Brief vom 27. Februar 1751, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 27. Februar 1751

Mein liebster Hr. und Freünd.

Ich habe bey ihrem Brief von Klopstoks lezten Tagen und seinem Abschied aus Zürich Thränen der zärtlichsten Wehemuth geweinet. Ich weinte sie über Sie und über Heßen; ich weinte auch über Klopstoken, der die beste Freünde gegen Leüthe vertauscht, die ihn in Labyrinthe hineinführen werden, daraus er sich nicht wird zu helffen wißen. Aber ich habe noch einige Hoffnung, daß Klopstok Ihnen noch nicht gestorben. Er ist einiger maßen in dem Fall ihres Cimons. Die Jugend und Unerfahrenheit haben ihn mit starken Banden gefeßelt, welche die Erfahrung auflösen werden, und als denn wird ihn die Weisheit Ihnen wieder zuführen. Ihre Redlichkeit wird indeßen genug seyn, Sie zu beruhigen; denn ich sehe nicht, daß Sie sich was vorzuwerffen haben. Nur darüber wundre ich mich, daß weder Sie noch Hr. Breitinger ihm die Verbindung mit Rahnen abgerathen. Ich hatte erwartet, daß die erste Frucht ihrer Aussöhnung seyn würde, daß er Rahnen verlaßen würde.

Ich habe nicht erfahren, daß Klopstok was nachtheiliges von ihnen nach Deütschland geschrieben. [→] Über mich hat er sich gegen Hrn. Sak einiger ausdrüke wegen beklagt, die ich an Künzli geschrieben hatte, aber es war nichts, das ich nicht noch jezo mir öffentlich zu sagen getraute. Ich habe neülich an Hagedorn geschrieben, und weil ich vermuthete, daß er von ihren Sachen etwas erfahren, erwähnte ich ein Wort davon. Ich schrieb ihm, Einige junge Leüte, die sich Klopstokens bemächtiget, haben zu einiger Kaltsinnigkeit zwischen Ihnen und Kl. anlas gegeben, die aber nun der Freündschafft wieder Plaz gemacht habe. Dies wird Ihnen wol nicht zuwieder seyn. Es dünkte mich gar zu affektirt davon ganz Stillzuschweigen.

Nach ihrem Bericht sollte Klopstok Leipzig schon paßirt seyn. Ich habe aber noch keine Nachricht von ihm, ungeachtet ich erst gestern Briefe aus Leipzig erhalten. Ich wünschte sehr Kl. zu sehen um ihm alles zusagen, was ich auf dem Herzen habe. Aber ich hoffe, daß er von sich selbst zurükkehren, und Sie für die Schmerzen, die er ihnen gemacht hat, belohnen wird. Indeßen müßen Sie ihre Redlichen Absichten selbst für die Belohnung nehmen. Diese sind insgemein die größten Belohnungen, welche die Rechtschaffenheit giebt.

Sie müßten Seit dem ich den Noah empfangen habe schon zwey Briefe von mir bekommen haben. Ich habe nun Ramlern den Noah zu lesen gegeben. Er ist seit dem 3 mal bey mir gewesen, ohne ein Wort davon zu sprechen, ungeachtet ich ihm Gelegenheit dazu gegeben. Ich weiß wol, daß er den Verdienst dieses Werks, der in meinen Augen der größte ist für nichts rechnet, und daß einige schlechte Verse, oder eine unausgearbeitete Rede ihm alle die hohen Gesinnungen der Tugend und Gottesfurcht die darin herrschen nicht achten macht. Wer nicht wolklingend und mit ausgesuchten Bildern spricht, der kann ihm nichts schönes sprechen. Hr. Sak hat jezo andre Arbeit vor, die ihm die Zeit weg nihmt, aber auf Ostern werde ich Ihnen seine Gedanken schiken.

Dr. Hirzels Beschreibung der Seefarth ist in den Händen des Hrn. v. Kleist, und unser Reise Brief in den meinigen. Ich suchte ihn zu erhaschen ehe ihn viel Leüte gelesen, nun gebe ich ihn nicht mehr aus meinen Händen.

Auf Ostern werde Ihnen von den Crit. Nachrichten alles schiken was von N. 25 an heraus gekommen. Sie sind jezo erbärmlich. Kleist arbeitet an seinem Sommer. Hr. Cramer in Quedlimburg nach welchem Sie fragen, scheinet mir einen liebenswürdigen Charakter zu haben. Ich kenne ihn von Person. Aber er hat auch das, was mir hierzulande an so vielen wizigen Köpfen mißfällt. Die Freündschafft zeiget sich kaum in einer andern als in der Tändelnden Gestallt. Gleim, der sonst das beste Herz mit großen Einsichten und den besten Eigenschafften hat, ist mir durch sein Tändeln ofte unerträglich worden. Kleist ist der ernsthafteste. Doch hat ihm Dr. H. Brief, den ich nicht halb habe durchlesen können, ungemein wolgefallen. Ich habe einen unersezlichen Verlust erlitten, wenn ich es einen Verlust nennen kann, daß Künzli nicht hieher gekommen. Ich hatte ihn an des verstorb. Dr. Elsners Stelle zum ersten Prediger der größten Gemeinde die hier ist vorgeschlagen. Man schrieb ihm, ohne mir zusagen, ob man auf ihn reflectiren wollte, und er schlug die Stelle aus, weil ich ihm noch nichts davon geschrieben hatte. Dieses verdrießt mich übel.

Ich habe eine recension von den 2 ersten Gesängen des Noah in die Bibliotheque Germanique gemacht. Ich hatte auch einen Brief über den Noah für unsre Critischen Nachrichten aufgesezt, darin ich dieses Gedicht blos in einem moralischen Gesichts Punkt betrachtet. Aber Raml. hat ihn unterdrükt.

Ich schließe aus ihrem Post Sc. daß Sie ihre Empfindungen über die Begeb. mit Klopstok etwa in einem Gedicht ausgedrükt haben. Würden Sie mir wol die Lesung deßelben vergönnen, wenn ich Sie darum ersuchte?

Ich verbleibe mit zärtlichster Hochachtung

Ihr
ergebenster
Dr Sulzer

den 27 Febr. 1751.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Stellenkommentar

ihres Cimons
Zu Bodmers Schäfererzählung Cimon vgl. Kommentar zu Brief letter-bs-1746-12-01.html.
Über mich [...] Sak
Vermutlich in Klopstocks verschollenem Brief an Sack vom 2. Dezember 1751 (Klopstock Briefe 1985, Bd. 2, S. 356).
ich an Künzli geschrieben
Sulzers Brief an Künzli vom 15. November 1750: »Wenn ich von dem urtheilen soll, was ich noch selbst gesehen, so muß doch nothwendig Klopstokens Betragen höchstens Mißbilligen, da er sich nicht gescheühet hat, selbst in meiner Gegenwart über Bodmern zu spotten. Überhaupt kann ich aus seiner Aufführung nichts heraus finden, daß der Meßiade nur einigermaßen würdig wäre. Ich bin sehr verlegen, daß Hr. Bodmer mir gar nicht schreibt. Ich möchte gerne wißen ob Rahn Klopstoken, oder dieser jenen zum Fantasten gemacht hat. Beyde scheinen mir gleich dazu aufgelegt zu sein.« (SWB, Ms BRH 512/72).
neülich an Hagedorn geschrieben
Nicht überliefert. Hagedorn ging in einem Brief an Giseke vom 13. April 1751 auf den »Vorfall in Zürich«, aber nicht auf ein diesbezügliches Schreiben von Sulzer ein. (Hagedorn Briefe 1997, Bd. 1, S. 308).
Ramlern den Noah zu lesen
Vgl. Ramlers Schreiben an Gleim, Berlin, 23. Februar 1751: »Ich lese jetzt die dreyzehn Gesänge des Noah, die Bodmer an Sulzern geschickt hat. Er hat seine Anmerckungen darüber haben wollen, Sulzer hat sie gemacht, ohne mich zu Rathe zu ziehn; ist das nicht ein matematischer Stoltz? Er ist von dem Gedicht gantz eingenommen, ich sehr wenig, denn es ist nicht den zehnten Theil so gut, als die zwey ersten Gesänge. Aber Bodmer ist auch mein Landsmann nicht, und die LandsLeute, besonders die Schweitzer, stehen sich in Recht und Unrecht bey. Ich werde das Gedicht bald gelesen haben und mich alsdann freymüthig gegen ihn ausschütten. Schade um etliche gute Zeilen, die von einer Prosaischen Sündflut ersäufft werden. Alles was der Dichter seit drey Jahren gelesen hat, ist gantz roh und unverdaut darinn anzutreffen. Sulzer schätzt es deswegen hoch; ich aber und Sie, wir leiden keine solche Gelehrsamkeit, von der man errathen kan, aus welchem Buch sie abgeschrieben ist. Der Mahler, der Botanicus, der Mechanikus, der Physicus, jeder findet hier seine Kunstwörter.« (Schüddekopf (Hrsg.) Briefwechsel zwischen Gleim und Ramler 1906, Bd. 1, S. 286).
Prediger der größten Gemeinde
Jakob Elsner war erster Prediger an der Parochialkirche und Kirchendirektor der reformierten Gemeinden. Vgl. Sulzers Brief an Künzli vom 15. November 1750: »Wollten Sie wol ihre Schule gegen eine der angesehensten Prediger Canzeln in Berlin vertauschen. Wenn ich die Wahl hätte so würden Sie hieher beruffen werden, um dem verstorbenen Dr. Elsner an der Parochial Kirche zu succediren. Es ist ein sehr ansehnlicher Posten und eben so einträglich. Da ich erfahren, daß der König der Gemeinde, welche das Wahlrecht hat, sagen laßen, Sie möchten einen recht guten Prediger aussuchen, wenn sie ihn gleich von Weitem herholen müßten, so habe ich Sie, mein lieber Freünd, als den besten, den man finden könnte vorgeschlagen. Ich erfahre nun, daß Hr. Wegelin, welcher von dieser Gemeinde ist, Commission bekommen hat, sich nach Ihnen zu erkundigen. Welches Glük für mich, wenn die Vorsehung Sie zu mir führen sollte! Ich will mich diesen angenehmen Vorstellungen noch nicht überlaßen.« (SWB, Ms BRH 512/72).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann