Brief vom 25. Mai 1772, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 25. Mai 1772

Seyen Sie, mein Verehrungswürdiger Freünd, wegen der Ausfälle, die die Riedels auf mich gethan haben, unbesorget. Ich glaube nicht, daß Wieland Antheil daran hat; Riedel aber und seines Gleichen Freybeüther des Parnaßus, machen mich nicht einen Augenblick irre. Was sie gegen mich ausgespeyt, habe ich nicht gesehen, und werde auch mit keinem Worte jemals merken laßen, daß ich es empfinde. Eher traue ich Gleim, als Wieland zu, Antheil daran zu haben. Das eine wünsche ich, daß weder die mir bekannten noch unbekannten Freünde meiner Arbeit, sich einfallen laßen, dergleichen an sich schon ungereimten Anfälle auf mich, abzutreiben. Man muß solche Schwindelköpfe machen laßen, was sie wollen. Denn auch hier gilt das Ciceronische Axiom; opinionum commenta delet dies; naturæ Judicia confirmat. Ihnen, mein Theürester und vielleicht auch mir, wird man es noch danken, daß wir uns des Guten Geschmaks angenommen haben, wenn diese Leüthe längstens vergeßen sind.

Meine Vermuthung von Wieland trifft ein. Er kommt wieder zur guten Sache zurüke, und sein goldener Spiegel ist ein starker Beweis dafür. Dies ist das Werk, womit er sich bey seinen Alten Freünden wieder auszusöhnen hofft. In der That zeiget er sich darin so, wie ich schon lang ihn zu sehen gewünscht habe. Ich habe ihm, ungeachtet des Unwillens, den er kürzlich noch gegen mich geäußert, darüber ein großes Compliment machen laßen.

Sie werden einen Brief und ein Päkgen von mir, die ich in Leipzig für Sie zurechte gemacht, und der Orellischen Handlung habe zustellen laßen, bekommen, oder bereits erhalten haben. Darin ist auch meine Tragödie, die freylich ihre Erwartung nicht erfüllen wird; da sie blos das Werk des Zufalles und keines reiffen Vorsazes ist.

Ich glaube, daß ich in dem Brief, den ich in Leipzig an Sie geschrieben, vergeßen habe, von Klopstok zu schreiben. Besondere Umstände von seiner Gegenwärtigen Lage sind mir nicht bekannt. Er soll meistens in Hamburg leben, und dort sich noch jugendlich genug betragen. Jemand wollte mir sagen, daß ihm das Feüer zu Vollendung der Meßiade ziemlich ausgegangen sey. Dieses habe ich schon lange besorget. Was sagen Sie zu seinen Oden? Ich gestehe daß ich mich selten in die Regiones supra Mundanas erheben kann, aus denen seine Bilder, Gedanken und Gesinnungen genommen sind. Jede Poesie, die sich so gar weit aus der gemeinen Sphäre herausschwinget, scheinet mir des Zweks zu verfehlen und also gegen den wahren Geschmak zu streiten, so feüerig, so erhaben und schön sie auch sonst seyn mag.

Sagen Sie doch [→]Lavatern bey Gelegenheit, daß ich ihm für die Überschikung seines Bildes sehr verbunden sey, ob ich gleich es nicht bekommen habe. Wieland hat es aufgefangen, und gegen den, der es mir überbringen sollte, geäußert, er würd' es gegen mich verantworten. Das erwarte ich noch.

Haller soll in der Götting. Zeitung Gutes von meiner Theorie gesagt haben. Wer wollte nicht mit Bodmern und Hallern in einer Höhle an dem Fuß des Parnaßus leben, als auf deßen Sonnenreichen Höhen, das muthwillige Pfeiffen der Riedels, Michaelis und solcher Buben anhören?

Leben Sie wol und ruhig mein Theürester. Ich bin von Herzen bey und an Ihnen.

JGSulzer

den 25 May.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.

Anschrift

An Herrn Profeßor Bodmer in Zürich.

Eigenhändige Korrekturen

dort sich noch
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Stellenkommentar

das Ciceronische Axiom
Cic. nat. II, 5: »Opinionis enim commenta delet dies, naturae iudicia confirmat.« Übers.: »Denn die Zeit räumt auf mit Hirngespinsten, während sie Urteile, die von der Natur bestätigt werden, immer mehr festigt.« (Cicero, Vom Wesen der Götter, 2014, S. 149). Sulzer verwendet dieses Zitat häufiger. Vgl. auch Brief letter-sb-1776-04-22.html.
Regiones supra Mundanas
Übers.: »Überweltliche Regionen«.
Lavatern [...] seines Bildes
Vermutlich nach dem Vorblatt der Allgemeinen Deutschen Bibliothek, 1771, St. 15, das mit einem von Christian Bernhard von Rode gestochenen Kupferstich, der das Porträt Lavaters zeigte, versehen war. Sulzer erinnerte die Darstellung an Ignatius von Loyola. Vgl. Lavater an Zimmermann, Zürich, 18. Januar 1772: »Herr Sulzer, der liebenswürdige Herr Sulzer hat sich nicht satt von dir erzählen, ich mich nicht satt von dir hören können. Auf dein Porträt von Grafen zähle ich Tage und Stunden. à propos ... bey Portraiten! Du bist ein schöner? dass du mich graviren – so graviren läßest, daß mir Dr. Sulzer schreibt: Welcher Hundsfutt hat unter das Porträt des Ignatius Loyola, das sich vorn an dem XV B. d. A. d. B. befindet, J. C. L. geschrieben?« (ZB, FA Lav Ms 589d.1). Vgl. auch Bodmer an Lavater, 9. Juni 1772: »Hr. prof. Sulzer läßt Ihnen sagen, daß er Ihnen für die Überschikung seines Bildes sehr verbunden sey, ob er gleich es nicht bekommen habe.« (ZB, FA Lav Ms 502.284).
Haller soll in der Götting. Zeitung
Hallers Rezension in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen, 23. März 1772, St. 36, S. 298–301. Haller bezeichnete darin die AT als »vortreffliches Werk« mit »vorzüglichen Stellen«, die man »nicht alle anzeigen« könne.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann