryden nicht.
Die Untersuchung ob Milton sein paradies ausgeschrieben, die vermuthlich von einem Braunschweiger ist, hat uns hoffnung gemachet, daß diese herren aufwachen wollen, wiewol es nicht zu großmuthig scheint, daß sie so viel vorsorge haben, unbekannt zu bleiben. –
Ich schike ihnen durch dise Meßgelegenheit meine gereimten Gedichte die Orell neu aufgeleget hat, und die ich ein wenig gereiniget habe. Noch schämen sie sich in der Gesellschaft des gepryften Abrahams und des Jacob und Josephs zu seyn, die ich ihnen zugleich schike. Die stufen des menschlichen Alters sind von dem Werdmüller, der Klopstoks Ode auf die Zürcherseefahrt französisch gemacht hat; und der izt Wielands guter freund ist, wie er auch Kleistens gewesen. Aber der Dr. ist noch ganz von uns entfernt, und so wie sein gemüth und sein leben izt ist, so ist es eine göttliche gnade daß man von ihm gehasset wird. Der Geßnerchen hält sich gut und läst sein naifes und unschuldiges schäferstük druken. Ein ungenannter hat Wielanden die gefallene lilith zur beurtheilung geschikt. Es ist eine Eva, die durch Künste und Wissenschaft verführt worden: aber der mann blieb standhaft. Wieland hat etliche briefe über die Einführung des Chemos und Zulika, und über die unerhörte Keuschheit Josephs geschrieben. Er hat auch Erinnerungen an eine freundin in eilfsylbigten Versen ohne Reimen geschrieben.
Grüssen sie von mir den Herrn Escher. Ich verspreche mir daß sie diesem herrn einen rechtschaffenen Geschmak an der ächten poesie beybringen werden; also daß er künftig unsere gedichte in denen stunden lesen werde, wenn andere jünglinge piket oder quadrille spielen, und daß er sich so, angenehmer unterhalten wird als jene.
Herr Wieland ist ganz vergnügt, daß er die gunst eines so rechtschaffenen mannes von ihren Verdiensten hat. Er wird diesen winter noch in meinem hause bleiben. Er hat sich noch zu keiner absonderlichen lebensart entschlossen, aber er rüstet sich zu mehr als einer. Er hat eine solche Abneigung gegen alles ungerade, er selbst gehet so gerade, und hat sein herz so offenbar auf der Zunge, er parteit sich so eifrig, und oft hizig für die tugend wider die falschheit und das laster, daß er sich zu der elenden welt sehr übel schiket. Zu einem prediger hat er schwache lungen, zu einem Juristen ein zartes gewissen, zu einem Medico zu viel mitleiden und grausen. Er könnte in seiner vaterstadt ein rathsherr werden, aber mit Collegen, die ihm sein amt schwer macheten. Er ist ungemein beredt, und nur au premier abord ein wenig schüchtern; die grosse, die brausende, die pompreiche welt ist nicht für ihn, und er noch wenig für sie. Ich fürchte er würde sich in der gnade eines patrons, der nicht selbst ein rechtschaffener, großmüthiger, philosophischer kopf wäre, nicht lange erhalten. Er kan nicht unterthänig seyn. –
Er hält sehr viel auf Spalding. Neulich hat er Engels Theorie von dem menschen gesehen, welche ihm überaus wol gefallen; kennen Sie diesen mann nicht?
Orell hat auf der Michelismesse eine beträchtliche Anzahl von unsern neuen Gedichten abgesezt; er hätte alle auf einmal abgesezt, wenn sie nicht mit lateinischen buchstaben wären gedrukt gewesen. Der Noah ligt in Leipzig bey einem alten buchhändler der so eine schneke ist wie sein verleger. Sobald ich ihn überarbeitet habe, lasse ich ihn von neuem druken, und mit lateinischen buchstaben, Geßner mag seine Edition behalten so lang er will. Wir demordieren nicht von den lat. litern. Hemmerde in Halle sollicitirt stark um das verlohrne parad. welches er neu auflegen will. Ich arbeite würklich an der verbesserung.
Der pfarrer Schuldheiß von Stepfort läst Melmots briefe von s. Übersezung druken. Die Übersezung ist sehr steif, und bisweilen verstand er den Text nicht.
Ich habe ihnen in meinem leztern gemeldet, daß ich auf den Revers eines medaillons, den ein Künstler nahmens Mœrikofer von Frauenfeld mit der buste Hrn. von Hallers, sehr gut gearbeitet das Emblema von der naturā polymammā vorgeschlagen habe, welche sich den schleyer von dem obern leib abnimmt, und vor einem Genie der vor ihr stehet, entdeket, mit dem Motto: naturam sine veste vidit. Diese Erfindung hat wenigstens dem Möriker nicht angestanden, er hat folgende von professor Bernulli vorgezogen. Ein offenes buch in den wolken, auf einem blatt lilien und andere blumen, auf dem andern ein sceleton, über dem buch eine leyer unter einem kranze mit dem spruche: patriæ nova serta parat.
Herr Wieland schikt Ihnen den geprueften Abraham: Aber das pak bittet er Sie Hn Hofprediger Sak zustellen zu lassen, er schiket ihm seine briefe der abgestorbenen, und versichert ihn seiner Hochachtung, im übrigen sehe ich nicht, daß er etwas von ihm suche, ich weiß auch nicht was er von ihm empfangen könnte, weil er kein prediger ist.
Ich habe das vergnügen unveränderlich zu verbleiben
Ew.HochE.geb. meines wehrtesten freundes
Ergebenster Diener
Bodmer.
Zürch. den 3. decemb. 1753.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.
Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »3 Dec. 53.«