Brief vom 4. Dezember 1752, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 4. Dezember 1752

Mein geliebtester Freund.

Nach dem Vergnügen, das ich von der mündlichen Unterredung mit Hn. W. empfangen, kenne ich kaum ein grösseres, als mich mit Ihnen und der theuersten Wilhelmine (Frau Professorinn stände hier allzu ⟨matt⟩) in einem halben bogen zu unterreden, wo ich die worte darf von dem Herzen gehen lassen. Dennoch werde ich ihnen dismal mehr geschichten als Empfindungen schreiben. Ich lebe mit Hr. W. seidene Tage der ruh und der unschuld; stille tage, welche wir von den schlimmern Jüngern Anacreons nicht unterbrechen lassen. Unsere ⟨freuden⟩ sind vielmehr innerlich, und geistig, als brausend. Das gedicht von der Bestimmung eines schönen geistes hat dise Herren dergestalt in die Nase gebissen, daß sie uns in ihren gelachen zum gewöhnlichen Gegenstand ihrer groben Spöttereyen machen. Hr. Heß vom postamt hat sich auch in ihre brüderschaft aufnehmen lassen, und ich muß fast glauben, daß er dieses uns zum Trutze gethan hat. Er hat W. seitdem er bey mir ist, nicht ein einziges mal besuchet. Vermuthlich hat er prætendirt, daß diser ihn zuerst besuchen, und ihm den besuch, den er bey ihm in Tübingen abgestattet hatte, zurükgeben sollte. Dr. H...l hat Hr. von Kleist einmal zu mir gebracht, und noch einmal ist diser leztere allein zu mir gekommen. Er ist seit dem 12. voriges monaths hier, und logirt bey dem Doctor. Damals sah der Dr. Hrn. Wiel. zum ersten mal, und wiewol er wußte daß er ihn bey mir finden würde, hatte er Hn von Kl. kein wort von ihm gesagt, so daß diser einen ganzen Abend bey uns gewesen, ohne ihn zu kennen. Vermuthlich kennt er Wielands werke noch diese stunde nicht. Ich habe ihm einen Noah und andere von meinen gedichten gegeben. Ich hielt es anfänglich für einen sehr merkwürdigen Coup der vorsehung, daß er eben auf dise Zeit hat nach Zürch kommen müssen, da er einen Augenzeugen von denen seligen tagen abgeben kann, die ich mit Wielanden lebe. Ich glaubte daß er Redlichkeit und Einsichten genug hatte, aus diesem umstande auf meinen Charakter solche schlüsse zu machen, die künftig dienen müßten, seine mir so sehr abgeneigte Freunde in Deutschland, mit mir zufriedner zu machen. Ich habe noch jezo diese hoffnung nicht aufgegeben, wiewol ich fürchten muß, die verleumdung arbeite stark bey ihm, mich und Wiel. für menschenfeinde und nachteulen anzuschwärzen, nur darum weil wir mit ihnen nicht säufen und nicht kindern. Der Hr. von Kl. selbst ist so gefällig und so überspannt gütig daß er La metrie für einen mann von gutem gemüthe loben kann. Seine spöttereyen über gott und mensch waren uns Lebhaftigkeit. –

Ich zähle nicht mehr auf Gleims, Ramlers, Klo– freundschaft. Ich kann mich bald nicht mehr erwehren, sie ein wenig zu verachten. Ich muß oft gedenken, daß der alte erste, einzige Anakreon, ein braverer mann gewesen sey, als der christliche. Was hat R. für verdienste, als mit seinen frivolités harmonieuses? Noch ist er in der Autorenwelt eine Nulla. Wir wollen ihn mit seiner sammlung der ersten rechten poesie erwarten. Ich fürchte seine Ohren werden noch so dünne, daß sie der wind wegwehet; hingegen werden seine gedanken schwerer. Von Hr. Klo. hat der junge Escher uns erzählt, daß die Jungfer Schmiedin sehr übel mit ihm zufrieden wäre, weil sie ihm ihr wort gegeben, ihn zu heurathen, wenn sie einmal über sich selbst meister würde. Überdieß hätten sie einander versprochen, wenn sie selbst einander nicht heurathen könnten, sollte doch keines von ihnen eine andere person ohne des andern Einwilligung heurathen. Disen Verabredungen habe Klo. keine genüge gethan. Wenn das wahr ist, so weiß man nicht, was man aus der Ode an Gott machen soll. Hr. Esch. erzählt ferner; Klo. habe seinen Freunden den concept des briefes gezeiget, welchen er an mich projectirt hatte, mir darinnen meine unedeln Spöttereyen über ihn vorzurüken. Er hatte diesen concept Herrn Canon. Breit. communicirt, und zugleich gefraget, ob er nicht meinte, daß er, wenn er ihn so an mich schikte, eine gute würkung bey mir haben mußte. Hr. Breit... hatte ihm gesagt, es wären gar zu starke lüken in dem briefe, er selbst wüste das gegentheil von den Erzählungen, und der brief müßte also nothwendig eine ganz widrige würkung thun. Worauf Klo. den brief zurükbehalten. Diesen concept nun zeiget er seinen freunden, und hält sich dazu berechtiget, weil ich im Crito seine tibullische Elegie angegriffen, und so die errichtete amnistie gebrochen hätte. Was für schlimme folgen kann so ein poetischer Fanaticismus haben? Er hat vermuthlich vergessen, daß das schändliche Document von seinem elenden großmuth in meinen händen liegt. Warum hat er nicht lieber meiner gänzlich vergessen? Es ist mir dazu gekommen, daß ich dieses bald wünschen muß. –

Hr. von Haller hat eine Recension vom Noah gemacht, wie sie ein Chroniqueur aus den Mittlern Zeiten gemacht hätte; es scheint er halte das gerippe der geschichte für das wesentliche im epischen gedichte. Oder hat ein Dissecteur von todten Cörpern alle Empfindung von unschuld, zärtlichk. und wahrer Menschlichkeit verlohren? Ich bin es zufrieden, daß Gl. Ram. Hall... ihre wahren gedanken vom Noah ohne zu hinterhalten der nachwelt heraussagen; ja ich wollte sie dazu nöthigen, wenn es möglich wäre. Ich will die schande auf mich nehmen, welche daher auf mich fallen kann. Nichtsdestoweniger habe ich keine so blinde liebe zu diesem Gedichte daß ich seine Fehler nicht sehen könnte, wiewol es nicht die sind, welche diese Anacreonten und profectores darinnen zu sehen meinen. In folgender stelle sind etliche fehler, welche von Hn von Hall. ressort waren:

– durch optische parallaxen
Wust er aus luftcrystall telescopische glæser zuschleifen etc.
III Ges. v. 270–274

Ich weiß nicht mehr, wie diese Irrthümer mir eingekommen sind, und noch weniger, wie Sie selbst, mein wehrtester freund, sie übersehen haben? Ich habe sie in Hr. Wielands Abhandlung gebessert. Diese Abhandl. ist mehr als bloß historisch. Wenn dieses werk die Mißgünstigen nicht erleuchten kann, so wird es sie doch verwirren. Joseph und Zulika; die Syndflut; die Columbona, welche ich wider überarbeitet habe, gefallen Hr. Wieland so wol, daß ich sie vor mehr als mittelmässige stüke zu halten beginne. Ich habe sie deßwegen einem Verleger in Sachsen angetragen, unter keiner andern Bedingung, als daß er mir hundert Exemplare von den gedrukten werken gegen meine und Hr. Breitingers Critischen Schriften geben sollte, allemal 2 bogen von seinen gegen 3. bogen von meinen sachen. Und auf diesem fuß wollte ich ihm auch den Zweyten Druk des Noah, des Jacob, der Rachel, ferner die neue Hermannias geben. Ich habe nur noch 150 bis 180 stüke von unsern Critischen Schriften. Und so könnte einer das verlagesrecht dazu bekommen. Ich erwarte alle posttage antwort.

Meine eigennüzigsten Absichten dabey sind, daß diese Critiken in die Welt kommen, und daß die neuen Werke nicht nur gedrukt sondern auch publicirt werden. Der grosse vortheil, den Gottsched vor uns gehabt hat, war daß Breitkopf sein verleger war, und in dem Mittelpunkt der deutschen literatur oder barbarey wohnete. Von den jungen leuten von 20. jahren sind kaum 30. in Deutschland, welche die critische sammlung der Zürcher gelesen haben. Daher gelingt es Gottscheden daß er ungestraft die geschichte der deutschen verbesserung verfälschet. – Doch was ist diese verbesserung sie sey den Zürchern oder den eigenen Kräften der deutschen zu danken? Ich bin versichert daß Homer so wenig als Milton, und eben so wenig Virgil, in Deutschl. allgemein ist; warum würden sonst die dummen Übersezungen von Altona so wol aufgenommen; warum moquirte sich niemand darüber? Ich bin auch bey mir selbst gewiß, daß die Messiade ohne die Empfehlung von den Zürchern nicht so weit durchgebrochen hätte. Und die mehresten von denen, die sie izt verehren, loben sie nur mit den lippen, aber ihr geist hat wenig Erkenntniß davon.

Und wie ist es möglich daß ein allgemeiner geschmak am guten und schönen sey, da die Auferziehung und die Wissenschaften nur so empfangen werden, wie man sie auf den universitäten giebt und nimmt? Da nur die leute ohne mittel und stand um einer lebensart willen studieren, wie die handwerker; da die von stand entweder der fuchsjägerey oder der processierkunst nachhängen; da man von den alten kaum die sprache kennt? – Denn wir wissen doch, wie es im ansehen diser sachen mit den Ramlern und H... und G... selbst bewandt ist. Wäre es nicht vielmehr ein wunder, wenn diese Leute geschmak am Noah fänden? Man muß anders empfinden als Ha..n, und G.. und R.. wenn man die Debora oder den Sipha oder die Rachel empfinden soll. Hr. von H–r selbst empfindet nicht so. Die zärtlichen Empfindungen, die von der aufschneidung und ängstlich-sorgfältigen Durchwühlung eines menschlichen Cadavers entstehen, sind gewiß nicht von dieser Art. Wenn ich mich dießfalls betriege, so bitte mir diesen angenehmen Betrug zu lassen. Ich rede von einem betruge, nur damit ich sie erinnere, daß ich meine Werke zu untersuchen pflege. Wir wären gewiß weiter wenn die Gottscheden und die Gleime dieses ebenfalls thäten. Ich erschreke nicht wann man mich mit vernunft beurtheilt. Hr. Wiel. thut dieses mit einer philosophischpsychologischen geschiklichkeit, die ich sonst bey keinem iztlebenden deutschen gefunden habe; Ich halte ihn für gebohren Deutschland etwas dergleichen zu werden, was Leibniz gewesen war. Er ist Hn. Can. Breit. und Hr. pastor Hessens Liebling. Aber er hat zu viel wahre Ehre, zu viel tugend, zu viel redlichkeit, als daß er an einem Hofe oder auf einer Universität groß werden könnte. Ich wollte ihm einen grafen wünschen, der tugendhaft und großmüthig genug wäre, seinem gutgearteten sohn eine ungewöhnliche Auferziehung zu geben. – Er könnte einen neuen Plan von einer Ritteracademie angeben, der ganz andere Vollkommenheiten hätte, als die zu Braunschweig. – Gott bewahre ihn, daß es ihm nicht dazu komme, eine Beföderung auf dieser oder einer andern ihresgleichen zu suchen! Er ehret und liebet Sie m. freund ganz vorzüglich, und wie könnte er anders? Sein gemüthe Harmoniert mit ihrem. Er kennet ein weises tugendhaftes Mädchen, eine glüklichere Clarissa, schöner und edler als die Fanny, eine würdige Freundinn für ihre Wilhelmine. Ich lasse ihn ihnen selbst schreiben, wie er zu der grossen belesenheit, und der edeln denkart gekommen ist. Er weiß freilich die Geschichte mit Klopst. Er hat selbst den ungeheuer großmüthigen Brief dieses fanatischen Jünglings an mich gelesen. Er hatte den poeten für etwas wenigeres als einen Seraph gehalten. Izt hält er ihn nur für einen ungewöhnlichen poeten. Er weinete über ihn, und verachtete ihn zulezt. Erstlich hielt er sich für schuldig und fähig, ihn auf die wege der tugend und wahren großmuth zu leiten, hernach aber fand er, daß ein gemüth, welches die Messiade gedacht hat, stark genug seyn müste, sich selbst zu begreifen. –

Wenn es wahr ist, daß Hr. Sak den Noah für etwas hält, so befremdet es mich desto weniger, daß Gl. R.. H–r wenig davon halten. Die gemüths und denkart diser männer und Hrn. Sakes sind doch gar zu sehr von einand. unterschieden, daß sie sich an einem und demselben Werke belustigen könnten. Aber Hr. Sak, Hr. Jacobi – mögen wol so ein wenig das gute in disem gedichte empfinden, aber nicht so stark, daß sie öffentlich oder in schrift mit einigem Affekte davon sprächen. Dennoch sind sie von viel kleinern sachen in Affekte gebracht worden. Vom Abt Jerusalem sage ich nichts, man hat mir geschichten von ihm erzählt, die mir einen Abscheu vor ihm machen. Hr. von Hag. lobet den Noah mit einer art, die mehr den gefälligen freund als den affekts- oder Einsichtsvollen leser verräth. Das wort Halsberg lieget ihm stark am Herzen. Noch mehr die nachahmung.

Sagst du dem Satan ab so gieb mit der hand noch ein zeichen

und dergleichen. Ich zweifle nicht, er hält dergleichen stellen für plagiat, wiewol er es aus höflichkeit nicht heraussagt. Hr. von Haller mag auch dergl. gedanken haben. Wieland erklärt sich darüber artig. Wie sehr würde ich dise Herren verehren, wenn sie auch einen Noah irgendwo stählen! Von Gottsched sage ich nichts, der macht sich ein gewissen, selbst die Natur zu bestehlen. Hag. wollte mich gerne bereden, daß ich die nachgeahmten stellen, die allusionen, die fremden wörter in anmerkungen unter dem Texte erklärte. Diese pedantische Bigarrure ist nicht nach meinem Geschmak. Meine leser sind schuldig in den poeten und der poetischen geschichte so wol bekannt zu seyn, daß sie dergl. noten entbähren können. Andre leser verachte ich gänzlich. Er meint ich müsse mir sonst gefallen lassen von einem deutschen Lauder zur verantwortung gezogen zu werden. Aber ich weiß zu gut, daß ich nicht unter der gerichtbarkeit eines papefiquier stehe.

Der blasse Bavius wird oft aus Eifer roth
Wann ich das erste paar in Milton reizend finde.
Er bleibe was er ist; so dürr als Miltons tod,
So bosheit voll als Miltons Sünde.
Ein unbekannter.

Sed hoc in aures tuas depono. Hr. von Hag. hat mir geschrieben, daß Hr. von Kleist gestorben wäre, als dieser eben bey uns in Zürich war, und aß, und trank und sich aus und ankleidete. Er meldet mir kein wort von Hr. Klo. als daß ihn angenehme ursachen in Hamburg aufhielten; als wenn seine verlöbniß ein verbrechen oder ein geheimniß wäre. Er hat mir den Eremiten geschikt. Das ist eine übersezung aus Parnells Englischem. Sie ist von mir selbst. Ich habe sie ihm zur publication gesandt, damit ich ihn einigermassen verbände vom Hexameter wol zu sprechen. Berühmte Männer sehen im Noah noch nichts als den Hexameter; selbst der grosse Haller, und dises muß man doch der nachwelt sagen; Haller der in dem armen Dusch Wissenschaften siehet. Behalten sie aber bey sich, daß der Eremite von mir ist. Wir haben hier Kaisers übersezung der nachtgedanken in Hexametern, aber dise und die Übersezung sind so hart, daß er dem Verse mehr schaden thun wird.

Es ist mir recht lieb daß das verlohrne paket wider gefunden worden, vornehmlich wegen der Fabeln von Muralt. Dises manuscript ist vermuthlich allein übrig. Ich kann nicht sehen, daß Meyer die Idee seiner Fabeln daher genommen habe; Meyers personen und handlungen sind ungleich getreuer der natur. Mich freut sehr daß ich den jungen Hr. Schneeberger seinen wakern Hr. vater und oncle loben kann.

– Erinnern sie sich daß sie mir versprochen eines von den Exemplaren vom Noah mit Randglossen zu überschreiben. Nehmen sie sich zu dem Ende alle nöthige Musse; nur vergessen sie das werk nicht. Ich schike ihnen hiermit ein sauberes Exemplar für das welches sie so ich sage nicht befleken. Aber es ligt mir immer auf dem Herzen, daß sie das manuscript von der ersten so unverbesserten Noachide in ihrer gewalt haben. Ich wollte herzlich gern, daß sie mir schrieben sie hätten es durch einen oder den andern weg vertilget, weil ich fast in gefahr stehe, daß einmal ein Rammler, und es wird niemals an Ramlern von allen arten fehlen, mißbraucht. Seyn sie der nachwelt vor disem unglük.

Hr. prof. Sam. König, mein alter getreuer freund hat mir seinen Apel au public geschikt. Wir halten dafür sein gegner sey darinn gänzlich zu boden geschlagen und der hochmuth des kleinen franzosen in alle Ewigkeit stinkend gemacht. So viel wir vermuthen können, wird die ganze gelehrte und halbgelehrte welt einhellig übereinstimmen, den armen sünder auszupfeifen, der die freiheit zu denken und schreiben, eine sache vor der Natur wie die prætendirte Entdekung ist, der despotischen gewalt hat unterwürfig machen wollen. Das jahr 1752 wird wegen dises wunderlichen phænoméne berühmt werden und die guten leut, die dazu geredt und geschwiegen haben zugleich. Das procedere machet gewissen leuten eine solche Abneigung gegen alle academischen Associationen, als wenn es HandwerksInnungen wären. Man würde die erste patente von der Aufnahme in die beste von disen Conjurationen mit verachtung, wiewol mit den höflichsten Worten zurüksenden. Ich will gerne sehen, wie die fremden mitglieder, die nicht residieren, sich betragen werden. Wer von ihnen nicht wider die absurde urtheil ist, der ist für sie und fällt in dieselbe Verdammniß. Es ist ein sonderbare providenz daß der ein schweizer hat seyn müssen, der die gelehrte Republik von den angedroheten fesseln befreyet hat. Es ist mir auch sehr lieb, daß der wakere Henzi bey diser gelegenheit auf eine so honorable art in das gedächtniß der menschen gebracht wird. Altman schreibt zwar, er habe durch die post etliche gedrukte Briefe empfangen, in welchen der apel auf den Kopf geschlagen werde: Aber man weiß zu wol, was man von Altman und seinen worten denken muß. –

Hingegen machen einige leute hier mehr aus Bertrands Structure de la Terre. Es ist grausam, daß Hr. Canon. Geßner, der nichts daraus macht, die armen unwissenden Laien nicht darüber erbauet. Die Herren in der Limmatburg sind gar zu karg mit communication ihrer Einsichten, und gewinnen dadurch nicht selten daß man daran zweifelt. –

Es sind in dem gedicht von der Bestimmung eines schönen geistes stellen, welche vermuthlich die Gleime und Eberte wild machen werden; das wird den verfasser nicht erschreken, er ist herzhaft genug die gute verlassene sache der tugend und der göttlichen Liebe zu verfechten, und es fehlet ihm eben so wenig an waffen. Man hat aus gewissen Artigkeiten mehr gemacht als mit der unschuld bestehen kann. Wenn künftig Unschuld zur Artigkeit kömmt, so wird sie doch eine partey machen. Weh denen ⟨feigenherzen, die sich nicht für sie erklären dürfen! –

Ich gratuliere ihnen zu dem Hause, welches sie gedeket haben, und bezeuge ihnen mein Mitleiden wegen des panegyrici, den sie aufbauen müssen.

Ich halte ihr lezteres vom 11. Novemb. für die antwort auf meines vom 30sten October; Noch bin ich ungewiß ob sie mein vorhergehendes vom 6ten Septemb. empfangen haben, mit welchem ich ihnen des Freihr. von Gemmingen Blike in das Landleben gesandt hatte. Sie sollten es durch Gottfried und Hartmann Winkler Junior in Leipzig empfangen haben, denen ich es für sie auf der Michelismesse hatte zufertigen lassen. Wenn sie etwas schweres, ein paket für mich zu bestellen haben, so werden sie eben diese Kaufleute damit gerne beladen. Ich hatte Sie gebeten, eines von den 3. pourtraits en ombre, die ich ihnen durch Hn Elsner zugefertiget, Hrn. von Hagedorn zuzufertigen; dieses ist ohne Zweifel geschehen; wol hat Hr. von Hag. es nicht mit einem worte erwähnet.

Wissen sie nicht in was für Gunst der Noah od. die Rahel bey Hrn. Gellert steht? Ich glaube nicht, daß ich ursache habe, seines beifalls mich sonderlich zu rühmen.

Indem ich mein gegenwärtiges schreiben überlese, so fürchte ich, daß sie einen stolz darinnen wahrnehmen werden, den meine brife sonst nicht gewohnt sind zu haben. Allein ich schreibe meinem Sulzer, der fast schuldig ist meinen stolz zu verzeihen, den er selbst gebähren hilft. Doch ist denn die præsumption so groß, da man sich über leute hinaufsezt, die durch ein [→]paar lieder von mythologischen Einfällen auf den granatapfel oder melodiereichen versen auf den winter in ihrem carrefour berühmt werden? Und hat der nicht ein Recht sich zu erheben, der von Sulzer und Sulzers Wilhelmine und Sak und noch drey ihres gleichen geliebet wird

Ihr Ergebenst. und aufrichtig
Dr. B–

den 4 Christm. 1752

Wenn es wol geschehen kann, so senden Sie in ihrem eigenen oder in meinem Nahmen ein stük von dem gedichte von der Best. eines schönen geistes nach Hamburg an den Herrn von Hagedorn. Wir sind doch nicht schuldig einige grosse wahrheiten, die darinnen stehen zu verholen, wiewol sie vielleicht in Hamburg und Kopenhagen und Braunschweig mißfallen mögen.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »4 Decemb. 52.«

Eigenhändige Korrekturen

wie diese Irrthümer
wie disch diese Irrthümer
die Syndflut
die Sunith Syndflut
so empfangen werden
so mitgetheiltempfangen⌉ werden
aber nicht so stark
aber sie nicht so stark
Dennoch sind sie
Dennoch habensind⌉ sie
sachen in Affekte
sachen mitin⌉ Affekte
waffen. Man
waffen. Sobald Man

Stellenkommentar

gedicht von der Bestimmung eines schönen geistes
Zu Wielands Schreiben an HERRn *** von der Würde und der Bestimmung eines schönen Geistes vgl. Heinz Wieland-Handbuch 2008, S. 159.
Hr. Heß vom postamt
Caspar Heß.
Kleist einmal zu mir gebracht
Kleist hat die Begegnung mit Wieland in Bodmers Haus u. a. in einem Brief an Gleim vom 25. Februar 1753 festgehalten: »A propos, Bodmer will sich gerne mit Klopstock versöhnen; er gesteht von selber (ohne daß ich gethan habe, als wenn ich was wüßte), daß ihn der Zorn zu Sachen verleitet, die er bereue. Machen Sie doch, daß diese Versöhnung zu Stande kommt! Sie kommt gewiß zu Stande, wenn nicht ein gewisser Wieland, ein Pinsel, der die Welt reformiren will und noch keinen Bart hat, es verhindert. Der schmeichelt Bodmern auf die niederträchtigste Art; er schreibt eine Vertheidigung des Noah, worin er alle Leute attaquirt, die er vorhin in den Himmel erhoben hatte. Sie, Ramler, Uz u. s. w. werden auch, wie ich höre, das Ihrige kriegen. [...] Doch muß ich sagen, daß Bodmer am Wenigsten schuld ist; der hat wirklich einen liebenswürdigen Charakter, aber er ist von schlechten Theologen u. s. w. aufgebracht worden.« (Sauer (Hrsg.) Briefe von Kleist 1880, S. 222).
Recension vom Noah
A. v. Haller, Rezension zu Bodmers Noah. In: Göttingische Zeitungen von Gelehrten Sachen, St. 63, 26. Juni 1752, S. 623–627.
in Hr. Wielands Abhandlung gebessert
Siehe die entsprechenden Anmerkungen in Wieland, Abhandlungen von den Schönheiten des Noah, 1753, S. 113.
einem Verleger in Sachsen
Carl Hermann Hemmerde, der den Auftrag aber ablehnte. Vgl. Brief letter-bs-1752-12-09.html.
die dummen Übersezungen von Altona
Anspielung auf zwei in Altona publizierte Ilias-Übersetzungen von Michael Dietrich Blohm und Johann Adolph Peter Gries. Vgl. Kommentar zu Brief letter-sb-1752-03-11.html.
Durchwühlung eines menschlichen Cadavers
Bodmer spielt hier auf Hallers anatomische Studien an, zu denen auch die Schau und Sektion von Leichen gehörte. 1752 wies Haller in seinen Praelectiones die Irritabilität der Muskelfaser und die Sensibilität der Nerven nach.
einen neuen Plan von einer Ritteracademie
Tatsächlich erschien 1758 Wielands Plan einer Academie. Sulzer selbst war in den 1760er Jahren maßgeblich an der Gründung der preußischen Ritterakademie in Berlin durch Friedrich II. beteiligt.
ein weises tugendhaftes Mädchen
Sophie Gutermann (spätere von La Roche), mit der Wieland 1750 kurzzeitig verlobt und anschließend befreundet war, und die Bodmer (im Gegensatz zu Klopstocks Freundin Maria Sophia Schmidt, gen. »Fanny«) als Briefpartnerin für Sulzers Gattin vorschlug. Ein Briefwechsel zwischen Wilhelmine Keusenhoff und Sophie von La Roche ist allerdings nicht überliefert. Von Sophie von La Roche, die in dieser Zeit einen empfindsamen Briefwechsel mit der Zürcherin Barbara Meyer führte, ist ein Brief vom 30. Januar 1753 in der ZB überliefert, in dem sie Bodmer ihre Verehrung aussprach: »Ich bewundere die Kaltsinnigkeit der Teutschen Gelehrten, mit welcher Sie, die Werke eines Bodmers ansehen, und es gibt mir von ihrem Herzen, eine noch viel geringere idée, als personen die den geist beurtheilen können, von ihrer einsicht haben mögen. Ich habe in Bodmers Werken, Seine große, und außerordentliche Tugend, durch Seinen großen und außerordentlichen Geist, beschrieben gefunden und darinn gesehen daß Tugend und wissenschafften unßer göttlicher theil sind, und uns eine wahre Hoheit und Würde geben.« (ZB, Ms Bodmer 2.20). Sophie von La Roche blieb Bodmer verbunden und schrieb noch 1781 an ihn: »Bodmer! nicht wahr Sie denken, Zunge u Feder der Weiber ist schwazhaft – aber ich will Sie nie mehr plagen – ich küsse Ihre Hände mit innigem Dank für jedes Wohlwollen, mit welchem Sie mich seit so vielen Jahren beehrten u es gehört unter die besten Güter meines ganzen Lebens.« (Überliefert in einer Abschrift von Johann Heinrich Schinz, ZB, Ms Bodmer 9a).
Jacobi
Der schriftstellerisch tätige Theologe Christoph Gottfried Jacobi, der in Halle studierte und 1749 als Konrektor des Gymnasiums und gräflicher Bibliothekar nach Wernigerode berufen wurde.
Vom Abt Jerusalem sage ich nichts
Der Theologe Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem wurde 1752 Abt des Klosters Riddagshausen. Jerusalem war Vertreter der Neologie. Vgl. dazu: Müller Grundlinien der Religionsauffassung von J. F. W. Jerusalem 1991.
wort Halsberg lieget ihm stark am Herzen
[J. J. Bodmer], Noah, 1752, S. 206. Hagedorns Brief an Bodmer vom 17. September 1752: »Beyläuffig nehme ich mir die freundschaftliche Freyheit, anzuzeigen, daß VII. 82. das Wort Halsberg nicht gantz verständlich ist, und wie wenig andere Wörter, einer Erklärung zu bedürfen scheinet.« (Hagedorn Briefe 1997, Bd. 1, S. 342). – Auch in Schönaichs Ganze Ästhetik in einer Nuß spielt der Halsberg aus Bodmers Noah eine Rolle.
Bigarrure
Übers.: »bunte Mischung«.
von einem deutschen Lauder
William Lauder publizierte 1741 eine Kritik von Miltons Paradise Lost unter dem Titel An essay upon Milton's imitations of the ancients, in his Paradise lost. Besonderes Aufsehen erregte er ab 1747, als er in mehreren Artikeln Miltons Nachahmungen und Plagiate aus neuzeitlichen lateinischen Dichtungen etwa von Hugo Grotius oder Andrew Ramsay nachzuweisen suchte. 1750 publizierte er seine Thesen als An essay on Milton's use and imitation of the Moderns, in his paradise lost. Mehrere Zeitgenossen deuteten Lauders Beweisführung als Betrug und Fehldeutung.
eines papefiquier stehe
Anspielung auf Friedrich von Hagedorns Gedicht Auf einen Papefiguier und einen Verächter der schönsten Stellen im Milton, das Bodmer anschließend zitiert. Allerdings heißt es bei Hagedorn in der gedruckten Fassung der »blasse Chaerilus«. Vgl. dazu auch Hagedorns Brief an Bodmer vom 17. September 1752 (Hagedorn Briefe 1997, Bd. 1, S. 342).
Sed hoc in aures tuas depono.
Übers.: »Ich lege dies aber in Deine Ohren.« Sulzer sollte diese Nachrichten demnach vertraulich behandeln.
Hr. von Hag. hat mir geschrieben
Im selben Brief Hagedorns: »Ich weiß nicht ob ich Ihnen bereits gemeldet habe, daß d H von Kleist verstorben ist.« (Hagedorn Briefe 1997, Bd. 1, S. 343).
eine übersezung aus Parnells Englischem
Bodmers Übersetzung von Thomas Parnells The Hermit (1726) erschien 1752 unter dem Titel Der Eremite von Dr. T. P.
der in dem armen Dusch Wissenschaften
Albrecht von Hallers Rezension von Johann Jakob Duschs Lehrgedicht Die Wissenschaften in den Göttingischen Zeitungen von Gelehrten Sachen, 1752, St. 31, S. 301 f.
Apel au public
S. König, Appel au public, 1752, ist in Bodmers Bibliothek nachweisbar (ZB, Sign. 25.536).
wakere Henzi
Zu Bodmers Freund Samuel Henzi, der 1749 in Bern hingerichtet wurde, vgl. Brief letter-bs-1749-07-26.html sowie Kommentar zu Brief letter-sb-1752-09-07.html.
Altman schreibt zwar
Brief Johann Georg Altmanns nicht ermittelt.
Bertrands Structure de la Terre
E. Bertrand, Mémoires sur la structure intérieure de la terre, 1752.
den verfasser nicht erschreken
Der Verfasser des Schreiben an Herrn *** von der Würde und der Bestimmung eines schönen Geistes war Wieland.
meines vom 30sten October
Falsche Datierung Bodmers. Das Schreiben war auf den 29. Oktober datiert.
Gottfried und Hartmann Winkler
Leipziger Kaufleute.
ein paar lieder
Ramlers Oden Auf einen Granatapfel, der in Berlin zur Reife gekommen und Sehnsucht nach dem Winter. Erstere erschien 1750 in den Critischen Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann