Brief vom 5. November 1753, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 5. November 1753

Werthester Herr und Freünd.

Nun werden Sie wol den Freünd wieder in ihren Gegenden haben, deßen Abreise mir die hiesigen ganz zu einer Wüste würde gemacht haben, wenn nicht meine Willhelmine mit der kleinen Meliße sie angenehm machten. Sie begreiffen es leichter, als ichs Ihnen beschreiben kann, was für schweere Tage nach dem Abschied dieses Freündes auf unserm Haus gelegen. Ihnen werthester Freünd haben wir viel zu danken, daß uns die schweeren Tage nicht noch schweerer Geworden. Ihre süßen Gesänge haben unsre Gemüther erquiket. O wie sehr liebe ich Sie für diese Geschenke! Was für ein weites Land von neüem Vergnügen, von neüer Ermunterung zur Tugend haben Sie uns und unsersgleichen erschaffen! Ich lese ihre neüen Gesänge unaufhörlich und fange von neüem an so bald ich einmal damit fertig worden. Es ist mir noch mit keinem andern Buch so gegangen wie mit diesen. Ich kann sie noch nicht auf die Seite legen, ungeachtet ich jedes etliche mal schon gelesen habe. O! wie sehr verachte ich die, welche dieses nicht mit der süßesten Bewunderung lesen.

Sie mein werthester Freünd haben gemacht, daß ich die Welt mit andern Augen ansehe, als vorher. Mich dünkt, daß ich selbst etwas von dem Patriarchischen Charakter an mich genommen habe.

Ich will Ihnen noch nichts von den besondern Beobachtungen die ich darüber gemacht habe anführen, es soll zu einer andern Zeit geschehen. Hr. Künzli wird Ihnen den Noah mit Randgloßen bringen, die ich theils für mich theils mit ihm zugleich gemacht habe. Sie werden alles so aufnehmen, wie ein Freünd des andern Gedanken aufnehmen muß. Wir haben selten zu den Stellen etwas angemerkt, die wir bewundert haben, und überhaupt können Sie versichert seyn, daß mir alle Stellen, wo nichts steht sehr schön vorkommen. Da dieser Freünd Ihnen von meinem Leben so viel umständliches sagen wird, so dünkt mich jezo beynahe, als wenn Sie selber hier gewesen wären. Wie glüklich bin ich, daß ich diejenigen Menschen, die unter viel hunderten und vielleicht tausenden die ich kenne, gewiß die besten sind, zu Freünden habe. Diese Anmerkung habe ich mit Entzüken gemacht, da unser Freünd hier war. Ich habe ihn zu den besten gebracht, die ich hier kenne, Männern von Ansehn und Verdienst, ich habe sie hochgeschäzt aber ich verglich Sie mit unserm Freünd und er stuhnd mit dem größten Ansehen unter allen hervor.

Ich habe doch eine Probe gemacht und Ramlern verschiedenes aus ihren neüen Gesängen vorgelesen. Er schwieg und foderte keines zu ganzem durchlesen. Kleist hat in einem Brief an ihn auf eine recht enthusiastische weise seine Bewundrung über die Colombona ausgedrükt, dieses bewog ihn sie von mir zu fodern. Ich habe keinen Menschen jemals mit solcher Bewunderung etwas erheben hören, als Kleist dieses Gedicht erhebt. Was wird der armseelige Dr. Bombast sagen, wenn er dieses hört? Ich habe angefangen in Briefen an Kleist und Gleimen ihnen meinen Verdruß zu entdeken über die Kaltsinnigkeit oder gar Bosheit womit ihre andern Freünde diese gottseelige Poesie traktiren, und wenn sie mir die geringste Gelegenheit geben, so werde ich lauter sprechen und als ein andrer Mathan unter diesen Leüten auftreten; denn man muß Ihnen doch einmal aus vollem Herzen sprechen.

Ich wünschte, daß ich mit eben so angenehmen Empfindungen von den Briefen der Verstorbenen sprechen könnte. Aber ich muß es gestehen, sie gefallen mir nicht, gar nicht. Vielleicht deßwegen nicht, weil ich was anders davon erwartet habe. Es ist viel schönes darin, aber eine starke Verwirrung der Gedanken und eine kalte, wenigstens mich nicht rührende Fantasie. Überlaßen Sie diesen Jüngling ja noch nicht sich selber. Er ist noch nicht alt genug an ihrer Seite zu singen.

Herr Escher ist seit 5 Wochen bey mir, und ich finde ihn so gut als er seiner Erziehung nach nur immer seyn kann. Ich würde mir viel von ihm versprechen, wenn er gelernt hätte sich der ernsthaften Sachen ernsthafter anzunehmen. Aber ich verspreche mir doch etwas von ihm. In Sitten gebe ich ihm leicht den Vorzug vor allen jungen Schweizern, die ich gesehen habe. Er hat in Philosophischen Studiis was gethan, und ich gebe ihm darin noch fernern Unterricht. Ich würde Ihnen mehr von ihm sagen können, wenn er sich mehr herausließe. Er hinterhält zu viel und dieses ist eine augenscheinliche Folge von seiner Erziehung. Versichern Sie Hr. Ott, der auch selbst mein Freünd ist, daß ich alles an ihm thun werde, was ich kann.

Ich gedenke hier in Berlin etwa 10 subscribenten zu den Minne Singern zu bekommen, doch könnten auch noch einige seyn, die ich noch nicht vermuthe. Meine Willhelmine die mit ihrer Meliße vor mir sizt trägt mir mit überwallendem Herzen einen Gruß an Sie auf und Meliße sagt Bodem, Bodem und weißt auf ihr Portrait. Grüßen Sie Hrn. Wieland. Sagen Sie mir in weßen Händen Sie die doppelten Gedichte die Sie mir geschikt haben, am meisten wünschen.

Sulzer

den 5 Nov. 53.

Hr. Escher fängt an sich mehr heraus zu laßen heüte hat er mich gebeten ihm ihren Joseph vorzulesen. Er ist sehr vergnügt darüber. Ich hoffe, daß er hier mit Nuzen seyn wird. Er hat mir versichert, daß er am Braunschweigischen Hof unter den vornehmen, einige angetroffen, die ihrer Schrifften mit großer Hochachtung erwähnen.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – E: Körte 1804, S. 208–211.

Stellenkommentar

Künzli wird Ihnen den Noah mit Randgloßen
Vgl. Künzlis Brief an Bodmer, 1. November 1753: »Nun sind wir glücklich in Winterthur wiederum ankommen; nur wünschte ich izt Sie mit ihren Freünden hier zu sehen, ich förchte aber die Witerung sey Ihnen bereits schon zu rauhe zum reisen. Wie vieles habe ich Ihnen zu sagen. Vom Noah, vom Hagendorn, Gleimen und –stoken [Klopstock], entschließen Sie sich wann es möglich zu uns zukommen. Wir haben den Martini Sommer noch vor uns, unser Sulzer zu Berlin wünschte sehr, daß ich Ihnen den Noah mit seinen Anmerkungen, zugleich mit Ihnen durchläse, damit ich Ihnen und andern mündliche Nachricht geben könnte, gewiß ist daß Ihnen ohne dieses die meiste Anmerkungen seichte vorkommen werden, und vielleicht sind sie es wirklich. Das aber weiß ich, daß sie es in keinem von beiden fällen übelnehmen, daß man Sie nur so geschwind weg niedergeschrieben hat, es waren allemal die ersten Einfälle. Ich muß eilen unsern mitgereißten Bedienten zu entlaßen, er überbringt Ihnen [...] ihren Noah, einen Brief vom Hagendorn, [...] meine ergebenste Empfehlung an die Herren Breitinger, Heidegger, Heß und ihren Wieland, ich habe sein Gerüchte als eine wolriechende Salbe ausgebreitet, Gleim selber mußte mir ihn loben, und versprechen gegen die Anakreonten zu schreiben.« (ZB, Ms Bodmer 3a.2, Nr. 32).
seine Bewundrung über die Colombona
Der Brief Kleists vom 30. Oktober 1753 war nicht an Ramler, sondern an Gleim adressiert: »Haben Sie die Colombona schon gesehen, dieses erste Gedicht, das die Deutschen haben? Lesen Sie es doch hurtig! Sie werden es bewundern und darüber außer sich gesetzt werden. Ich bin so voll davon, daß ich es nicht beschreiben kann. [...] O, der unvergleichliche Bodmer! Wie sehr verehre und liebe ich ihn nun, ob er mich nicht gleich liebe.« (Sauer (Hrsg.) Briefe von Kleist 1880, S. 255 f.).
Dr. Bombast
Nicht ermittelt. Eventuell sind hier Karl Wilhelm Ramler oder Hans Caspar Hirzel gemeint.
in Briefen an Kleist und Gleimen
Sulzers Brief an Kleist konnte nicht ermittelt werden. An Gleim schrieb Sulzer am 3. Oktober 1753: »Indeßen thut mirs doch leid, daß ich merken muß, daß mein ehrlicher Freünd [Bodmer] anfängt, Feinde zu bekommen, welche sich Mühe geben, Werke in Verachtung zu bringen, die ich für Geschenke des Himels halte.« (GhH, Hs. A 4129).
Briefen der Verstorbenen
[C. M. Wieland], Briefe von Verstorbenen, 1753.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann