Eben izt, da ich aus Leipzig wieder nach Berlin zurüke gehen will, erhalte ich, mein Verehrungswürdiger Freünd ihren Brief mit den gedrukten Beylagen. Ich bin in Dreßden gewesen, um meine Kinder da zu besuchen und habe sie mit mir hieher gebracht; izt aber gehe ich mit meiner jüngern Tochter wieder nach Berlin. Betrübt ist mir die Nachricht von ihrem Abnehmenden Gesichte; aber ich hoffe doch, daß es nur ein vorübergehendes Übel sey. Sie empfangen hier den Artikel Künste und den Cymbelline. Wegen des leztern mache ich mir ernstliche Vorwürffe, daß ich zu hizig gewesen bin, ihre Neügierde rege zu machen; weil ich wol sehe, daß Sie ganz was anders erwarten, als die Sach würklich ist. Die kleine Vorrede sagt ihnen die wahre Geschichte dieser Tragödie, deren Stoff ich nicht gewählt, nicht als eine Materie, die jemals dem Publico vors Gesicht kommen sollte, ausgesucht, sondern blos, weil ich sie auf meinem Weg gefunden habe, annahm. Von dem Werth der Sache schrieb ich Ihnen vor einiger Zeit, nicht was mir ein würkliches überlegtes Urtheil davon sehen lies, sondern, was das Vergnügen die Scenen hintereinander gedacht zu haben, mir eingab. Sie werden also das Stük unendlich unter ihrer Erwartung finden, wo Sie nicht, ehe Sie es lesen, es als ein bloßes Spiehl zwey oder drey müßiger Tage, ansehen. Nur in diesem Gesichtspunkt kann es stehen. Aber Stoff war doch da, um etwas beßeres zu machen.
In der großen Zerstreüung darin ich izt bin, kann ich nicht überlegen, was ich Ihnen schreiben könnte oder sollte. Also werde ich mich den Tumultuarischen Vorstellungen, so wie sie sich zeigen, überlaßen.
Von Klopst. habe ich neüerlich nichts gehört. Verwiechenen Herbst waren aus Hamburg Nachrichten von ihm nach Berlin gekommen, die mir ihn sehr lebhaft, als den Jüngling vorstellten, der er 1750 in Zürich gewesen. Ein allzu vertrauter Umgang mit der Frau eines seiner Freünde hat Anstoß gegeben, und der Heilige Dichter fand sich in einem Hohen Grad beleidiget, daß man sich unterstehen dürffen sich daran zu stoßen, oder zu befürchten, daß er an einer Frauen mehr, als die Seele lieben könnte. Von seinen Umständen ist mir nichts bekannt; seine Oden werden Sie nun sehen. Ich gestehe, daß die meisten über die Sphäre meiner Empfindung und meiner Vorstellung gehen. Ich kann mich nicht in seine überfirmamentische Welt erheben. In meinem Werke werde ich meine Gedanken frey, aber anständig davon sagen.
Wieland und seine Freünde sollen geringschäzig von der Theorie der S. K. sprechen und es nicht verbergen, daß sie sich durch die Mäßigkeit der Achtung, die ich für ihn und sie äußere beleidiget finden. Ihre Maxime scheinet zu seyn qui non pro nobis, contra nos. Vielleicht werden sie sich an mir rächen. Aber es mag seyn, ich gehe darum nicht weniger gerade meinen Weg fort.
Ich bin mit mir selbst sehr unzufrieden, daß ich aus Unachtsamkeit nun schon zum zweyten male die Gelegenheit versäumt habe ihnen ihren Grafen von Gleichen wieder zu schiken. Unglüklicher Weise hab ich ihn in Berlin liegen laßen. Aber Sie würden es mir vielleicht verzeihen, wenn Sie wüßten, wie höchst beschäftiget und doch auch aus Nothwendigkeit zerstreüt ich einige Zeit vor meiner Abreise aus Berlin, habe seyn müßen. Ihre neüern Sachen, liegen noch nicht völlig ausgepakt vor mir und ich habe kaum die Zeit gehabt ihren Brief zu lesen; das übrige soll mir die Reise nach Berlin angenehm machen.
An den Dr. Hirzel sollte ich schreiben, aber es ist mir unmöglich. Grüßen Sie ihn doch von mir, und geben Sie ihm ein Ex. von den S. Künsten, mit Entschuldigung meines Stillschweigens. Er wird durch die Vielköpfige Buchhandlung die Duette bekommen, die er verlangt hat.
Wir haben gegenwärtig die Königin von Schweden in Berlin, die in Ansehung ihrer Liebe zur Philosophie und zu den schönen Wißenschaften, sich als die Schwester Friedrichs zeiget. Sie thut uns andern Academicis ofte die Ehre uns zu ihren philosophischen Symposiis ruffen zu laßen, die wegen der Freyheit und anständigen Lebhaftigkeit angenehm sind.
Hier habe ich einen Philosophen kennen lernen, (Prof. Garve) von dem sich die schönen Wißenschaften so viel, als die eigentliche menschliche Philosophie versprechen könnten, wenn er nur gesünder und zur Arbeit stärker wäre. Über Wieland Urtheilen doch die guten Köpfe hier ungefehr eben so, wie wir. Von seinem neüesten Werk, dem Goldenen Spiegel habe ich nur erst die Hälffte des ersten Theils lesen können, wo ich doch viel ächte Philosophie, aber unter einer flüchtigen und etwas leichtsinnigen und allzu ausschweiffenden und zu gedähnten Phantasie verstekt finde. Bald überzeüge ich mich, er dähne seine Sachen in der Absicht aus, mehr Geld von seinem Verleger zu bekommen.
Ich umarme Sie von Herzen.
JGSulzer
Leipzig den 11 May 1772.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.
Monsieur Le Professeur Bodmer à Zurich avec un paquet delivre fig: M.B.
J. G. Sulzer, Die Schönen Künste, in ihrem Ursprung, ihrer wahren Natur und besten Anwendung betrachtet, 1772. – [Ders.], Cymbelline, 1772.
Vermerk Bodmers auf der Umschlagseite »In Sulzers Theorie ist der Artikel Absicht vergessen, der doch sehr nöthig ist. Die alltäglichen Critiken legen willkürlich den scribenten eine absicht zu, die nicht die seinige war, und können denn nothwendig nur finden daß er sie nicht erfüllet hat. Die erste untersuchung bey einem werke muß seyn, was der Verfasser für eine absicht gehabt habe. Die Zweite ob diese Absicht nüzlich, wichtig, anständig gewesen sey. Wenn sie das ist, so muß denn gesehen werden, ob er ihr gnug gethan habe.« – Siegelreste.