Brief vom 6. Dezember 1753, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 6. Dezember 1753

Mein werthester Freund.

Hr. Ott hat mir nicht allein ihr geliebtestes wol eingehändiget, sondern vergönnt mir auch dises blättgen in s. brief einzuschlissen. Also kann ich Ihnen sagen, daß ich mit den waaren Hn Orellen nach Leipzig ein päkgen an sie gesandt, darinnen sind

Bodmers gereimte gedichte, neu aufgelegt, dopelt
Jacob und Joseph, verbessert doppelt
der gepruefte Abraham Wielands.
Stufen des menschlichen lebens, Werdmyllers.

Ich habe dem Commissionaire Hn Orellen sagen lassen, daß er das päkgen einem Kaufmann oder Buchhändler von Berlin zur bestellung übergeben soll. Sie würden aber wol thun, wenn sie einen von ihren leuten die auf die Messe gehen, commission geben dasselbe abzufodern; oder wenn sie einen correspondent in Leipzig haben. Der commissionair heißt Johann Gottfried Müller Buchhändler in Leipzig. Ich glaube sie werden den Abraham vollkommen nach ihrem gemüthe finden. Hr. Breitinger und Hr. Heß haben die briefe der abgestorbenen biß auf einige problematische stellen überhaupt sehr schön, und weit über die gemeine irdische poesie weg zu seyn gefunden. Gewiß wird ein wiederholtes lesen dem werke wol thun. Es kann den ⟨Test⟩ besser tragen, als man anfänglich meinen möchte. Hr. Wieland hat in meinen pak ein kleines päkgen für Hr. Hofprediger Sak beigeleget. Es ist ein Exemplar der Briefe der Abgestorb. darinn, er bittet es disem Hn zu übergeben. Er hat zwar keine besondern absichten damit, als überhaupt die gunst des Hr. Hofpredigers zu erhalten. Ich weiß aber auch, daß eine stelle auf dasigem Gymnasio ihm nicht unanständig seyn würde. Wir sehen aber da so grosse schwierigkeiten, daß wir nicht daran denken dürfen.

Er könnte nach Hr. Breitingers Händen in keine bessern fallen, als Sulzers, und sie würden ohne Mühe vollenden, was Breitinger schon sehr weit zur vollkommenheit gebracht hat. Izt weiß ich für ihn keinen anständigern plaz als in dem Rittergymnasio zu Braunschweig in der Qualitet eines Hofmeisters; denn wiewol es eine schlechte stelle ist, so hat er doch da die beste gelegenheit sich in bekantschaft zu bringen. Er hat in seiner vaterstadt nichts zu hoffen, weder Reichthum noch Amt. Ich werde bald Hn Abt Jerusalem seinetwegen schreiben: Es ist sehr vil daran gelegen, daß er unter redliche sanftmüthige und unfanatische Männer komme. Er hat für das Wahre und Gute eine rechte passion; so daß er gegen die falschen und bösen giftig werden kan, auch selbst in Kleinigkeiten. Er trägt das herz immer auf der Zunge, und ist ein wenig schnell p. p. p.

Was für ein Unglük wäre es Ramler zu gefallen, weil man dann gewiß Sulzern mißfallen müste! Ich hatte gemeint die randglossen beym Noah wären Ramlers, weil sie mir diese versprochen hatten. Hr. Kleist hat dem Dr. Bombast ungemein viel gutes von der Colombona geschrieben. Dieser würde meine Freundsch. gerne wieder haben, wenn ihm sein gewissen nicht sagete, daß er sie verwürket hat. Werdmüller, der verfasser der Stufen hat mich durch dise Arbeit ganz gewonnen. Der kleine Geßner drukt jezt eine schäferey Daphnis genannt, in prosa, voller naifer unschuld. Das werkgen kann wol Gleimens Neid erweken, so artig ist es, so neu und naif. In wenig tagen wird mein überseztes verlohr. Par. wider unter die presse kommen. Ich habe eine menge stellen getreuer und andere poetischer gegeben. Es kommen auch neue anmerkungen hinzu; Item die geschichte des gedichtes. Lauder soll nicht vergessen werden.

Das doppelte Exemplar von meinen werken geben sie dem, der es am besten nuzen kann. Breitinger und Waser und Wieland loben mit vollem herzen ihren tapfern Entschluß als ein anderer Mathan unter die verächter der patriarchischen poesie aufzutreten. Wir können uns nicht enthalten, wenn wir in gewissen frölichen stunden mit uns selber zufrieden sind, zu gedenken daß Jacoby und Jerusalem und Sak und Sulzer und wenn noch ihres gleichen sind, sich durch ihr stillschweigen an diser poesie und zugleich an der tugend und wolbeschaffenen Frömmigkeit versündigen. O wie tief bleibt unter disen wakern männern der Baumgarten in Halle! Der ist ein boshafter, verkehrter Schmierer!

Meine zwo tragödien der erkannte Joseph, und, der keusche Joseph sind unter der presse. Sie haben unserer geistlichen Antistitum vollen beifall.

Ich erwarte von Ihnen daß sie Hn Escher zu einem menschen bilden, der mich besuchen kann, und sich bey mir nicht ennuyirt; der auch allein seyn kann, ohne sich selbst zur last zu seyn, der mich mit Empfindung lesen kann. Schon so mancher Züricher hat uns fehlgeschlagen, es wäre doch einmal zeit, daß wir einen auf unsre Seite bringen können. Wie herzlich würde die freude des lieben Hn Otten seyn! Meinen gruß an diesen neuen gast Ihres Hauses. Aber wie soll ich Ihre Geliebte, und die unschuldige Melissa grüssen?

Die keuschheit mit dem sittsamheitern auge,
Das herz voll zærtlichkeit, die ernste klugheit,
Das mitleid und in licht gekleidt die unschuld
Und froemmigkeit, die himmlische gestalt,
Die sie an ihren ursprung oft erinnern,
Die sollen ewig einen lichten kreis
Um ihre seele machen; sanfte ruhe
Soll sie in ihre rosenflygel hyllen;
Und seraphim die ungesehnen zeugen
Von unsern thaten, sollen himmlisch lächelnd
Bei ihres lebens anblik ⟨sich⟩ verweilen.

Ich bleibe der geliebten und des geliebten

Bodmer

den 6. decemb. 1753.

Der Winter hat uns überfallen, bevor wir zu Künzli, oder er zu uns hat kommen können.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »6 Decemb. 53.«

Stellenkommentar

dem Dr. Bombast
Vgl. Kommentar zu Brief letter-sb-1753-11-05.html.
ein anderer Mathan
Prophetische Figur in Bodmers Syndflut. Mathan setzt sich für Noah und für die Rechtmäßigkeit der göttlichen Strafe ein.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann