Werthester Herr und Freünd.
Ich könnte Ihnen bald das Compliment machen, das Boileau seinem König gemacht hat. Es wird Ihnen leichter Gedichte zu schreiben als mir Briefe, darin ich für die überschikten Gedichte danke. Wenn Sie meine Arbeitsamkeit, und meinen Fleiß und meine Muße nach den ihrigen Beurtheilen, so müßen Sie mich für einen Menschen halten, der gar nichts mehr thut, und der alle Lust zum Schreiben verlohren hat, da ich Ihnen in der That weniger Briefe schreibe, als Sie Gedichte schreiben und mir schiken und doch auch sonst nichts von meiner Arbeit vorweise.
Aber Sie werden wol bedenken, daß wenige Menschen in diesem Stük so glüklich sind, wie Sie. Ich habe eine Menge Verrichtungen, deren würkung sich nicht offentlich zeigen kann. Eine Menge Abhaltungen von der Arbeit, die man mir nicht zurechnet, und dann auch oft einen Mangel der Lust zur Arbeit, davon die Schuld nicht immer auf mich fällt. Darum Preise ich Sie sehr glüklich, daß Sie von allen diesen Hinternißen frey sind.
Sie sehen aus dieser Apologie, mein werther Freünd, daß ich mich, wenn ich mich neben Sie stelle, schämen würde, der welt so wenig zu dienen, der Sie so viel wolthaten erweisen, wenn mich nicht die Beschaffenheit meiner Umstände selber einigermaßen entschuldigte.
Den geprüften Abraham habe ich mit ausnehmendem Vergnügen gelesen, und dieses höre ich von allen denen ich dieses Werk zu lesen gegeben habe. Der Verfaßer ist würdig ihr Schüler und nachfolger zu seyn. Auch würdig eines guten Glüks in der welt zu genießen. Aus den Umständen, die Sie mir von ihm schreiben schließe ich, daß dieses noch ziemlich entfernt ist. Ich habe keine Hofnung von einer Braunschweigischen Stelle. Das ganze Werk fällt merklich, und ich weiß nicht, wie ein so eyfrig rechtschaffenes Gemüth lange die Gunst der Menschen behalten könnte, die ihm doch beständig dort nöthig wäre. Ich hätte noch mehr Hofnung, wenn er hieher käme. Unsre hiesigen Bedienungen sind alle solider als irgend anderswo, und wenn man sie einmal hat, so hängt man sellten von der Caprice anderer ab. Wenn er hier wäre, so könnte er, entweder auf eine Universitæt oder etwa an ein Gymnasium kommen. Außer dem sind noch so viele andere Gelegenheiten, daß schwerlich an einem Orte mehr seyn können. Aber alles würde von der Zeit abhangen. Ich würde mir ein Vergnügen daraus machen ihn bey mir zu haben, und ihn der Sorge der Nahrung zu überheben. Wenn sich eine Gelegenheit zeigen sollte ihn zu versorgen, und er ist nicht hier, so entgeht sie nothwendig. Ist er hier, so kann sie sich leicht zeigen. Ich überlaße Ihnen ihm dieses alles zu sagen; denn ich schreibe ihm nur in allgemeinen ausdrüken hierüber.
Ich habe in den lezten Ferien eine kleine Schrifft gemacht, darin der Philosophische und Moralische Wehrt ihrer Gedichte gezeiget wird. Es fehlt nur noch, daß ich die Exempel, die ich aus dem Gedächtniß angeführt in den Gedichten aufgesucht und an ihren Stellen eingeschaltet werden, so wäre diese Schrifft zum druk fertig. Vielleicht finde ich dazu gehörige Muße bald. Ich begebe mich in dieser Schrifft aller Ansprach auf das Kunstrichter Amt und spreche blos als ein Philosoph und Mensch, und darin wird sie sich von Hr. Wielands Abhandlung merklich unterscheiden.
Ein hiesiger junger dichter, Leßing, hat den armen Langen wegen seiner ungeschikten Übersezung des Horaz und der noch ungeschiktern Vertheydigung derselben elend herumgeholt. Er hat auch zwey Bändchen seiner Schrifften druken laßen, die ich Ihnen mit der Meßgelegenheit schiken werde. Sie werden dann selbst beurtheilen wie viel oder wenig von diesem angehenden Dichter zu hoffen ist. Er ist Zeitungsschreiber, bey einem hiesigen Buchführer.
Der Bauzner Nauman, der nun hier ist, hat sich einfallen laßen, sich an Ihnen zu rächen. Er hat in einer Wochenschrifft seinen lächerlichen Zorn im Vorbey gang merken laßen. Ich werde dieses den Leßingischen Schrifften beylegen.
Die Vorige Woche ist Gleim hier gewesen. Ich habe ihn, wegen seiner Dohmgeschäfte nur zweymal gesehen. Er hat mir aufgetragen Sie seiner Ergebenheit zu versichern. Ich habe gar nichts von Poetischen Angelegenheiten mit ihm sprechen können.
In Frankreich wird ein Journal Etranger herauskommen, darin die guten Schrifften der ausländer getreülich sollen übersezt werden. Dem Vernehmen nach rüstet sich Gottsch. schon seine und seinesgleichen Gedichte häuffig einzusenden. Das wird eine Trefliche Würkung bey den Franzosen thun. Sie sollten dem Hrn. Werdmüller auftragen, daß er mit guten Sachen den fleißigen und ämsigen Stüm XXX
Ich bitte Sie ihre Hofnung wegen des Hrn. E. nicht zu groß werden zu laßen. Denn noch kann ich nichts von ihm versprechen. Er hat in der That kein böses Herz und ein gutes Naturell; aber er ist durch seine Erziehung gewaltig verdorben worden. Er möchte gern was rechtschaffenes Lernen, aber es finden sich dabey zwey allzuschwere Hinterniße. Er ist so gar keiner Arbeit gewohnt, daß er eher einen recht Peinlichen Müßiggang, als die Beschäftigung vertragen kann. Er hat sich schon ofte vorgenommen, und mir schon ofte versprochen, sich mit einigem Fleiß auf gewiße Sachen zulegen, aber er hat es noch niemal halten können. Daher sucht er sich soviel als möglich ist mit Besuchen und Gesellschaften, auch selbst mit solchen, die ihm eine Last sind die Zeit zu vertreiben.
Außer dieser mächtigen Hinterniß ist noch diese zweyte, daß er sich aus Mißtrauen, oder Misantropie, oder was es sonst für eine Ursache haben mag, weder mit mir noch mit seinem Mentor niemalen in Gespräche über ernsthafte Sachen einläßt. Vielleicht geschiehet es aus Stolz seine Schwäche nicht zu verrathen. Ich habe es gar oft versucht mich mit ihm einzulaßen, aber er findet immer einen weg mir auszuweichen und auf ganz gleichgültige dinge zu kommen. Bisweilen schreibt er für sich, aber so bald jemand in sein Zimmer kommt, verbirgt er seine Arbeit. Dieses thut er noch mehr gegen seinen Hofmeister, als gegen mir. Ich habe Schaftesbürys Untersuchung über die Tugend recht praktisch und Lehrreich mit ihm abgehandelt. Er ist immer aufmerksam gewesen. Aber ich weiß nicht, ob er sich so viel wichtige Wahrheiten, die ich ihm gesagt zu Nuze gemacht hat. Ich habe ihm den Joseph und einen Theil des geprüften Abrahams vorgelesen und lege ihm diese Sachen immer unter die Hand, aber er laßt sie liegen. Dieses alles sage ich Ihnen zu meiner vorläuftigen Entschuligung, damit Sie nicht denken, daß ich etwas versäume. Ich hoffe nicht viel.
Adieu mein werther Freünd. Meine Willhelmine empfiehlt sich Ihnen.
Sulzer.
den 19 Febr.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – E: Körte 1804, S. 224–228.
Vermerk Bodmers auf der letzten Seite: »Tacenda hæc«.