Mein theürer Freünd.
Ich habe die Ganze vorige Woche und noch den ersten Tag der izt lauffenden auf dem Lande zugebracht und bey meiner Zurükkunft ihre beyden Briefe nebst den Beylagen erhalten. Jede Zeile von ihrer Hand ist mir noch ein Gewinn und versüßet mir das unangenehme, das in der Verzögerung meiner Abreise liegt. Zu Ihnen kann ich in der That nicht mehr kommen, und ich weiß auch nicht, ob ich wünschen soll, daß Sie hieher kommen. Zwahr würde mir ihr Anblik eine außerordentliche Freüde machen, aber sie würde vielleicht gar zu bald der schmerzhaften Empfindung Plaz machen. Bey meinem Abschied von Ihnen habe ich tieffere Stiche empfunden, als ich in der Faßung darein ich mich gesezt hätte, erwartete. Überhaupt ist das Ende meines hiesigen Aufenthalts nun schon ohne Vergnügen, weil ich im Herzen nun schon von meinen Freünden Abschied nehme. Mein Vorsaz ist mich wegzuschleichen; deßwegen wird auch niemand den Tag meiner Abreise erfahren, bis ich weg seyn werde. Doch reise ich diese Woche gewiß noch nicht. Es sollte mich doch sehr schmerzen, wenn es nur auf acht Tage ankäme die bewußte Gesellschaft zu haben, und ich diese acht Tage nicht geben könnte. Helffen Sie ihr bestes zu thun, daß die Gesellschaft zusamen bleiben könne.
Die Canzley mäßige Adresse, welche der Hr. Sekelmeister, dem ich mich wieder bestens empfehle, verlanget, ist mir auch so genau nicht bekannt. Der izige Aufenthalt des Prinzen ist ungewiß, aber wenn man die unten stehende Adresse auf den Brief sezet, so wird er unfehlbar richtig bestellt werden. Den Menschen, welchen Sie mir zugewiesen, habe ich angenommen und verspreche mir beyder seitige Zufriedenheit von diesem engagement. Es müßte mir gar übel fehlen, wenn ich sollte des Vergnügens beraubet werden, den verehrungswürdigen Greisen in dem Lande des heiligen Gallus zusehen. Denn ich bin fest entschloßen meine Reise über St. Gallen zumachen. Der Dohm Herr von Beroldingen will mich dahin begleiten und mir die Schäze des Closters zeigen laßen. Er hoft es dahin zu bringen, daß ich Abschriften von allem bekommen soll, was ich verlange. Sein Herr Vater ist ehedem fürstlicher Obervogt, oder etwas von dieser Art gewesen. Des Philokles Brief hat mir ein großes Vergnügen gemacht, und ich würde mir ihn ausgebeten haben, wenn ich nicht aus der unten gesezten Numer gesehen hätte, daß Sie ihn ihrer Samlung schon einverleibet haben. Was ich empfinde, da ich ein Land verlaße, worin ein Philokles, ein Bodmer, ein Kleinjogg und noch so viel andre Männer, die man neben diesen nennen därff, wohnen, kann ich Ihnen nicht ausdrüken. Doch ist es kein geringer Trost für mich, daß ich es um ein Land verlaße, darin Friedrich regieret, was auch immer Voltaire sagt. Leüte, die es am besten zu wißen vermeinen, halten davor, daß dieser böse Geist gerade das Gegentheil deßen gethan habe, was er dem jungen Züricher gesagt. [→]Il l’a trouvé D. et il a fait son possible pour le rendre A. Darüber sind mir besondere Umstände bekannt.
Ich erwarte den Ausgang des heütigen Tages mit Ungeduld. Hr. Lavater wird mir, falls Sie es nicht zeitig genug thun könnten, schleünige Nachricht davon geben. Schreiben Sie mir noch immer, bis Sie werden erfahren haben, daß ich weg gereißt bin. Wir wollen aber auch nicht einmal schriftlichen Abschied von einander nehmen, sondern uns lieber Vorstellen, daß wir an einem orte zusamen leben, ob wir uns gleich nicht sehen. Der Leib thut nichts zur Sache, nur der Geist macht lebendig. Es ist mir eine sehr schmeichelhafte Vorstellung, daß ich einigermaßen mit Ihnen gemeinschaftlich am Noah arbeite. Sie selbst können ihre vielen Arbeiten nicht beßer crönen, als wenn Sie die lezte Kraft ihres Geistes und dichterischen Feüers dazu anwenden dieses Große Werk, so vollkommen zu machen, daß es den Deütschen das wird, was die Ilias und Odyßee den Griechen gewesen. Nach meiner Zurükkunft werde ich allen meinen Kräften aufbieten, meinen Critischen Untersuchungen eine gute Form zugeben. Ich werde Ihnen noch vor meiner Abreise alle Titel schiken, die in den ersten Band kommen sollen, damit Sie mir noch zeitig genug ihre Beyspiele und Anmerkungen zuschiken können.
Leben Sie wol.
S.
à Son Altesse Serenissime
Monseigneur Le Prince Frederic Eugene
de Wurtemberg; Lieutenant-General
de Cavallerie au service de Roy de Prusse etc etc
à Berlin.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.
Herrn Profeßor Bodmer in Zürich.
Siegelreste.